Schwein ist des Muslims kleinste Sorge
Es gibt ein wunderbares deutsches Sprichwort: Wo kein Kläger, da kein Richter. Wer auch immer diese weisen Worte das erste Mal aussprach, hatte vermutlich nicht die geringste Ahnung, dass sie im 21. Jahrhundert ihre Gültigkeit verlieren würden.
Jüngstes Beispiel ist die unsägliche Diskussion um Schweinefleisch in Kitas beziehungsweise den Verzicht darauf. Innerhalb kürzester Zeit hat sich die Hysteriespirale wieder einmal so erhitzt, dass das Gezerre um die Verköstigung von Currywurst und Co. seinen krönenden Abschluss darin gefunden hat, dass Polizisten eine Kindertagesstätte vor Angriffen beschützen müssen.
Was war passiert: Zwei Kitas aus Leipzig haben sich entschieden, in ihrem Mittagessen auf Schweinefleisch zu verzichten. Den Schritt erklärten sie mit „Respekt gegenüber einer sich verändernden Welt“. Außerdem sollte es auch keine Nahrungsmittel mehr geben, die Schweinefleischbestandteile beinhalten – etwa Gelatine in Gummibärchen. Damit schafften es die Kitas auf die Titelseite der „Bild“.
Nun kann man anbringen, dass Kitas, die auf Fleisch im Allgemeinen und Schweinefleisch im Besonderen verzichten, nichts Neues sind. Warum also die Aufregung? Weil es dem sich immer weiter nach rechts verschiebenden Kurs anti-islamischer Parolen entgegenkommt.
Rechte Meinungsmacher haben diese Meldung so verdreht, dass sie die Mär von einem sich selbst abschaffenden Deutschland erzählen können: Sie stilisieren die Mehrheitsgesellschaft zum Opfer einer Minderheit, deren ausgemachtes Ziel es ist, das christliche Abendland zu islamisieren. Einer der Schritte auf diesem Weg lautet: Nehmt ihnen den Schweinebauch vom Teller!
Um aus dem Verzicht von Schweinefleisch in der Kita einen Bruch mit
deutschen Traditionen zu konstruieren, braucht es freilich viel geistige Flexibilität. Dabei geht es nicht nur um Toleranz, auch Pragmatismus spielt eine Rolle. Wer in seiner Kita nur ein Mittagessen pro Tag serviert und muslimische Kinder betreut, die er weder aus der Einrichtung werfen noch mittags verhungern lassen will, dem kann es als angemessen erscheinen, auf den Speck im Auflauf zu verzichten. Wo ist das Problem? Dafür muss man kein Multi-Kulti-Verfechter sein, es reicht, Gefallen an unkomplizierten Lösungen zu finden.
Genauso frei ist ein Kitaleiter auch in der Entscheidung, auf Fleisch überhaupt zu verzichten aus Rücksicht auf Vegetarier und auf Milch zu verzichten aus Rücksicht auf Laktose-Intolerante. Er kann aus Rücksicht auch auf Gluten, Fruktose, Fisch, Kohlenhydrate und ungesättigte Fettsäuren verzichten. All das steht ihm frei, und all das hat außer ihm, den Kindern, die die Kita besuchen, und ihren Eltern niemanden zu interessieren. Man kann das blöd finden, weil man sich ein Leben ohne Mettbrötchen für seine Kinder nicht vorstellen mag. Aber dass die Diskussion um diese beiden Kitas so ausgeartet ist, ist ein Warnsignal, dass wir unser Gefühl dafür verloren haben, was ein Aufregerthema ist und was nicht.
Geradezu sprachlos macht es einen, wenn die sächsische CDU von einem „Verbot“redet, das „inakzeptabel“sei. Nein, niemand verbietet niemandes Schweinshaxe. Nur in diesen beiden Kitas gibt es mittags kein Schwein. Doch auch Bundesministerin Julia Klöckner ist willens und fähig, sich auf das Niveau derjenigen herabzulassen, die ernsthaft eine Kita mobben: „Alle anderen, die auch mal gerne Schweinefleisch essen, für die Essgewohnheiten anderer in Mithaftung zu nehmen, ist nicht förderlich für ein gedeihliches Zusammenleben“, sagt sie. Wer nimmt hier wen in Mithaftung? Wer isst gerne Schweinefleisch und muss künftig trauern? Und was weiß sie über das gedeihliche Zusammenleben dieser Kita?
Denn die Betroffenen in dem Fall scheinen sich nicht daran zu stören. Keine Kläger, ergo keine Richter? So läuft es heutzutage nicht mehr. Direkte Kläger im Sinne von Betroffenen, die sich beschweren, gibt es zwar nicht, doch indirekt finden sich auf Facebook und Twitter zahllose Menschen, die die Rolle gern übernehmen und des Beklagens nicht müde werden. Und Richter finden sich erst recht zuhauf, die leidenschaftlich, freiwillig und unaufgefordert richten, was das Zeug hält.
Man kann tolerant oder weniger tolerant sein. Man kann zum Beispiel auch einen Kindergarten betreiben und sagen: Euer Kind darf kein Schweinefleisch essen? Pech! Dann muss es den anderen Kindern eben zuschauen, wie sie Wurst essen. Was aber nicht geht, ist, anderen Menschen ihre Toleranz vorzuwerfen und sie aufgrund ihrer Toleranz zu diffamieren. Es ist das eine, Menschen mit Spott und Häme zu überziehen, die Rücksicht auf andere nehmen, aber ihnen zu unterstellen, sie würden deutsche Traditionen verraten, ist schäbig. Dass diese Kitas nun sogar Drohungen erhielten und Polizeischutz bekommen mussten, ist – und das muss man so deutlich sagen – eine Schande.
Und inmitten dieser Möchtegern-Abendland-Bewahrer, unfähigen Politiker, freiwilligen Kläger und Richter fragt sich manch deutscher Muslim, wie er jetzt wieder in dieses Schlamassel geraten ist. Denn nein, Schweinefleisch in der Kita ist es nicht, was Muslime nachts vom Schlafen abhält. Es sind die Bombendrohungen, die Moscheen seit Wochen erhalten, es sind rassistische Morde, und es ist auch die Tatsache, dass eine Kindertagesstätte bedroht wird, weil sie offenbar als zu tolerant wahrgenommen wird.
Allen Kitas, die auch auf Schweinefleisch verzichten wollen, aber keine Lust auf Polizeischutz haben, sei geraten: Begründen Sie den Verzicht nicht mit Rücksicht auf Muslime. Begründen Sie es mit einer allgemeinen Abkehr von zu viel Fleisch. Das dürfte Sie schützen – auch wenn es eine Menge darüber aussagt, in was für Zeiten wir im Moment leben.
„Dass die Diskussion um diese beiden Kitas so ausartet, ist ein Warnsignal“