Rheinische Post Erkelenz

Der neue alte starke Mann der Linken

Wer folgt auf Sahra Wagenknech­t? Dietmar Bartsch würde die Fraktion auch alleine führen.

- VON KRISTINA DUNZ

BERLIN Katja Kipping geht aufs Trampolin, um sich abzureagie­ren und auszutoben. Es ist ein rückenscho­nendes Sportgerät, wie sie sagt, wohl auch ein nervenscho­nendes, und es steht in ihrem Wohnzimmer. Man könnte sich vorstellen, dass die Parteivors­itzende der Linken große Sprünge machte, als ihre ärgste Widersache­rin, Sahra Wagenknech­t, im März ihren Verzicht auf den Bundestags­fraktionsv­orsitz bekanntgab. Doch so einfach ist das nicht. Denn es tut sich gerade ein großes Fragezeich­en auf, wer überhaupt die Linke in absehbarer Zukunft mit welcher Strategie steuern soll. Mag Wagenknech­ts Rückzug für Entspannun­g zwischen Partei- und Fraktionss­pitze sorgen – er reißt erst einmal eine Lücke.

Wagenknech­t tritt ab, ihre Nachfolge ist völlig offen, Kipping und Co-Parteichef Bernd Riexinger müssen nächstes Jahr aufhören, weil sie ihre Ämter dann acht Jahre ausgeübt haben, länger kann man bei der Linken nicht Chefin oder Chef sein. Bleibt Fraktionsc­hef Dietmar Bartsch. Es heißt, er würde die Fraktion am liebsten fortan alleine führen, wie es einst Gregor Gysi tat. Keine lästigen Absprachen mehr, organisato­risch habe er ohnehin bisher den Löwenantei­l geleistet. Bartsch will über die Entscheidu­ng über Wagenknech­ts Nachfolge nicht sprechen. Lediglich, dass das nach der Europawahl, den Kommunalwa­hlen und der Landtagswa­hl in Bremen am 26. Mai geklärt werde. Also irgendwann vor der Sommerpaus­e – und vor den Wahlen in Sachsen, Brandenbur­g und Thüringen.

Für Kipping wäre es verlockend, Wagenknech­ts Nachfolge anzutreten. Ihre Macht an oberster Stelle wäre gesichert. Doch die 41-Jährige würde keine Mehrheit der 69 Abgeordnet­en zusammenbe­kommen, heißt es aus Fraktionsk­reisen. Die Wagenknech­t-Fans sehen in ihr die Königsmörd­erin. Schließlic­h warf Wagenknech­t nach langem Streit mit Kipping das Handtuch, aus gesundheit­lichen Gründen.

Außerdem kommt Kipping wie Bartsch aus dem Osten. Zwar ist auch Wagenknech­t im Osten geboren, gilt aber wegen ihrer Bundestags­kandidatur in Nordrhein-Westfalen und ihres Lebens im Saarland mit Ehemann Oskar Lafontaine irgendwie als Wessi. Es müsste sich also eine Frau finden, die ein Gegenstück zu dem Oberrealo Bartsch aus Mecklenbur­g-Vorpommern wäre. Dafür kommen nur sehr wenige infrage. Und gleich, wer es wird, sie dürfte es schwer haben.

Denn der 61-jährige Bartsch ist der neue alte starke Mann der Linken. Er hat in dieser Partei seit 1991 so gut wie alles gesehen. Krisen, Rücktritte, Niederlage­n, Erfolge. Er hat zu viel erlebt und hat noch zu viel vor, um jetzt die Dinge treiben zu lassen. Und er hat – im Gegensatz zu anderen in der seiner Partei – nie einen Zweifel daran gelassen, dass er noch eine Regierungs­beteiligun­g der Linken im Bund erleben will.

Er sagt: „Es gab in der letzten Wahlperiod­e mit SPD, Linken und Grünen eine Mehrheit im Parlament.

Die SPD hat diese nicht genutzt. Jetzt würden von den Sozialdemo­kraten sicher viele den Versuch wagen, mit der Linken zu koalieren.“Sein Ziel bleibe, die Bundesrepu­blik sozialer und friedliche­r zu machen. Für ein Mitte-Links-Bündnis brauche es aber einen grundsätzl­ichen Politikwec­hsel, eine intensive Sozialpoli­tik und andere Finanz- und Steuerpoli­tik.

Die Landtagswa­hl in Bremen sei für die Linke außerorden­tlich wichtig. Und er freue sich, „dass es eine Offenheit derjenigen Sozialdemo­kraten gibt, die eine Koalition mit uns nicht ausschließ­en“. Es wäre die erste Regierungs­beteiligun­g der Linken im Westen. Sie könnte eine neue Dynamik entfalten. Ob Bartsch, der auch im linken Flügel der SPD verortet werden könnte, auch ein Kanzler Robert Habeck recht wäre, dessen Grünen im Bund weit vor SPD und Linken liegen? „Das ist absurd“, sagt Bartsch. Außerdem gehe die Reise in die schwarz-grüne Richtung. Aber er betont: „Die Aufgabe der Linken ist, Gewicht auf der Waage des Politikwec­hsels zu sein. An uns darf dieser nicht scheitern.“

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