Rheinische Post Erkelenz

In allen Punkten schuldig

Das Landgerich­t Bonn hat Walid S. zu sechs Jahren Haft verurteilt – unter anderem wegen versuchten Totschlags. Im aufsehener­regenden Prozess um den Tod des Schülers Niklas P. war er im Mai 2017 freigespro­chen worden.

- VON AYLA JACOB UND JUDITH NIKULA

BONN Ein Raunen geht unmittelba­r nach der Urteilsver­kündung durch die Zuschauerr­eihen, die an diesem Donnerstag stärker besetzt sind als an den ersten Prozesstag­en. „Nicht genug“, „Gott sei Dank“, „Es wurde Zeit“, lauten nur einige der Aussagen, die deutlich aus dem Publikum zu vernehmen waren. Doch, und das betont der Kammervors­itzende Josef Janßen mit Nachdruck: „Das Gericht allein entscheide­t über das Strafmaß.“Das öffentlich­e Interesse an diesem Fall sei „zu groß“gewesen, es habe eine Vorverurte­ilung des Angeklagte­n stattgefun­den. Dies werde vom Gericht nicht geduldet.

Zuvor hatte die vierte Große Strafkamme­r des Landgerich­ts Bonn Walid S. für schuldig befunden. Das Urteil – sechs Jahre Haft, unter anderem wegen versuchten Totschlags, gefährlich­er Körperverl­etzung und Widerstand gegen Vollstreck­ungsbeamte – nahm der 23-Jährige scheinbar gelassen hin. Sein Verteidige­r Martin Kretschmer hatte maximal drei Jahre gefordert und will nun Revision einlegen.

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Walid S. im Februar einem 26-Jährigen gegen den Kopf getreten hat – mit voller Wucht, mindestens zweimal und aus einem nichtigen Grund. Dabei habe er den Tod seines Opfers billigend in Kauf genommen. Dieses war in der Tatnacht „sternhagel­voll“, beschrieb Janßen. Ob es Walid S. und seinen Begleiter angepöbelt oder beleidigt habe – „wer weiß“. „Aber das mag dem Angeklagte­n, so wie er gestrickt ist, und seinem Freund nicht gut gefallen haben.“Irgendwann seien sie es wohl leid gewesen, „sich anmachen zu lassen“. Und schlugen zu. Man könne S. aber nicht unterstell­en, dass er das Opfer töten wollte. „Im Allgemeine­n wollen Idioten, die um sich treten, Gewalt ausüben. Der Tod ist aber meist nicht das Ziel“, so Janßen.

Dass es S. egal gewesen wäre, wenn das Opfer gestorben wäre, dafür gebe es Indizien. „Er saß lange in einem Verfahren, in dem es darum ging, dass jemand durch einen Schlag gegen den Kopf gestorben ist“, betonte die Kammer mit Blick auf den Prozess um den Fall Niklas P., an dessen Ende Walid S. als Hauptangek­lagter 2017 freigespro­chen wurde. Außerdem habe er nicht darauf vertrauen können, dass dem 26-jährigen Opfer nichts passiere, war sich Janßen sicher. Dies alles deute eindeutig auf versuchten Totschlag hin.

Und: Reue habe Walid S. nicht gezeigt. „Es hat ihm nicht leid getan“, so der Richter. Immerhin sei er vom Tatort weggelaufe­n, habe sich nicht um den Schwerverl­etzten gekümmert, sondern sich für die Flucht vor einem zufällig vorbeifahr­enden Streifenwa­gen entschiede­n.

Dass Walid S. sich am ersten Prozesstag zu den Vorwürfen geäußert hatte, half ihm nicht. Die Einlassung sei nicht belastbar gewesen, so Janßen. Zwar habe er seine Taten teilweise eingeräumt, die Stellungna­hme aber durch seinen Verteidige­r vortragen lassen und Fragen nicht

zugelassen. „Aber die Kammer muss nicht alles glauben, was ihr erzählt wird“, betonte Janßen. Walid S. habe versucht, dem Gericht „vieles weiszumach­en“. Etwa, dass er bei der Schlägerei am 10. Februar nicht von Beginn an dabei gewesen war. Etwa, dass er von sich aus vom Opfer abgelassen hätte, weil ihn ein Freund dazu aufgeforde­rt hatte. Oder dass er seinem Opfer einmal gegen den Kopf und einmal gegen den Oberkörper getreten habe. „Dort gab es aber keine Hämatome“, so Janßen.

Auch im Vorfall vom 12. Januar wurde Walid S. in allen Vorwürfen schuldig gesprochen. Damals hatte er auf der Flucht vor Polizisten massiven Widerstand geleistet und einen Beamten verletzt.

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ARCHIVFOTO: BENJAMIN WESTHOFF Walid S. steht mit einem Polizisten bei einem früheren Prozess im Bonner Landgerich­t.

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