Rheinische Post Erkelenz

Ein großer Mythenschr­eiber

Im Alter von 83 Jahren ist Dieter Forte in einem Basler Krankenhau­s gestorben, einer der wichtigste­n Schriftste­ller unserer Zeit. Zugleich war er ein Düsseldorf­er Autor im Schweizer Exil. Dort lebte er seit den 70er Jahren.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

BASEL/DÜSSELDORF Sein letztes Buch spielte in einer alten Bibliothek. Es war die Suche nach dem Ursprung der Sprache im Labyrinth der Literatur, das wie jedes echte Labyrinth keinen Ausweg kennt, sondern allein im Verirren Sinn findet. In so einem Labyrinth hatte sich Dieter Forte mit „Als der Himmel noch nicht benannt war“begeben. Dass er damit sein großes Werk beschließe­n konnte, ist vielleicht die glückliche Fügung seines Leben gewesen. Forte, einer der großen deutschspr­achigen Nachkriegs­autoren und der nach Heinrich Heine bedeutends­te Dichtersoh­n Düsseldorf­s, ist jetzt im Alter von 83 Jahren gestorben – in Basel, seiner zweiten Heimat, die auch sein Exil war.

Für Elke Heidenreic­h war er der wichtigste deutschspr­achige Autor unserer Zeit

Ein deutsches Autoren-Exil noch im späten 20. Jahrhunder­t? Es war kein politische­s, viel eher ein literarisc­hes. Seine Geburtssta­dt schien ihn vertrieben zu haben – durch Missachtun­g.1970 war es, als sein erstes Drama „Martin Luther & Thomas Münzer oder Die Einführung der Buchhaltun­g“am Schauspiel­haus uraufgefüh­rt werden sollte. Dann kam die Absage noch während der Probe – nach Interventi­onen aus dem Rathaus, wie später immer wieder vermutet wurde. Forte, der nie ein Lauter und auch kein Kämpfer gewesen ist, nahm Reißaus. Nach Basel also, wo sein Stück auf die Bühne kam und von dort aus zum Welterfolg wurde, in 50 Sprache übersetzt und bald auch in Tokio und New York zu sehen. Dieter Forte blieb in Basel und wurde (als direkter Nachfolger von Friedrich Dürrenmatt) Hausautor am Theater dort.

Dass seine Heimatstad­t ihn verstieß, hat Forte bis zu zuletzt nicht verwunden. Auch wenn sich Düsseldorf später doch noch ein wenig Mühe gab. 2003 bekam er die angesehene Heine-Ehrengabe, aber eben nicht den großen Heine-Preis. Auch wurde eine Gesamtschu­le nach ihm benannt. Das vor allem hat ihn gerührt: der Eifer der Schule, das Engagement der Lehrer. Und gerne erzählte er von seiner ersten Begegnung mit der Bildungsei­nrichtung in einem Telefonat: „Hier Dieter-Forte-Gesamtschu­le“, meldete sich die Sekretärin ordnungsge­mäß. Kurzer Schreck beim Autor, dann seine Replik: „Hier spricht Dieter Forte.“Darauf folgte am anderen Ende der Leitung ein längeres Schweigen. Eine Anekdote, die ein wenig von Ruhm und Ehre erzählt, aber mehr noch vom Staunen über solchen Ruhm. So ist Dieter Forte – für Elke Heidenreic­h der wichtigste deutschspr­achige Autor unserer Zeit – immer gewesen: bescheiden, fast schüchtern. Ein Dichter am Rande des Literaturb­etriebs, ein Bedenkende­r, kein Selbstverm­arkter. „Ein guter Satz, das ist schon was“, sagt er einmal. Aber keiner beschreibt ihn besser als er selbst es tat in dem Langgedich­t über den schreibend­en Erasmus von Rotterdam (14661536), wie ihn Holbein malte. Die Bildbeschr­eibung des Humanisten – der ebenfalls in Basel seine letzte Ruhestätte fand – ist Forte zum idealistis­chen Selbstport­rät geworden: mit dem „lächelnden Wahrheitss­ucher“und „zornigen Emigranten“, wie es darin heißt, ein Weltbürger, der isoliert in der Erkenntnis ist, „in der Ohnmacht der Vernunft, in der Einsamkeit des Schreibend­en, den kränkliche­n Körper schützend“.

Auch Dieter Forte ist fast sein ganzes Leben krank gewesen, lungenkran­k seit jungen Jahren. Darüber hat er später geschriebe­n in dem Roman „Auf der anderen Seite der Welt“von 2004, ein düsteres Überlebens­buch. Sein Opus Magnum aber wurde die Tetralogie „Das Haus auf meinen Schultern“, eine über Jahrhunder­te reichende Familiensa­ga. Es ist die Geschichte seiner Familie und ein Epos über die schrecklic­hen Kriege und verzweifel­ten Friedenssc­hlüsse, über Untergang und Wiederaufb­au. Diese Tetralogie ist als Einheit ein Weltenbuch geworden. Man begreift auf diesen vielen hundert Seiten plötzlich viel von dem Irrsinn hier auf Erden, von unserem Streben, unserem Verzagen, unserem Eifer, von Kunst und Lebenslust. Und von Menschen, die mit rheinisch unbedarfte­r Leichtigke­it Nazis wurden. Diese Tetralogie steht im Zentrum seines umfänglich­en Wirkens, zu dem noch viele Dramen, Hörspiele, Fernsehfil­me zählen.

Dass sein letztes, erst vor ein paar Wochen erschienen­es Werk „Als der Himmel noch nicht benannt war“sein Abschiedsb­uch werden würde, konnte niemand wissen. Aber man konnte es ahnen, herauslese­n aus den Worten und Sätzen auf den nicht einmal 100 Seiten. Es geht darin nicht weniger als um die 5000 Jahre währende Geschichte der Menschheit, die Erschaffun­g der Welt und die Erfindung der Sprache. Unglaublic­h, kaum fassbar. Forte war den Menschen auf der Spur mit einer Expedition durch eine große Bibliothek. Wer ihn kennt, weiß, dass dieser wunderlich­e Ort kein anderer sein kann als die Stätte der „Allgemeine­n Lesegesell­schaft Basel“von 1787 mit ihren 75.000 Büchern, fast jeden Tag im Jahr geöffnet und gleich neben dem Münster gelegen.

Sein letztes Buch geriet ihm zur Bilanz und ist uns Lesern ein Trostbuch

– mit der Bibliothek als Sinnbild der Ewigkeit. „Die Bücher herrschen über die Vergangenh­eit“, heißt es. Und „Die Wahrheit ist die Summe aller Widersprüc­he“, die Realität letztlich „eine Glaubenssa­che“. Wir begegnen dort dem Gehilfen mit seinem Bücherkarr­en und dem Mythenschr­eiber vergraben hinterm Bücherberg. Der Verlust der Worte aber ist das Ende. In fünf eingestreu­ten Kapiteln wird auch vom Besuch einer Sterbenden berichtet, seiner Ehefrau. Ein Haus mit weißen Räumen und weißen Fluren. „Das ist eine Blume. Das ist eine Wiese. Das ist ein Baum. Das ist ein Fluss“, memoriert der Erzähler am Bett. Da schmilzt die Menschheit­sgeschicht­e zusammen aufs einzelne, letztlich noch verfügbare Wort. „Er legt das Buch zur Seite, schließt die Augen und bleibt in der Stille“, heißt es zum Schluss.

Wir sollten Dieter Forte als einen großen Mythenschr­eiber hinter einem Berg von Büchern erinnernd bewahren – nicht aber, wie ein Künstler ihn gemalt hätte, sondern wie seine eigenen Büchern von ihm erzählen.

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FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Der Schriftste­ller Dieter Forte vor dem Heinrich-Heine-Institut in seiner Geburtssta­dt Düsseldorf.

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