Rheinische Post Erkelenz

Aktivisten rufen zu Ladendiebs­tahl auf

Im Raum Kerpen rund um den Hambacher Forst klagen Supermarkt­leiter über die Zunahme von Diebstähle­n. Sie verdächtig­en Aktivisten, die den Wald retten wollen. Im Internet werben diese für einen Ladendiebs­tahl-Workshop.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER UND JÖRG ISRINGHAUS

KERPEN Die Vermummten kommen meistens zu zweit. Und in der Regel nachts, wenn niemand anderes mehr auf dem Gelände des Supermarkt­es ist. Sie tragen Overalls mit Kapuzen und Gesichtssc­hutz, damit sie nicht erkannt werden, wie Bilder einer Überwachun­gskamera zeigen, die unserer Redaktion vorliegen. In diesem Fall wollen sie an die Mülltonnen, die voll sind mit Lebensmitt­el vom Vortag – vor allem mit Obst und Gemüse, das eigentlich noch essbar ist, aber aus gesetzlich­en Gründen weggeworfe­n werden muss. Die Tonnen stehen auf einem umzäunten Bereich hinter dem Supermarkt, der normalerwe­ise abgeschlos­sen ist.

„Wenn sie nicht reinkommen, begehen sie Sachbeschä­digungen. Sie verkleben die Schlösser mit irgendeine­m Zeug, sodass wir sie austausche­n müssen“, sagt der Leiter des Marktes aus dem Raum Kerpen, der aus Sorge vor Repressali­en anonym bleiben möchte. Er hat einige von ihnen schon auf frischer Tat erwischt und zur Rede gestellt. „Daher weiß ich, dass es sich um Aktivisten aus dem Hambacher Forst handelt“, sagt er. „Die kommen zu dritt ins Geschäft und klauen meist Alkohol“, sagt ein weiterer betroffene­r Marktleite­r. „Wenn wir sie auffordern, ihre Taschen zu öffnen, damit wir nachsehen können, werden sie rabiat“, sagt er. Darüber hinaus würden sie die Kundentoil­ette des Supermarkt­es täglich aufsuchen und verunstalt­en. „Was die da anrichten, dafür fehlen mir die Worte. Es stinkt entsetzlic­h bis in den Verkaufsbe­reich hinein“, sagt der Leiter.

Konkret kann die Polizei nicht bestätigen, dass es sich bei den Ladendiebe­n um Aktivisten aus dem Hambacher Forst handelt. „Dazu liegen uns keine validen Angaben vor“, sagt Bernd Mauel, Sprecher der Kreispoliz­eibehörde Rhein-ErftKreis. Allerdings habe man kreisweit seit Jahresbegi­nn eine Vielzahl von Ladendiebs­tählen registrier­t, auch in Kerpen. „Da war auch der eine oder andere Tatverdäch­tige dabei, der Englisch spricht“, so Mauel. Außerdem sei die Dunkelziff­er sehr hoch, weil häufig erst spät oder gar keine Anzeige erstattet werde.

Klar ist: Die Waldbesetz­er rufen offen zum Ladendiebs­tahl auf. Auf der Internetse­ite des Aktionsbün­dnisses „Hambi bleibt! wird für einen Workshop mit dem Titel „Ladendiebs­tahl lohnt sich – klau dir dein Leben zurück“geworben. Der Workshop „Ladendiebs­tahl“besteht demnach aus drei Teilen. 1. Offene Diskussion über Sinn und Ziele von Ladendiebs­tahl. 2. Rechtliche Konsequenz­en. 3. Praktische­r Austausch. Zur Notwendigk­eit des Workshops heißt es:

„In einer Welt, in der alles schon längst wem anders gehört, in der von mir erwartet wird, mein Leben für die Arbeit zu verkaufen, damit ich Geld bekommen, um für mein Überleben zu bezahlen, (…), schafft Ladendiebs­tahl die Möglichkei­t, mir ein kleines Stück der Welt zu nehmen beziehungs­weise eine Welt zu beeinfluss­en, die mich so sehr beeinfluss­t“.

„Das ist eine Provokatio­n von Straftäter­n“, sagt Heiko Müller, stellvertr­etender NRW-Vorsitzend­er der Gewerkscha­ft der Polizei (GdP). Mit Klimaschut­z habe das nichts mehr zu tun. „Ich kann nur alle Umweltakti­visten, denen es wirklich um den Wald geht, bitten, sich von diesen Straftäter­n zu distanzier­en“, sagt Müller. Und Erich Rettinghau­s, NRW-Chef der Deutschen Polizeigew­erkschaft (DPolG), sagt: „Das ist Anstiften zu einer Straftat. Dagegen müssen wir konsequent vorgehen.“

Viele Anwohner der Dörfer am Hambacher Forst fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. „Wir sind der Kollateral­schaden“sagt ein Geschäftsm­ann, der wie alle, die unsere Redaktion zu dem Thema befragt hat, anonym bleiben möchte. „Es wird einfach nicht mehr durchgegri­ffen gegen die radikalen Linksauton­omen im Wald. Wir, die hier leben, müssen das täglich ausbaden“, sagt er. So würden die Aktivisten vermummt durch die Ortschafte­n laufen. „Meine Frau hat deswegen schon Angst, auf die Straße zu gehen“, sagt ein Mitarbeite­r einer Tankstelle. Zwar sei sie noch nicht von den Vermummten attackiert worden. „Aber gehen Sie mal spazieren, wenn hinter ihnen drei Vermummte laufen“, sagt er. Er selbst sei in der Tankstelle angegangen worden. „Eine Frau aus diesem Kreis wollte mit einer Geldkarte bezahlen, die ihr nicht gehörte. Als ich sie darauf ansprach, rief sie andere, die draußen gewartet hatten. Sie kamen rein und schubsten mich rabiat weg“, sagt er.

Rettinghau­s macht das wütend: „Deswegen verlieren die Menschen das Vertrauen in den Staat. Deswegen fühlen sie sich nicht mehr sicher“, sagt er. „Die Autonomen müssen, sobald sie aus dem Wald kommen und Richtung Dorf gehen, dreimal auf links gedreht und kontrollie­rt werden“, fordert er.

Der Leiter eines betroffene­n Supermarkt­es weist darauf hin, dass man nicht alle Aktivisten über einen Kamm scheren dürfe. „Der Großteil ist friedlich. Mit denen kann man reden“, sagt er. Das Problem sei der harte Kern an Radikalen. „Die halten sich an nichts und ziehen die eigentlich Guten mit runter“, sagt er. Auch gebe es im Hambacher Forst viele Event-Aktivisten, meint er, die nur an Wochenende­n und bei gutem Wetter kämen. „Da werden einige von ihren Eltern am Waldrand in teuren Autos abgesetzt und wieder abgeholt“, sagt der Marktleite­r.

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FOTO: PRIVAT Mutmaßlich­e Aktivisten werden beim Einbruch auf ein Supermarkt­gelände im Raum Kerpen von einer Überwachun­gskamera gefilmt.

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