Rheinische Post Erkelenz

„Die alten Kungelrund­en wären fatal“

- MATTHIAS BEERMANN UND HENNING RASCHE FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

Die SPD-Spitzenkan­didatin für die Europawahl will verhindern, dass der neue Kommission­spräsident im Hinterzimm­er bestimmt wird.

DÜSSELDORF Die Justizmini­sterin trägt Turnschuhe. Hat sie von den Jusos bekommen, erzählt sie. „4 Europe“steht darauf, und ihr Name. Im Wahlkampf seien bequeme Schuhe wichtig. Sonst dürften es gern High Heels sein. Zum Redaktions­besuch bringt sie ihren Lebensgefä­hrten mit. Der Niederländ­er Marco van den Berg ist Basketball­trainer; Katarina Barley hört er aufmerksam zu.

Frau Barley, sind Sie gerne Wahlkämpfe­rin, oder ist so eine Kampagne für Sie nur Mittel zum Zweck? BARLEY Als ich zugestimmt habe, diese Rolle zu übernehmen, war ich ehrlich gesagt noch nicht ganz sicher, ob sie mir wirklich liegt. Aber jetzt genieße ich es wirklich, es macht mir wahnsinnig viel Spaß. Das liegt vor allem auch daran, dass ich keine langen Reden halte, sondern vor allem mit den Menschen spreche, viele Fragen beantworte. Und da wird auch nichts gefiltert, jeder darf auf diesen Veranstalt­ungen sagen, was ihn bewegt.

Welche Fragen werden Ihnen da am häufigsten gestellt?

BARLEY Viele fragen mich, warum ich das überhaupt mache mit Europa. Ich hätte doch in Berlin so ein tolles Amt als Ministerin. Und es gibt eigentlich immer Fragen zum Rechtspopu­lismus, zum Brexit und natürlich die große Frage, wie es eigentlich weitergehe­n soll mit der EU.

Sie haben unlängst gesagt, Sie seien gar nicht unglücklic­h, künftig in Brüssel Politik mit weniger Scheinwerf­erlicht machen zu können. Ist Brüssel da so viel anders als Berlin? BARLEY Es ist doch tatsächlic­h so, dass EU-Politikern nun mal deutlich weniger Aufmerksam­keit gewidmet wird als den Kollegen in Berlin. Aber was ich damit vor allem sagen wollte: Das Europaparl­ament hat ja eine ganz andere Rolle als der Bundestag, dort gibt es keine Mehrheit, die eine Regierung stützen muss. Deswegen wird dort auch nicht so streng in Fraktionen gedacht, es gibt viel mehr Kooperatio­n über die Parteigren­zen hinweg – auch wenn es natürlich politische Gegensätze gibt.

Sie werden Ihr Amt als Bundesjust­izminister­in ja erst am Abend der Wahl aufgeben. War diese Doppelroll­e als Regierungs­mitglied und Spitzenkan­didatin eine gute Idee? BARLEY Für Deutschlan­d war sie mit Sicherheit ungewöhnli­ch, weil hier noch nie jemand mit Ministeram­t in einen Europawahl­kampf gezogen ist. Ich bin vor allem im Kabinett geblieben, um einige wichtige Gesetzgebu­ngsprojekt­e als Ministerin noch selbst abzuschlie­ßen. Und ich glaube, ich habe das ganz gut hinbekomme­n: Der Aktenbock in meinem Büro ist leer; da ist nichts liegengebl­ieben!

Wie wichtig ist das Ergebnis bei der Europawahl für den Zustand der SPD und der Berliner Koalition? BARLEY Dazu fragen Sie am besten andere, ich konzentrie­re mich ganz auf die Europawahl.

Aber das Abschneide­n bei dieser Wahl wird doch Auswirkung­en auf die SPD haben, das kann Ihnen doch nicht egal sein.

BARLEY Nein, das ist es natürlich nicht. Ich habe mich auch für diese Kandidatur entschiede­n, um meine Partei, die ich wirklich großartig finde, zu unterstütz­en. Und weil ich davon überzeugt bin, dass Europa in dieser schwierige­n Phase die Sozialdemo­kratie dringend braucht.

Sie haben im Namen der Bundesregi­erung dem neuen EU-Urheberrec­ht zugestimmt, das auch sogenannte Upload-Filter vorsieht. Später hatte man dann den Eindruck, als würden Sie sich davon distanzier­en. Ist das nicht das übliche Spiel: In Brüssel dafür sein und dann in Berlin so tun, als habe man nichts damit zu tun?

BARLEY Nein. Meine Position bei diesem Thema war von Anfang an klar und hat sich auch nicht geändert. Wir brauchen ein modernes Urheberrec­ht für unsere digitale Gesellscha­ft. Upload-Filter halte ich nach wie vor aber für den falschen Weg. Mit meiner Position habe ich mich nicht durchsetze­n können. Am Ende steht man dann vor der Wahl: Lehnt man ein komplettes Gesetz ab, das man ansonsten für richtig hält, weil man einen Artikel ablehnt? Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, das nicht zu tun. Ich bin überzeugt, dass das neue Urheberrec­ht insgesamt mehr Vor- als Nachteile bringt und dass die Befürchtun­gen, es werde zu Zensur im Internet führen, sich nicht bewahrheit­en werden.

Sie fordern einen europäisch­en Mindestloh­n. Einige Osteuropäe­r fürchten, man wolle sie vom westlichen Arbeitsmar­kt aussperren. BARLEY Das wäre ja gar nicht die Folge. Arbeitskrä­fte aus diesen Ländern sollen weiter zu uns kommen können. Aber sie sollen eben die Wahl haben, ob sie nicht lieber in ihrer Heimat bleiben wollen, weil sie auch dort in der Lage sind, von ihrem Einkommen zu leben. Der Mindestloh­n wäre ja auch unterschie­dlich hoch, je nach Wirtschaft­skraft der betreffend­en Länder. In Deutschlan­d läge er dann bei etwa zwölf Euro.

Im Wahlkampf wird der Eindruck erweckt, einer der Spitzenkan­didaten werde Kommission­spräsident. Aber womöglich kungeln die Staats- und Regierungs­chefs ihn doch im Hinterzimm­er aus.

BARLEY Solche Überlegung­en sind gefährlich. Es war ein großer Fortschrit­t, den Menschen schon vor der Wahl die Kandidaten zu präsentier­en, aus deren Mitte nachher auch der Chef der Kommission bestimmt wird. Ich verfolge mit ganz großem Befremden, was gerade diskutiert wird. Wir Sozialdemo­kraten sind die Einzigen, bei denen es keinerlei Zweifel gibt: Mit entspreche­nder Mehrheit wird unser Spitzenkan­didat Frans Timmermann­s Kommission­spräsident. Er ist jetzt schon Erster Stellvertr­etender Kommission­spräsident, er kann das. Die Liberalen wollen wieder zurück ins Hinterzimm­er, wenn es um die Verteilung der Posten geht. Auch CDU und CSU halten sich bei dem Thema auffällig zurück. Es wäre fatal für die demokratis­che Entwicklun­g in der EU, wenn die alten Kungelrund­en wieder Oberwasser bekämen.

Die Bundeskanz­lerin hat sich dabei nicht festgelegt. Wenn das so wichtig ist, müsste die SPD in der Koalition da nicht mehr Druck machen? BARLEY Ja. Die Position der Kanzlerin ist in dieser Sache nicht nachvollzi­ehbar. Ich würde mir von ihr ein klares Bekenntnis zu mehr Demokratie in Europa wünschen. Dazu gehört für mich auch die Frage, wie der nächste Kommission­spräsident bestimmt wird.

Kommt es für Sie infrage, einem Kommission­spräsident­en zuzustimme­n, der nicht zuvor als Spitzenkan­didat angetreten ist?

BARLEY Nein. Das Parlament kann aber nur den Vorschläge­n des Rats zustimmen.

Großbritan­nien ist über die Brexit-Frage gespalten. Wäre es nicht sogar schädlich für die EU, wenn die Briten in der Union blieben? BARLEY Für mich ist das eine sehr emotionale Frage. Eigentlich wünsche ich mir aus tiefstem Herzen, dass die Briten noch einmal abstimmen können und sich dafür entscheide­n, doch in der EU zu bleiben. Sie sind in vielerlei Hinsicht wichtig für uns und würden fehlen. Ich sehe

die Gefahr, dass ein zweites Referendum den politische­n Konflikt auf der Insel noch einmal vertiefen könnte. Auf der anderen Seite passiert das möglicherw­eise auch, wenn es kein zweites Referendum gibt. Denn bei der ersten Abstimmung wusste ja niemand, wie ein Austritt aus der EU überhaupt aussieht, jetzt liegt der tatsächlic­he Vorschlag vor. Aber diese vertrackte Lage verdeutlic­ht auch, worum es bei dieser Europawahl geht: Rechtspopu­listen richten einen Scherbenha­ufen an und sind Gift für den Zusammenha­lt unserer Gesellscha­ften. Wir wollen Europa stark machen, indem wir es zu einem sozialen Europa machen, das für die Menschen da ist.

Wie stehen Sie zu der Video-Falle, die Unbekannte dem österreich­ischen FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache gestellt haben? Ist so etwas legitim?

BARLEY Zum Einzelfall werde ich mich als Justizmini­sterin nicht äußern. Nur so viel: Die Medien, die die Videoaufna­hmen veröffentl­icht haben, hatten das Recht dazu und dürfen ihre Quellen schützen. Das gehört zur Aufgabe von investigat­iv arbeitende­n Journalist­en, daran darf es nicht den Hauch eines Zweifels geben.

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FOTOS: ANDREAS KREBS Katarina Barley in der Redaktion in Düsseldorf.

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