Rheinische Post Erkelenz

Türkei will Flüchtling­e deportiere­n

400 Syrer sind laut Aktivisten von Istanbul ins Kriegsgebi­et Idlib gebracht worden.

- VON SUSANNE GÜSTEN

ANKARA Syrische Aktivisten werfen den türkischen Behörden vor, Flüchtling­e gegen ihren Willen ins syrische Kriegsgebi­et zu deportiere­n. In der vergangene­n Woche seien etwa 400 Syrer aus Istanbul in die syrische Provinz Idlib gebracht worden, sagte der syrische Exil-Politiker Halid Hoca unserer Redaktion in Istanbul. Die türkische Regierung erklärte dagegen, sie gehe zwar mit verstärkte­n Kontrollen gegen Flüchtling­e vor, die keine ordentlich­en Aufenthalt­spapiere besitzen, schiebe aber keinen Syrer ab. Ankara reagiert mit der härteren Gangart auf den wachsenden Unmut in der türkischen Bevölkerun­g wegen der 3,6 Millionen Syrer im Land.

Hoca, ein ehemaliger Chef der syrischen Exil-Opposition in der Türkei, berichtete, einige Syrer seien mit gefesselte­n Händen in Busse gebracht worden. Seit einigen Tagen suche die Polizei in Wohnungen und Betrieben nach Syrern, die nicht ordnungsge­mäß in Istanbul registrier­t seien, sagte er. In der Bosporus-Metropole leben nach offizielle­n Angaben etwa 550.000 Syrer. Hinzu kommen weitere Flüchtling­e, die aus anderen Landesteil­en oder direkt aus Syrien ohne staatliche Registrier­ung nach Istanbul gekommen sind. Es sei nichts dagegen einzuwende­n, Syrer ohne gültige Aufenthalt­sgenehmigu­ng für Istanbul auf andere türkische Städte zu verteilen, sagte Opposition­saktivist Hoca. Doch dann habe die Regierung plötzlich mit den Deportatio­nen nach Idlib begonnen.

Idlib ist die letzte Rebellenho­chburg in Syrien und wird größtentei­ls von islamistis­chen Extremiste­n beherrscht. Hoca sagte, die deportiert­en Flüchtling­e seien der Verfolgung durch die Extremiste­n und den Bombardeme­nts der syrischen und russischen Luftwaffe in Idlib ausgesetzt. Erst vor wenigen Tagen starben bei neuen Luftangrif­fen in Idlib mehrere Dutzend Menschen.

Innenminis­ter Süleyman Soylu sagte dem türkischen Nachrichte­nsender NTV, Syrer in der Türkei hätten einen Schutzstat­us und würden nicht abgeschobe­n. Flüchtling­e aus anderen Ländern wie Afghanista­n werden dagegen in ihre Heimatländ­er zurückgebr­acht. Laut Soylu wurden seit Jahresbegi­nn bereits 43.000 Menschen deportiert, die ohne gültige Papiere in die Türkei gekommen waren. Soylu bestätigte, dass die Polizei mit Razzien in Istanbuler Betrieben nach illegal beschäftig­ten Syrern sucht. Bis zum 20. August sollen alle syrischen Flüchtling­e, die ohne Aufenthalt­spapiere in Istanbul sind, die Stadt verlassen.

Jahrelang hatten die Türken die Anwesenhei­t der Syrer in ihrem Land mit großem Verständni­s hingenomme­n. Besonders die derzeitige Wirtschaft­skrise hat die Stimmung aber umschlagen lassen. Die Syrer gelten als Konkurrent­en auf einem Arbeitsmar­kt, auf dem es viele Türken sehr schwer haben, einen Job zu finden. In einer Umfrage sagten jüngst fast 90 Prozent der Teilnehmer, sie lehnten das Argument der Regierung ab, die Aufnahme der Syrer sei eine humanitäre Pflicht.

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ARCHIVFOTO: RTR Flüchtling­e in einem Camp nahe der türkischen Stadt Gaziantep.

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