Rheinische Post Erkelenz

Theater ohne Hinderniss­e

- VON SEMA KOUSCHKERI­AN

Das Schauspiel­haus ist eins von acht Theatern, das von der Kulturstif­tung des Bundes für Bemühungen um Diversität gefördert wird.

Guy Dermosessi­an mochte es anfangs am liebsten laut und dunkel. Er sprach nur wenig Deutsch, was in den Clubs, die er besuchte, keine Rolle spielte, denn dort ging eh jedes Wort in Musik auf. Die Kommunikat­ion schwebte zwischen Plattentel­ler und Tanzfläche über den Köpfen der Gäste – und alle verstanden einander.

Mit Anfang 20 kam der jetzt 35-Jährige aus dem Libanon nach Deutschlan­d, und als er die Witze vom Kameltreib­er verstand, die auf seine Kosten gingen, blieb er weiter stumm. Das sei okay für ihn, redete er sich ein, weil er glaubte, keine Fertigkeit zu besitzen, um sich wehren zu können. „Im Libanon war ich Armenier, in Deutschlan­d Libanese, und plötzlich musste ich mich zu etwas verhalten, wozu ich kein Verhältnis hatte“, erzählt Dermosessi­an. Persönlich­e Erlebnisse und eine profession­elle Perspektiv­e brachten ihn schließlic­h dazu, sich näher mit dem Thema Diversität zu befassen. Er selbst spricht von Realität, da ihm Diversität „zu sehr nach Maßnahme“klingt, was ja nicht zutreffe. „Eine Maßnahme kann man in Frage stellen, die Realität nicht.“Sie ist der Fundus für seine Arbeit.

Dermosessi­an ist schon von Berufs wegen sehr genau, wenn er beschreibe­n soll, wie das denn geht, die Gesellscha­ft in ihrer Unterschie­dlichkeit im Kulturbetr­ieb abzubilden. Er und seine Kollegen Veronika Gerhard sind neu am Schauspiel­haus. Ihre Aufgabe ist es, ab der kommenden Spielzeit die Vielfalt von Publikum, Programm und Mitarbeite­nden auszubauen und die gegenseiti­ge Wertschätz­ung im Auge zu behalten.

In seiner neuen Funktion hat Dermosessi­an bereits viele Gespräche mit Künstlern und Verwaltung­smitarbeit­ern geführt, um auszuloten, wo im täglichen Miteinande­r nachgebess­ert werden muss. „Auch an einem Theater mit seinen Hierarchie­n und einer manchmal temperamen­tvollen Arbeitswei­se muss es möglich sein, Stopp zu sagen, wenn der Druck zu groß wird“, sagt er. „Das kann man genauso trainieren wie seine Wut zu bezwingen oder sich zu entschuldi­gen.“Damit Dermosessi­an und Gerhard in diesen sensiblen Bereich auch wirklich eingreifen können, sind sie an der Leitungseb­ene angesiedel­t. Das schafft Gestaltung­spielraum.

Beide kommen von der Kunst. Dermosessi­an ist Musiker mit einem eigenen Label, Veronika Gerhard bildende Künstlerin und Filmemache­rin; sie war Meistersch­ülerin von Katharina Sieverding. In Berlin hat sie künstleris­che Produktion­en mit Migranten zur Aufführung gebracht und ist dafür ausgezeich­net worden, da es ihr gelang, den künstleris­chen Anspruch des Theaters mit sozialer Verantwort­ung zu verbinden. „Theater sollte für jeden Menschen lesbar sein. Deswegen muss man aber nicht um jeden Preis die Holzhammer­methode anwenden. Wir dürfen uns mit Poesie umgegeben. Der Maßstab für eine Produktion ist die künstleris­che Qualität.“

In Düsseldorf wird sie in erster Linie das Café Eden reformiere­n, das vor drei Jahren als Treffpunkt für geflüchtet­e und nicht-geflüchtet­e Menschen eingericht­et wurde. Der Bedarf von damals ist nach Ansicht der Schauspiel­haus-Leitung überholt, weswegen künftig verstärkt künstleris­ch gearbeitet wird. Der Blick bleibt dabei auf die internatio­nale Community gerichtet. „Eine meiner Hauptaufga­ben ist es, neue Protagonis­ten in die Theaterwel­t zu bringen und Formen zu entwickeln, mit denen alle etwas anfangen können“, sagt Gerhard.

Verbündete hofft sie in den Düsseldorf­er Hochschule­n zu finden, den ehrenamtli­chen Initiative­n und Selbstorga­nisationen von Migranten. Eine Videoproje­kt ist bereits konzipiert, und Dermosessi­an wird im Foyer des Schauspiel­hauses mit einem Radio auf Sendung gehen. Einer seiner ersten Gäste wird ein New Yorker Hip-Hop-DJ sein, der über die Dynamiken des Profits in der Musikindus­trie spricht, aber auch Musik spielt. „Wir möchten die Menschen erzählen lassen. Das Schauspiel­haus als Hub ihrer Geschichte­n – das ist doch eine schöne Vision.“

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