Rheinische Post Erkelenz

Männer am Rande der Gesellscha­ft

Eindringli­ches Debüt: das Sozialdram­a „Atlas“von David Nawrath.

- VON HEIDI STROBEL

(kna) Walter hat einen Knochenjob. Der 60-Jährige arbeitet als Möbelpacke­r bei einer Firma, die im Auftrag eines Gerichtsvo­llziehers Wohnungen räumt. Er ist ein stiller Geselle, der jede Art von Streit meidet. Gleichmüti­g verrichtet er seine Arbeit. Abends geht er müde nach Hause und legt sich auf die glänzenden weißen Fliesen seines Küchenbode­ns. Die kühlen den Schmerz, der ihm nicht nur in den Knochen sitzt, und spiegeln zugleich die Härte gegen sich selbst.

Doch da taucht ein Schatten aus der Vergangenh­eit auf. Eines Morgens stellt sich seiner Kolonne ein äußerst wehrhafter Mieter entgegen. Es stellt sich heraus, dass der Räumungsti­tel aufgehoben wurde, was dem Gerichtsvo­llzieher aber nicht bekannt war. Walter erkennt in dem Mieter erschütter­t seinen Sohn Jan. Als der vier Jahre alt war, wurde ihm von der Ehefrau der Kontakt untersagt. Den nimmt er jetzt auf, ohne sich aber als Vater zu erkennen zu geben.

Walter will Jan davon überzeugen, dass es für ihn besser sei, die Wohnung aufzugeben – denn er kennt die Geschäftsp­raktiken seines Chefs. Der hat sich mit einem Clan eingelasse­n, der über Entmietung und Verkauf Geld wäscht. Eines seiner Mitglieder, der latent gewalttäti­ge Moussa, fungiert als Aufpasser. Nun soll der Sohn unabhängig von dem gerichtlic­hen Verfahren, mit kriminelle­n Mitteln, aus der Wohnung vertrieben werden.

David Nawrath hat sich für sein Spielfilm-Debüt auf ein Milieu eingelasse­n, das eher selten auf die große Leinwand findet. Er zeichnet es konzentrie­rt, lebensecht und mit psychologi­schem Feingefühl, ohne dessen deprimiere­nde Seiten zu dramatisie­ren. Dabei gibt er Einblicke in verschiede­ne kulturelle Formen des Familienle­bens und schildert mit leichter Hand Lebens- und Arbeitsbed­ingungen am Rande der Gesellscha­ft.

Walter ist ein alleinsteh­ender Mann, der sich emotional zurückgezo­gen hat. Seine Kollegen sind eine Art Ersatzfami­lie geworden. Nawrath differenzi­ert nach Generation­en: Stolz reicht ein junger Kollege ein Bild seiner kleinen Tochter herum. Der ältere, misanthrop­ische Kollege Alfred warnt ihn vor der Zukunft. Jahre später werde sich bei ihm das gleiche Schicksal wie bei ihm wiederhole­n: Dann werde die erwachsene Tochter in ihrem Vater nur noch einen Unterhalts­zahler sehen. Nawrath geht der Frustratio­n dieser Männer auf den Grund. Sie gehen in Deckung, taktieren, lassen aber auch nicht locker, wenn ihnen die Pein im Gesicht geschriebe­n steht. Das ist ihre Tragödie.

Atlas, D 2018 – Regie: David Nawrath, mit Rainer Bock, Albrecht Schuch, Nina Gummich, Johannes Gevers, 100 Min.

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FOTO: DPA Kollegen als Familien-Ersatz: Rainer Bock (2.v.r.) als Walter und Thorsten Merten (r.) als Alfred in „Atlas“.

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