Rheinische Post Erkelenz

London rückt nach rechts

- VON JOCHEN WITTMANN

Boris Johnson stellt sich eine Regierung aus EU-Gegnern und Johnson-Fans zusammen.

LONDON Es knisterte geradezu im Hohen Haus. Verschwund­en war die lähmende Atmosphäre, die im Parlament während der letzten Tage der Regierung von Theresa May geherrscht hatte. Mit Boris Johnson ist ein neuer Premiermin­ister ins Amt gestürmt, und er verbreitet Euphorie auf der Seite seiner Gefolgsleu­te, Abscheu aufseiten seiner Gegner und sicherlich alles andere als Langeweile bei allen anderen. Am letzten Sitzungsta­g vor der Sommerpaus­e war das Unterhaus rappelvoll. Auf den grünen Lederbänke­n drängten sich die Abgeordnet­en Oberschenk­el an Oberschenk­el, viele mussten stehen. Keiner wollte verpassen, wie Boris Johnson seine erste kurze Regierungs­erklärung hält.

„Unsere Mission ist es“, begann er, „den Brexit zu liefern und Großbritan­nien zum großartigs­ten Land auf der Erde zu machen.“Ein Übermaß an Bescheiden­heit hat man Johnson noch nie vorwerfen können. Er bekräftigt­e, dass er ein neues Austrittsa­bkommen mit der EU verhandeln will, denn dessen „Konditione­n sind inakzeptab­el für dieses Parlament und für dieses Land“. Der Backstop, der eine harte Grenze in Irland verhindern soll, „muss abgeschaff­t werden“, verlangte er. Er werde sich in die Verhandlun­gen mit großer Energie, Entschloss­enheit und „freundlich­em Temperamen­t“stürzen und erwarte, dass die EU ihre Weigerung überdenke, Änderungen am Austrittsa­bkommen zuzulassen. Sollte Brüssel weiterhin stur bleiben, müsse Großbritan­nien halt die EU ohne einen Deal verlassen, und für dieses Szenario, so Johnson, sei man „besser vorbereite­t, als viele denken“.

Die Zusammenst­ellung des Teams seiner Mitarbeite­r trägt die gleiche kompromiss­lose Handschrif­t. Radikal ist gar kein Ausdruck. Johnson begann seine Amtszeit in der Nacht zum Donnerstag mit einer der brutalsten Kabinettsu­mbildungen der jüngeren Geschichte. Hatte sein Vorgänger Harold Macmillan 1962 in der „Nacht der langen Messer“noch den Rekord mit sieben Entlassung­en gesetzt, so mussten jetzt 17 Kabinettsm­inister die Regierung verlassen. Die britische Presse kommentier­te das wahlweise mit „Kehraus“, „Blutbad“oder „Massaker“.

Vor einigen Wochen wurde Boris Johnson gefragt, was seine liebste Filmszene sei. „Die mehrfachen Vergeltung­smorde am Ende von ‚Der Pate‘“, antwortete er. Doch es wäre zu kurz gegriffen, die Entlassung­en allein mit Rachsucht erklären zu wollen. Gewiss, wer ein May-Loyalist war, musste gehen. Und wer den Außenminis­ter Jeremy Hunt im Wettstreit um den Parteivors­itz unterstütz­t hatte, der flog. Hunt selbst bekam ein Angebot, das er nicht annehmen konnte. Er weigerte sich, zum Verteidigu­ngsministe­r degradiert zu werden, und kehrte lieber auf die Hinterbänk­e zurück. Das Leitmotiv war: Es muss ein Team von Brexit-Hardlinern und Johnson-Fans werden. Eine Mannschaft, die vor allem ein Ziel verfolgt: den Brexit.

Einige Ernennunge­n ließen aufhorchen. Priti Patel, die als Entwicklun­gsminister­in von Theresa May entlassen wurde, weil sie eine private Außenpolit­ik mit Israel betrieb, kehrt in die Regierung zurück. Patel hat sich für die Todesstraf­e ausgesproc­hen und gegen die gleichgesc­hlechtlich­e Ehe gestimmt. Jetzt wird sie Innenminis­terin. Der ehemalige Brexit-Minister Dominic Raab, der während seiner kurzen Amtszeit nicht wusste, dass ein Großteil der britischen Importe durch das Nadelöhr Calais ins Land kommen, ist jetzt Außenminis­ter. Und Gavin Williamson, der ebenfalls von May gefeuert werden musste, nachdem er geheime Informatio­nen aus dem nationalen Sicherheit­srat an eine Zeitung durchgesto­chen hatte, bekommt das Ressort Erziehung. Auch der Vorsitzend­e der Europahass­er in der „European Research Group“, Jacob Rees-Mogg, erhielt einen Job: Er wurde „Leader of the House of Commons“und muss die Parlaments­arbeit organisier­en.

Johnson hat nicht versucht, in seinem Team eine Balance zwischen rechts und links zu finden. Er hat sich nicht um eine Geste der Versöhnung bemüht, indem er Rivalen in wichtigen Positionen belassen hätte. Stattdesse­n hat er eine Mannschaft um sich geschart, die leidenscha­ftlich an seinen Brexit-Plan glaubt. Alle mussten eine Verpflicht­ung unterschre­iben, einen No-Deal-Brexit zu unterstütz­en. Besonders die Kollegen, die während der Referendum­s-Kampagne an seiner Seite im Brexit-Lager standen, wurden jetzt belohnt. Das gilt auch für das „Backoffice“, die Schaltstel­len der Macht innerhalb des Beamtenapp­arates. Mit Dominic Cummings zum Beispiel kommt ein umstritten­er Stratege der Brexit-Kampagne als Chef-Berater in die Downing Street.

Es sind ganz klare, unmissvers­tändliche Signale, die Boris Johnson sendet. Man braucht sich deshalb auch keine Illusionen mehr machen: Der Rechtsruck in London ist vollzogen.

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FOTO: DPA Boris Johnson, Premiermin­ister von Großbritan­nien, spricht während der ersten Kabinettss­itzung seit seiner Ernennung.

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