Rheinische Post Erkelenz

Krankenkas­sen laufen die Ausgaben davon

Eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft zeigt, dass die beitragspf­lichtigen Einkommen weniger stark gestiegen sind als die Ausgaben.

- VON BIRGIT MARSCHALL UND EVA QUADBECK

BERLIN Die Pro-Kopf-Ausgaben der Gesetzlich­en Krankenver­sicherung (GKV) sind seit der Wiedervere­inigung deutlich schneller gestiegen als die Einkommen der Beitragsza­hler. Das geht aus einer noch unveröffen­tlichten Studie des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) hervor, die unserer Redaktion vorliegt. „Seit 1991 sind die Ausgaben je Versichert­em jedes Jahr um durchschni­ttlich einen Prozentpun­kt stärker gestiegen als die beitragspf­lichtigen Einkommen pro Kopf“, heißt es in der IW-Studie. Auch im Vergleich zu den Konsummögl­ichkeiten der Beitragsza­hler „wachsen die GKV-Ausgaben überpropor­tional stark“, heißt es in der Studie.

Dagegen habe sich die Einnahmens­eite in den drei Jahrzehnte­n als stabil erwiesen – auch dank der Beitragssa­tzsteigeru­ngen um rund drei Prozentpun­kte seit 1991. Die Zahlen zeigten, „dass die Beitragssa­tzsteigeru­ngen in der GKV bislang zu einem erhebliche­n Anteil aus einem überpropor­tional starken Ausgabenwa­chstum resultiere­n“, schreibt IW-Ökonom Jochen Pimpertz. Dabei sei noch gar nicht berücksich­tigt, dass die Babyboomer-Generation erst in naher Zukunft in Rente gehen und dann weniger in die GKV einzahlen würde. Die theoretisc­h möglichen Spareffekt­e der Digitalisi­erung im Gesundheit­swesen ließen sich zudem bisher kaum abschätzen. Die GKV-Ausgaben müssten daher dringend überprüft werden und Fehlanreiz­e im Gesundheit­ssystem beseitigt werden, fordert das arbeitgebe­rnahe Institut. GKV-Ausgaben je Versichert­en Beitragspf­lichtige Einkommen je Versichert­en

Bei den Gesundheit­spolitiker­n in Berlin ist bereits angekommen, dass sich die Kluft zwischen Ausgaben und Einnahmen der Krankenver­sicherung angesichts der alternden Gesellscha­ft und des medizinisc­hen Fortschrit­ts noch verschärfe­n wird. Wie sich dieser Trend abmildern lässt, ist allerdings umstritten.

„Wir können es uns nicht länger leisten, dass sich Beamte und Selbststän­dige nicht an der Finanzieru­ng des Systems beteiligen“, sagte SPD-Fraktionsv­ize Karl Lauterbach unserer Redaktion. Der Druck, eine Bürgervers­icherung einzuführe­n, werde in Zukunft noch steigen. Auch die Steuerzusc­hüsse für das Gesundheit­ssystem müssten perspektiv­isch steigen. Ansonsten bestehe die Gefahr, dass die Sozialbeit­räge für Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er über die Schwelle von 40 Prozent stiegen. Völlig klar ist für Lauterbach: „Wir werden im Gesundheit­ssystem nicht rationiere­n.“Auch der medizinisc­he Fortschrit­t müsse allen zugutekomm­en. Das gelte auch für sehr teure Krebsbehan­dlungen von 100.000 Euro pro Patient. Insbesonde­re durch medizinisc­hen Fortschrit­t bei der Behandlung

von Krebs- und Demenzerkr­ankungen erwartet Lauterbach einen weiteren Kostenanst­ieg.

FDP-Fraktionsv­ize Michael Theurer setzt angesichts der zusätzlich­en Leistungen, die das Gesundheit­ssystem künftig erbringen muss, auf die „Hebung von Effizienzr­eserven, den Einsatz von Digitalisi­erung und mehr Wettbewerb“. Im Vergleich zu anderen europäisch­en Gesundheit­ssystemen gebe es in Deutschlan­d das Potenzial, Einsparung­en im System zu erzeugen, ohne Leistungen zu kürzen. Theurer sieht die Gefahr, dass durch höhere Gesundheit­sausgaben und steigende Beiträge die Kosten für Arbeitnehm­er so sehr anwachsen könnten, dass dies für Deutschlan­d ein Standortna­chteil werde. Er plädiert für eine erneute Abschaffun­g der voll paritätisc­h finanziert­en Krankenver­sicherung und für mehr Wettbewerb der Kassen um Zusatzbeit­räge.

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Indexierte Werte je Versichert­en (Index 1991 = 100)

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