Theresa May steht vor dem Aus
Die britische Premierministerin hat ihre Regierung in die Handlungsunfähigkeit manövriert.
LONDON Das Endspiel hat begonnen. Die britische Premierministerin Theresa May soll, wie britische Zeitungen übereinstimmend voraussagen, am Freitag ihren Rücktritt bekannt geben. Sie trifft am Freitagmorgen den Vorsitzenden des 1922-Ausschusses, Sir Graham Brady, der ihr sagen wird, dass sie die Unterstützung der Hinterbänkler in der Regierungsfraktion verloren hat. Mays Kabinett ist ohnehin in Aufruhr. Die Ministerin für Parlamentsfragen, Andrea Leadsom, war am Mittwochabend aus Protest gegen Mays Brexit-Politik von ihrem Posten zurückgetreten. Es war der 36. Minister-Abgang innerhalb von drei Jahren.
Die Tage der Premierministerin waren schon seit Wochen gezählt, nachdem sie gezwungen worden war zu versprechen, dass sie für die zweite Phase der Brexit-Gespräche nicht mehr zur Verfügung stehen würde. Die konkrete Ausgestaltung des Brexit will Mays Fraktion lieber einem ausgewiesenen Hardliner überlassen. Immerhin konnte sich die Regierungschefin noch ausbitten, in einem letzten Versuch über den von ihr ausgehandelten Austrittsvertrag im Unterhaus abstimmen zu lassen. Drei Mal war er schon abgelehnt worden, ein vierter Anlauf sollte in der ersten Juni-Woche erfolgen.
Als May am Mittwochnachmittag in einer Erklärung vor dem Unterhaus ihr „Gesetz über das EU-Austrittsabkommen“vorstellte, wurde deutlich, wie isoliert die Premierministerin ist. Die meisten Hinterbänkler verließen den Sitzungsaal, als May sich den Fragen der Opposition stellen musste. Und die halbe Kabinettsmannschaft zog es vor, erst gar nicht zu erscheinen. Die Minister waren entrüstet, dass May bei den Themen Zollunion und zweites Referendum über Kabinettsabsprachen hinausgegangen war, um die Stimmen abtrünniger Labour-Abgeordneter einzufangen. Als Außenminister Jeremy Hunt und Innenminister Sajid Javid um ein Gespräch mit May in ihrem Amtssitz baten, wurde ihnen eine Audienz glatt verwehrt. May habe wohl, spottete einer ihrer Fraktionskollegen, „in der Downing Street das Sofa gegen die Tür gerammt“. Die Schlagzeilen der Zeitungen waren verheerend: „Kabinett-Coup“, „Unter Belagerung“, „Das Ende ist nahe“. In einem Leitartikel nach dem anderen wurde die Regierungschefin beschworen, ihren Platz zu räumen.
Seit Monaten hatte May eigentlich wenig mehr gemacht, als Zeit zu schinden. Die Engländer haben die Redensart „to kick the can down the road“, etwa: die Büchse die Straße entlangkicken. Damit drücken sie aus, etwas auf die lange Bank zu schieben. Premierministerin Theresa May, da sind sich im Königreich alle einig, war die unbestrittene Weltmeisterin im Büchsenkicken. Ein ums andere Mal hat sie Abstimmungen über ihren Brexit-Deal entweder verschieben oder nach Niederlagen erneut ansetzen lassen. Schließlich hatte sie dann eine Zombie-Regierung angeführt, in der nichts mehr ging. Das Kabinett war tief gespalten. Vakante Ministerposten wurden nicht mehr besetzt. Im Unterhaus konnten keine neuen Gesetze mehr eingebracht werden. Das Gezerre um den Brexit dominierte und paralysierte die gesamte Regierung.
Mays Büchsenkicken hat zudem dazu geführt, dass sich im Land die Stimmung drastisch gegen die Regierung, gegen Politiker allgemein und gegen das Parlament gekehrt hat. Wer an diesem Donnerstag wählen ging, war ein Wutbürger: Jene, die erzürnt über die Unfähigkeit der Regierung sind, strömten zur neugegründeten Brexit-Partei des Rechtspopulisten Nigel Farage. Eine Protestwahl wurde es auch für diejenigen, die voller Entsetzen auf die negativen Konsequenzen eines Brexit blicken und zu Parteien umschwenkten, die für den Verbleib in der EU sind. Das wird eine mögliche Kompromisslösung beim Brexit noch schwieriger machen.
Die Kandidaten für eine Nachfolge hocken schon in den Startlöchern. Diesmal dürften mehr als ein Dutzend Bewerber ihren Hut in den Ring werfen. Aussichtsreichster Kandidat ist der ehemalige, aus Protest gegen Mays Brexit-Deal zurückgetretene Außenminister Boris Johnson. Seine Popularität bei den Mitgliedern der Konservativen Partei, die in einer Urwahl über die Nachfolge zu entscheiden haben, ist unbestritten. Außerdem werden ihm für eine vorgezogene Neuwahl die besten Chancen eingeräumt, der Brexit-Partei Paroli zu bieten und Labour zu schlagen.