Der neue alte starke Mann der Linken
Wer folgt auf Sahra Wagenknecht? Dietmar Bartsch würde die Fraktion auch alleine führen.
BERLIN Katja Kipping geht aufs Trampolin, um sich abzureagieren und auszutoben. Es ist ein rückenschonendes Sportgerät, wie sie sagt, wohl auch ein nervenschonendes, und es steht in ihrem Wohnzimmer. Man könnte sich vorstellen, dass die Parteivorsitzende der Linken große Sprünge machte, als ihre ärgste Widersacherin, Sahra Wagenknecht, im März ihren Verzicht auf den Bundestagsfraktionsvorsitz bekanntgab. Doch so einfach ist das nicht. Denn es tut sich gerade ein großes Fragezeichen auf, wer überhaupt die Linke in absehbarer Zukunft mit welcher Strategie steuern soll. Mag Wagenknechts Rückzug für Entspannung zwischen Partei- und Fraktionsspitze sorgen – er reißt erst einmal eine Lücke.
Wagenknecht tritt ab, ihre Nachfolge ist völlig offen, Kipping und Co-Parteichef Bernd Riexinger müssen nächstes Jahr aufhören, weil sie ihre Ämter dann acht Jahre ausgeübt haben, länger kann man bei der Linken nicht Chefin oder Chef sein. Bleibt Fraktionschef Dietmar Bartsch. Es heißt, er würde die Fraktion am liebsten fortan alleine führen, wie es einst Gregor Gysi tat. Keine lästigen Absprachen mehr, organisatorisch habe er ohnehin bisher den Löwenanteil geleistet. Bartsch will über die Entscheidung über Wagenknechts Nachfolge nicht sprechen. Lediglich, dass das nach der Europawahl, den Kommunalwahlen und der Landtagswahl in Bremen am 26. Mai geklärt werde. Also irgendwann vor der Sommerpause – und vor den Wahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen.
Für Kipping wäre es verlockend, Wagenknechts Nachfolge anzutreten. Ihre Macht an oberster Stelle wäre gesichert. Doch die 41-Jährige würde keine Mehrheit der 69 Abgeordneten zusammenbekommen, heißt es aus Fraktionskreisen. Die Wagenknecht-Fans sehen in ihr die Königsmörderin. Schließlich warf Wagenknecht nach langem Streit mit Kipping das Handtuch, aus gesundheitlichen Gründen.
Außerdem kommt Kipping wie Bartsch aus dem Osten. Zwar ist auch Wagenknecht im Osten geboren, gilt aber wegen ihrer Bundestagskandidatur in Nordrhein-Westfalen und ihres Lebens im Saarland mit Ehemann Oskar Lafontaine irgendwie als Wessi. Es müsste sich also eine Frau finden, die ein Gegenstück zu dem Oberrealo Bartsch aus Mecklenburg-Vorpommern wäre. Dafür kommen nur sehr wenige infrage. Und gleich, wer es wird, sie dürfte es schwer haben.
Denn der 61-jährige Bartsch ist der neue alte starke Mann der Linken. Er hat in dieser Partei seit 1991 so gut wie alles gesehen. Krisen, Rücktritte, Niederlagen, Erfolge. Er hat zu viel erlebt und hat noch zu viel vor, um jetzt die Dinge treiben zu lassen. Und er hat – im Gegensatz zu anderen in der seiner Partei – nie einen Zweifel daran gelassen, dass er noch eine Regierungsbeteiligung der Linken im Bund erleben will.
Er sagt: „Es gab in der letzten Wahlperiode mit SPD, Linken und Grünen eine Mehrheit im Parlament.
Die SPD hat diese nicht genutzt. Jetzt würden von den Sozialdemokraten sicher viele den Versuch wagen, mit der Linken zu koalieren.“Sein Ziel bleibe, die Bundesrepublik sozialer und friedlicher zu machen. Für ein Mitte-Links-Bündnis brauche es aber einen grundsätzlichen Politikwechsel, eine intensive Sozialpolitik und andere Finanz- und Steuerpolitik.
Die Landtagswahl in Bremen sei für die Linke außerordentlich wichtig. Und er freue sich, „dass es eine Offenheit derjenigen Sozialdemokraten gibt, die eine Koalition mit uns nicht ausschließen“. Es wäre die erste Regierungsbeteiligung der Linken im Westen. Sie könnte eine neue Dynamik entfalten. Ob Bartsch, der auch im linken Flügel der SPD verortet werden könnte, auch ein Kanzler Robert Habeck recht wäre, dessen Grünen im Bund weit vor SPD und Linken liegen? „Das ist absurd“, sagt Bartsch. Außerdem gehe die Reise in die schwarz-grüne Richtung. Aber er betont: „Die Aufgabe der Linken ist, Gewicht auf der Waage des Politikwechsels zu sein. An uns darf dieser nicht scheitern.“