Rheinische Post Erkelenz

„Der VRR-Tarif muss einfacher werden“

- MAXIMILIAN PLÜCK FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Der neue Chef des Verkehrsve­rbunds Rhein-Ruhr über Verspätung­en, Baustellen und Hybrid-Züge.

GELSENKIRC­HEN Seit gut 100 Tagen ist Ronald Lünser Chef des Verkehrsve­rbunds Rhein-Ruhr (VRR). Er stammt aus einer echten Eisenbahne­r-Familie. Schon sein Großvater nahm ihn mit ins Bahnbetrie­bswerk Pasewalk. Die Faszinatio­n blieb. Lünser wurde selbst Lokführer, dürfte bis heute Diesel- und Elektrolok­s fahren und auf einer Dampflok zumindest heizen. Ein Gespräch über seine neue Aufgabe als VRR-Chef:

Sie haben gleich zu Beginn die DB Regio, die Nordwestba­hn und Keolis abgemahnt. Wieso?

LÜNSER Im letzten Quartal 2018 haben wir massive Qualitätse­inbrüche festgestel­lt. Dass wir nicht mehr die zugesagten Leistungen bekommen haben, hat mich massiv geärgert. Ich wollte es nicht damit bewenden lassen, Strafzahlu­ngen einzubehal­ten. Deshalb habe ich den Unternehme­n öffentlich die gelbe Karte gezeigt.

Mit dem erwünschte­n Erfolg? LÜNSER Ja. Das hat sie nicht kalt gelassen. Bei DB Regio wurde eine Task Force eingericht­et. Dort war das Problem vor allem das Technikver­sagen durch zu wenig Werkstattp­ersonal und eine schlechte Ausstattun­g mit Ersatzteil­en. Inzwischen stellen wir eine erhebliche Verbesseru­ng bei der Fahrzeugbe­reitstellu­ng fest, auch wenn wir noch nicht beim Optimum sind. Ersatzteil­e, die vorher für Bayern vorgesehen waren, kommen jetzt nach NRW.

Was waren bei der Nordwestba­hn und Keolis die Probleme?

LÜNSER Die waren personalbe­dingt. Das Management beider Unternehme­n hat zu lange offensicht­liche Engpässe ignoriert. Die Verantwort­lichen haben versucht, diese durchzumog­eln. Deshalb habe ich ihnen externe Berater ins Haus geschickt.

Wären Sie bereit, einen Verkehrsve­rtrag zu kündigen?

LÜNSER Absolut. Aber das wäre die Ultima Ratio. Wenn es auf einer bestimmten Linie nicht läuft, warum sollte man diese dann nicht dem Unternehme­n dauerhaft oder vorübergeh­end entziehen? Das ist juristisch zwar kniffelig, aber machbar. Darüber hinaus gibt es ja noch weitere Wege, um ans Ziel zu kommen.

Welche?

LÜNSER Wir müssen das Strafzahlu­ngs-Modell ändern. Wenn sich heute jemand vor einen Zug wirft, wird das Unternehme­n für den Zugausfall bestraft, obwohl es nichts dafür kann. Anders sieht es beim Thema Lokführer aus. Natürlich muss das Unternehme­n sicherstel­len, dass ein Triebfahrz­eugführer im Zug ist. Solche Unterschie­de müssen in einem künftigen Modell berücksich­tigt werden.

Sie hatten zuletzt auch Prämien bei Besserleis­tung ins Spiel gebracht. LÜNSER Wenn wir Pünktlichk­eitswerte von 93 Prozent ausschreib­en, könnte man doch alles, was darüber geleistet wird, auch prämieren.

Ein Teil der Verspätung­en hängt mit der massiven Bautätigke­it der Bahn zusammen. Was überwiegt bei Ihnen: Freude darüber oder Frust?

LÜNSER Es war bitter nötig, dass wieder Milliarden in die Schiene in NRW fließen. Streckenst­illlegunge­n seit der Jahrtausen­dwende und das Fahren auf Verschleiß haben dazu geführt, dass das System am Limit ist. Ein hausgemach­tes Problem also. Nun ist ein Jahrzehnt der Baustellen angebroche­n – mit Großprojek­ten wie dem Umbau des Knotens Köln, dem RRX-Ausbau und der Betuwe-Linie. Hinzu kommen kleinere Projekte und in Summe sind es dann knapp 1000. Dass grundsätzl­ich investiert und gebaut wird freut mich zwar, aber wir werden Bauzuständ­e haben, in denen über Wochen auf mancher Linie gar nichts fährt.

Wie beurteilen Sie das Baustellen­management der Deutschen Bahn? LÜNSER Früher war ich ein dogmatisch­er Anhänger von „Bauen unterm rollenden Rad“– also längere Baustellen­phasen, in denen Schienen offengehal­ten wurden, um den der Betrieb aufrechtzu­erhalten. In der heutigen, extrem angespannt­en Situation fährt man mit der radikalere­n „Augen zu und durch“-Methode besser. Wenn man einen ordentlich­en Ersatzverk­ehr hinbekommt, ist die kurzzeitig­e Vollsperru­ng das kleinere Übel. Wir brauchen schnell spürbare Verbesseru­ngen. Wie sinnvoll ist es, dass sich das bevölkerun­gsreichste Bundesland drei Verkehrsve­rbünde leistet? LÜNSER Ich bezweifele, dass ein NRW-weiter Verbund besser wäre. Vielfalt und dezentrale Strukturen sind nicht per se schlecht. Durch eine Fusion würde man nämlich nichts sparen. Wir haben keine operatives Geschäft, sondern sind drei hochmodern­e Management­gesellscha­ften. Die Arbeit, die da ist, muss gemacht werden. Wir müssen allerdings die Verbandspe­rspektiven häufiger hintenanst­ellen und stattdesse­n mehr die Sicht des Kunden einnehmen.

Und der will ohne Tarifwirrw­arr quer durch NRW fahren.

LÜNSER Ja, das Tarifsyste­m muss einfacher werden. Die Hürden für Spontanfah­rer sind zu groß. Selbst mir fällt es schwer, die Vielzahl der Tarife zu durchschau­en. Bei allen Vereinfach­ungen müssen wir aber im Blick behalten, dass wir einen Tarif benötigen, um unser Leistungsa­ngebot zu finanziere­n. Und das wird immer herausford­ernder: Die gesamte Betriebsle­istung ist in den vergangene­n 20 Jahren zwar um eindrucksv­olle 35 Prozent gestiegen, die Beförderun­gsleistung zeitgleich aber um 85 Prozent. Viel mehr Menschen fahren im VRR-Gebiet mit Bus und Bahn. Das bringt das System an seine Grenzen.

Wenn wir schon beim Thema Vereinheit­lichung sind: Gibt es realistisc­he Chancen dafür, die Stadtbahn-Netze mit ihren unterschie­dlichen Spurbreite­n durchgängi­g befahrbar zu machen? LÜNSER Vereinheit­lichung klingt immer schön. Gleiche Fahrzeuge, gleiche Instandhal­tung, gleiche Logistik – das wäre super. Ist das realistisc­h? Nein. Und echte Systembrüc­he, also Orte, an denen der Fahrgast umsteigen muss, weil es unterschie­dliche Spurbreite­n gibt, existieren im VRR vier. Das halte ich für verkraftba­r. Wenn man schon Geld ins System stecken will, dann sollte man es in modernere Züge stecken, denn die stammen zumeist aus den 70er- und 80er-Jahren.

Wie zuversicht­lich sind Sie beim Thema RRX-Ausbau? Die Angermunde­r machen ja ordentlich Rabatz.

LÜNSER Es ist wichtig, die Bürger zu beteiligen, sonst hat man schnell ein zweites Stuttgart 21. Ich wünsche mir, dass es keine weiteren großen Szenarien wie in Angermund gibt. Ich verstehe die dortigen Bürger, deren aktuelle Situation nicht tragbar ist. Aber mit dem Projekt kommen zwei neue Gleise und damit auch entspreche­nde Schallschu­tzmaßnahme­n. Ich verstehe auch, dass die Angermunde­r keine Berliner Mauer durch ihren Ort haben wollen. Ich hoffe, dass sich Bahn und Bürger schnell einigen. Die Proteste hemmen den Fortgang des RRX, aufhalten werden sie ihn jedoch nicht.

Viele ländliche Räume, in denen die Firmen schon unter Fachkräfte­mangel leiden, profitiere­n nicht vom RRX. Ist die Ausrichtun­g des Projektes nicht viel zu einseitig? LÜNSER Durchaus. Aber das ist historisch so gewachsen. Die Nord-Süd-Verbindung wurde immer etwas stiefmütte­rlicher behandelt. Das merkt man daran, dass zwei wichtige Oberzentre­n wie Dortmund und Münster nur eingleisig miteinande­r verbunden sind. Doch wir gehen das jetzt an: Wir schreiben das Niederrhei­n-Münsterlan­dnetz aus, dass wir 2025/26 an den Start bringen wollen. Große Teile dieses Netzes wollen wir übrigens mit alternativ­en Antrieben bewältigen.

In Rede standen schon einmal wasserstof­fbetrieben­e Züge.

LÜNSER Das ist wieder vom Tisch, weil es sich wirtschaft­lich nicht darstellen ließ. Wir wollen stattdesse­n Hybrid-Fahrzeuge einsetzen: Mit Batterie und Oberleitun­gsnutzung. Der Vorteil: Man könnte damit die nicht elektrifiz­ierten Strecken überbrücke­n. Das planen wir gerade. Wir reden über etwa 50 Fahrzeuge. Und es dürfte sich um zwölf bis 15 Millionen Zugkilomet­er handeln. Kein kleines Netz.

 ?? FOTO: VOLKER HARTMANN/FUNKE FOTO SERVICES ?? Ronald Lünser stammt zwar aus Pasewalk in Mecklenbur­g-Vorpommern, lebt aber schon sein halbes Leben lang in Dortmund.
FOTO: VOLKER HARTMANN/FUNKE FOTO SERVICES Ronald Lünser stammt zwar aus Pasewalk in Mecklenbur­g-Vorpommern, lebt aber schon sein halbes Leben lang in Dortmund.

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