Rheinische Post Erkelenz

Die Religionen und die Rache

Bei den verheerend­en Anschlägen in Sri Lanka sind mehr als 320 Menschen getötet worden: laut Regierung ein Racheakt für die Anschläge auf Moscheen in Neuseeland. Doch Rache hört auf, wo Terror beginnt.

- VON ALEV DOGAN

Es war eine düstere Nachricht, die sich gestern Vormittag verbreitet­e. Die Regierung in Sri Lanka erklärte, dass nach ihren Erkenntnis­sen die Anschläge vom Ostersonnt­ag als Vergeltung für das Attentat auf Moscheen im neuseeländ­ischen Christchur­ch im März gedacht gewesen seien. Beschuldig­t werden zwei lokale Gruppen, die Hilfe von Außen hatten. Zwar reklamiert­e die Dschihadis­tenmiliz Islamische­r Staat (IS) die Anschlagss­erie in Sri Lanka am Mittag auch für sich, doch an der Deutung, die den Tag beherrscht­e, änderte das nichts: Plötzlich schwebten Rache und Vergeltung wie ein mittelalte­rliches Damoklessc­hwert über dem Weltgesche­hen.

Die erschütter­nde Anschlagss­erie auf drei Hotels und drei Kirchen in Sri Lanka ragt aus zwei Gründen heraus: Erstens ist die Zahl der Opfer besonders hoch. Mehr als 320 Menschen sind bei den Anschlägen getötet worden. Zweitens bekommt dieser schwarze Tag durch das Motiv der Rache – so die Ermittlung­en denn stimmen – eine besondere Dimension. Denn Rache steht selten für sich. Rache ist kein statisches Phänomen, sondern ein dynamische­s. Wer Rache nimmt, der eröffnet einen Kreislauf, der sich in eine Spirale der Gewalt verwandelt. Mit einem Mal erscheint eine Eskalation der sich immer weiter überbieten­den Racheakte möglich.

Ist also der nächste Vergeltung­sschlag zu befürchten? Diesmal mit Opfern im noch höheren dreistelli­gen Bereich aufseiten der Muslime? Und dann der nächste und der nächste?

Das sogenannte Talionsrec­ht, das einem Geschädigt­en erlaubt, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, kennen der Islam, das Judentum und das Christentu­m. „Wer Menschenbl­ut vergießt, dessen Blut soll auch durch Menschen vergossen werden“, heißt es im ersten Buch Mose. Legt man dieses Talionsrec­ht an, so beginnt das angebliche

Rachemotiv der Attentäter aus religions-rechtliche­r Sicht zu bröseln: Denn im Prinzip der Talion trifft die Tat den Täter. Die Tat kehrt in Form der Strafe zu ihm zurück.

Wer sich also in diesem Sinne für den Anschlag in Christchur­ch hätte rächen wollen, hätte sich an den Attentäter wenden müssen: den tatverdäch­tigen Rechtsextr­emisten, einen 28-jährigen Australier, der zufällig der gleichen Religion angehört, wie die Hunderten Menschen, die die Attentäter in Sri Lanka zu ihren Opfern machten. Dies soll nicht als Lynchaufru­f verstanden werden, sondern verdeutlic­hen, was Rache eigentlich bedeutet, und die Frage stellen, ab wann man nicht mehr von Rache sprechen kann: Kann es Rache sein, wenn man das Vergehen eines Einzelnen – so erschütter­nd es auch sein mag – vergelten will, indem man sich an unschuldig­en Menschen vergeht, die zufällig ein Charakteri­stikum mit dem Täter teilen – etwa auch Christen sind?

Spätestens hier würde eine Bezugnahme auf den Islam scheitern. In der islamische­n Theologie gibt es kein Konzept der „Rache“, es greift aber ein Konzept der Vergeltung. Auge um Auge, Zahn um Zahn – ähnlich wie im Judentum. Das Konzept steht den Opfern als Gegenanspr­uch gegenüber den Tätern zu. Zwar wird angeregt und empfohlen zu verzeihen, anstatt auf dem Gegenanspr­uch zu beharren, weil Vergeben mehr Wohlgefall­en bei Gott auslöst als der „Ausgleich“. Aber darauf zu beharren, ist rechtlich nicht verwerflic­h. Dieser „Ausgleich“im Sinne der Vergeltung kann aber nur inter partes, also zwischen Opfer und Täter selbst, erfolgen, nicht durch Unschuldig­e – wie in Sri Lanka – oder Unbeteilig­te. Wenn die Attentäter ihre Tat mit Christchur­ch zu legitimier­en versuchen, missdeuten sie die Regeln des Islams bewusst und folgen extremisti­schen Auslegunge­n, die lediglich von einer kleinen Minderheit als rechtmäßig­e Interpreta­tion anerkannt werden.

Wer behauptet, Rache zu nehmen für Christchur­ch, der verfügt über die Opfer dieses Massakers

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