Munition für Truppe und Koalition
Annegret Kramp-Karrenbauer verspricht den Soldaten mehr Anerkennung, lässt aber heikle Fragen offen. Die SPD geht auf Distanz.
BERLIN Es ist ein ungewöhnlicher Ort für eine Bundestagssitzung. Der gewaltige Bundesadler fehlt, es ist enger, alle müssen ein bisschen zusammenrücken. Und wer ans Rednerpult will, hat nur einen schmalen Gang, um an der politischen Konkurrenz vorbeizukommen. Man ist sozusagen auf Tuchfühlung. „Frieren werden wir nicht“, sagt Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, als er die nur rund 100-minütige Sondersitzung einläutet, für die die 709 Abgeordneten aus der parlamentarischen Sommerpause gerufen wurden. 100.000 Euro kostet das in etwa, was einige Abgeordnete für Steuergeldverschwendung halten. Sie fragen, warum die Vereidigung der neuen Verteidigungsministerin nicht einfach im September hätte nachgeholt werden können. Und bekommen die Antwort, dass die Bundeswehr eine Parlamentsarmee und die Truppe selbst immer im Dienst ist. Und weil es bei der Bundeswehr immer auch um Krieg und Frieden, Leben und Tod geht, braucht sie eine verlässlich installierte Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt.
Im Nachhinein hat es eine besondere Wirkung, dass Annegret Kramp-Karrenbauer wegen der Sanierung des Plenarsaals nicht im Reichstagsgebäude zur neuen Verteidigungsministerin vereidigt wird, sondern im Nachbargebäude. Christdemokrat Schäuble geht auf jenen Mann ein, nach dem das Haus benannt ist: Paul Löbe, Sozialdemokrat, von 1925 bis 1932 Reichstagspräsident, von den Nazis misshandelt und später Alterspräsident des ersten Bundestags. „Es braucht nicht niederreißende Polemik, sondern aufbauende Tat“, zitiert der CDU- den SPD-Politiker. Und Kramp-Karrenbauer wiederholt den Satz in ihrer ersten Regierungserklärung.
Aufbauende Tat. Ein großes Ziel für jeden Politiker. Kramp-Karrenbauer würde für ihren weiteren politischen Weg die entscheidende Weiche stellen, wenn ihr das in diesem schwierigen Amt gelänge. In ihrer 15-minütigen Rede beklagt sie den langen Sparkurs in der Bundeswehr und lobt die „Trendwende“vor einigen Jahren zur Aufstockung des Militäretats auf rund 45 Milliarden Euro. In ihrer ersten Rede vor den Bundestagsabgeordneten überhaupt lässt die CDU-Chefin aber brisante Fragen wie zum Tankerkonflikt in der Straße Hormus im Persischen Golf und der von Großbritannien geforderten europäischen Schutzmission offen. Es wird auch nicht klar, was sie genau damit meint, wenn sie sagt, Einsatzregeln dürften keine parteipolitischen Fragen sein, sondern müssten in Verantwortung für Deutschland und seine Partner festgelegt werden. Was bedeutet das für den Parlamentsvorbehalt? Klar verspricht sie dagegen den Soldaten, dass sie für ihren Dienst besser ausgerüstet würden. „Sie sollen Tag für Tag erleben, wie endlich die Lücken bei Material und Ausrüstung geschlossen werden“, betont die neue Ministerin. Es solle genügend Flugstunden, Einsatzkräfte und Schiffe geben. „Die Munitionslager sollen voll sein.“
Diese Passage könnte auch von einem General stammen. Das Munitionslager der Koalition ist schon gefüllt wie die Rede des kommissarischen SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich später zeigt. Er bringt die Sozialdemokraten mit einer auffallend kritischen Rede gegen die Union in Stellung. Statt gleich mehr Geld zu fordern, hätte Kramp-Karrenbauer besser erst einmal Schwachstellen abgebaut, sagt er. Ihr Sicherheitsbegriff greife zu kurz, Russland müsse mehr eingebunden werden und ihr müsse klar sein, dass nur eine einzige Institution über die Bundeswehr entscheide: der Bundestag.
Hier und da gibt es doch niederreißende Polemik – der AfD-Abgeordnete Rüdiger Lucassen nennt Kramp-Karrenbauer eine „Novizin“ohne Affinität zur Truppe. Gefährlicher für die Koalition wirkt aber die Rede von Mützenich. Es dürfte schwer werden mit dem Zusammenhalt. FDP-Chef Christian Lindner sagt, Mützenich habe den Weg der SPD deutlich gemacht: in die Opposition.