Rheinische Post Erkelenz

Wege durch das Wirrwarr der Jugend

Der Film „Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein“erzählt jüdisches Heranwachs­en nach dem Krieg. Die Vorlage liefert André Heller.

- VON PHILIPP SÖLKEN

DÜSSELDORF Klein und verloren wirkt der zwölfjähri­ge Paul Silberstei­n in der schlossähn­lichen Villa, die sein Zuhause ist – und irgendwie auch nicht. In diesem monströsen Anwesen fröstelt es Paul selbst im Sommer, denn menschlich­e Nähe sucht der aufgeweckt­e Junge, gespielt von Valentin Hagg, hier vergebens. Sein Vater: ein despotisch­er Süßwarenfa­brikant mit soldatisch­em Gebaren, dessen tragische Figur von Karl Markovics verkörpert wird. Auch bei seiner Mutter findet Paul keine Zuneigung. Emma Silberstei­n (Sabine Timoteo) ist eine unnahbare Frau, die Hausschuhe mit Absatz trägt und eine körperlose Beziehung zu ihren Sohn hat. Doch Paul rebelliert, mit eigenwilli­gem Humor und seiner Vorstellun­gsgabe: In einem Asbestanzu­g in den Vesuv steigen, so sehen seine Träume aus. Sein Vater hat für derlei Flausen nichts übrig und schickt ihn auf ein Jesuitenin­ternat.

Wie in einem Kammerspie­l zeigt Regisseur Rupert Henning, wie die Buben zwischen schwarzbra­unem Eichenmobi­liar dem autoritäre­n Erziehungs­stil der Patres ausgesetzt sind. „Haltet Abstand!“lautet das oberste Gebot des Generalprä­fekten (Robert Seethaler), der in menschlich­er Nähe Versuchung­en des Teufels sieht. Genau dieser Versuchung will Paul nachgehen, als er eines Tages aus dem Fenster einem blonden Mädchen beim Reiten zusieht.

Der Film „Wie ich lernte bei mir selbst Kind zu sein“nach den Erinnerung­en des Schauspiel­ers und Chansonnie­rs André Hellers zeigt ein Paradox: Beim Erwachsenw­erden kämpft Paul für das Kind-Sein. Doch mit seiner spielerisc­hen Art hebt er diesen Gegensatz auf. Wer glaubt, Fantasie und Wunschdenk­en hinter sich lassen zu müssen, läuft Gefahr, so zu werden wie einige Erwachsene in diesem Film: verbohrt, zynisch, asexuell.

Überhaupt thematisie­rt der Film Sexualität auf unaufgereg­te Weise: Bei einem Teller Kutteln spricht „Onkel Monti“mit dem Fast-Teenager ganz offen über „rauschhaft­e Orgasmen“– vielleicht eine typisch jüdische Art mit diesem Thema umzugehen. Denn auch damit muss sich Paul auseinande­rsetzen: Was bedeutet es, Jude zu sein, zumal in Österreich? „Du bist, wer du bist und deshalb musst du gewisse Dinge wissen“, erklärt ihm sein Onkel Lou und geht mit ihm zu dem Ort, an dem einst die Synagoge stand.

Shoa, katholisch­e Sexualmora­l und erstes Verliebtse­in – das ist dann doch einiges, was im Film verhandelt wird. Verzichten könnte man auf die groteske Jagd des Vaters nach Nazi-Kollaborat­euren; das hätte die fast 140-minütige Produktion verschlank­t. Sonst ist die Themenfüll­e gerechtfer­tigt: Schließlic­h sind auch Heranwachs­ende mit zahlreiche­n Fragen und Problemen konfrontie­rt.

Unbeirrt bahnt sich Paul durch dieses Wirrwarr einen Weg und macht uns Mut, es ihm gleich zu tun: „Bekenne dich zu deiner Merkwürdig­keit“lautet eine seiner Maximen. Auch wenn einige dieser Sentenzen nach seichter Feelgood-Mentalität klingen, wirken sie im Film niemals banal. Im Gegenteil: Auf charmante Weise ruft uns Paul Silberstei­n auf, einfach mal wieder das zu tun, was uns in den Sinn kommt.

Info Ab morgen im Kino.

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FOTO: VERLEIH Valentin Hagg spielt den zwölf Jahre alten Paul Silberstei­n.

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