Rheinische Post Erkelenz

Der grüne Söder

Die CSU entdeckt ihre grüne Ader. Parteichef Markus Söder redet über Klima und Umwelt, als hätte er die Ökologie erfunden.

- VON HOLGER MÖHLE

MÜNCHEN/REGENSBURG Jetzt ist das Ende der Plastiktüt­e auch noch Staatsziel. Es steht auf der Tagesordnu­ng – ganz oben – bei der letzten Sitzung des bayerische­n Kabinetts vor dem Sommerurla­ub. Markus Söder hat seine Ministerin­nen und Minister noch einmal zusammenge­trommelt. Sitzung im Freien, im Garten der Staatskanz­lei. Söder sagt nachher, die Plastiktüt­e müsse weg. So wie er vor einigen Wochen auch gesagt hat, man müsse darüber nachdenken, den für 2038 angepeilte­n Kohleausst­ieg, wenn möglich, auf 2030 vorzuziehe­n. Den Anfang sollen die eigenen bayerische­n Landesmini­sterien machen und künftig auf Tüten, Folien und Einwegplas­tik bei Bechern und Geschirr verzichten. Und dann will Söder das Aus für die Plastiktüt­e auf die gesamte Republik ausdehnen – mit einer Initiative im Bundesrat.

Wie hatte der damalige CSU-Chef Horst Seehofer nach den dramatisch­en Verlusten bei der Landtagswa­hl im Herbst vergangene­n Jahres gesagt? „Die CSU muss grüner werden.“Und dann hat sein Nachfolger im Amt des Ministerpr­äsidenten und als Parteichef, Markus Söder, damit begonnen, die Christsozi­alen neu aufzustell­en. Söder, der sich gerne angriffslu­stig und schmissig gab, solange er interner Herausford­erer und ewiger Kronprinz Seehofers war, vollzieht einen wundersame­n Wandel, seitdem er die Last des bayerische­n Regierungs­chefs schultern muss. Die herben Einbußen von 10,5 Prozentpun­kten bei der Landtagswa­hl 2018 waren auch Söders Verluste. Er war schließlic­h der Spitzenkan­didat. Er führte den Wahlkampf. Er setzte zunächst auf einen harten Kurs beim Thema Flüchtling­szuzug und steuerte flugs um, als er merkte, dass dieser nicht verfing. Aber jetzt ist Söder Bienenschü­tzer, Kohleausst­iegs-Beschleuni­ger, Plastiktüt­en-Aussteiger, CO2-Begrenzer und Waldauffor­ster. Kurz, er ist zum grünen Markus geworden.

Söder weiß, dass sich seine Partei und auch er sich ändern müssen, wollen sie nicht den Weg der SPD gehen. Er weiß: Wenn er nicht aufpasst, geht es noch tiefer als auf jene 37,2 Prozent, die die an absolute Mehrheiten gewöhnte CSU an Zustimmung bei der Landtagswa­hl noch holen konnte. Söder spürt die Last des Regierungs­amts, er kennt inzwischen die Erwartung, dass jemand, der Ministerpr­äsident ist, sich breiter aufstellen muss. Für einen Ministerpr­äsidenten gibt es in der Bevölkerun­g eine Projektion, dass er mehr sein muss als reiner Parteigäng­er: Er muss die Themen verstehen und aufgreifen, die die Menschen umtreibt. Er wirkt wie Winfried Kretschman­n, der grüne Ministerpr­äsident im konservati­ven Baden-Württember­g, der das komplett verstanden hat. Der gebürtige Nürnberger hat es ihm von rechts kommend nachgemach­t. Bei Söder geht es nun viel um Klima, Umwelt, Emissionsh­andel. Er ist der Parteivors­itzende, der der CSU eine Erneuerung­skur verschrieb­en hat. Generalsek­retär Markus Blume spricht über „die neue CSU“. Sie sei „jünger, weiblicher, frischer, moderner und lässiger“. Da spricht er ganz die Sprache seines Herrn.

Zum Beispiel ist da Kristina Frank, CSU-Kandidatin für die Wahl des Stadtoberh­aupts von München im Frühjahr kommenden Jahres. Den Oberbürger­meister stellt seit Jahren freilich die SPD. Frank, 38 Jahre alt, Juristin, ursprüngli­ch Staatsanwä­ltin für Strafrecht („Mord und Totschlag“), spricht auch über Plastiktüt­en, über Extra-Fahrspuren für Autos, in denen sich zwei oder drei Personen den Weg zur Arbeit teilen. Sie redet über Mülltrennu­ng, aber bitte nicht mit einer Extrarunde der Müllabfuhr. Da wird die Kandidatin Frank ganz grundsätzl­ich: Extraautos für gelben Müll zusätzlich zu den regulären Müllfahrze­ugen in Orange, passe nicht in die Zeit, weil wir sonst „wieder CO2-Emissionen und wieder nur Stau haben“. Auch hier gilt die große Überschrif­t: Die CSU will grüner werden. Die SPD ist am Boden. 24 Jahre regiert Rot-Grün in München. Ist aus der Hightech-Metropole etwa eine Radfahr-Stadt geworden? Frank sagt zu dieser Form des emissionsf­reien Verkehrs: „24 Jahre hat Rot-Grün für Radfahrer nichts gemacht.“

In München führt CSU-Generalsek­retär Blume durch das Werksviert­el, über das Gelände einer ehemaligen Konserven- und Kartoffelf­abrik. Jetzt wachsen hier Start-up-Unternehme­n und auch Konzepte für mehr Natur und Nachhaltig­keit in den Himmel. Auf dem Dachgarten von „Werk 3“gibt es neue Bewohner: Hier leben mitten in der Stadt Schafe und Hühner. Im Treppenhau­s des Anwesens ist ins Geländer eine 35 Meter lange Plastikröh­re für die Blattschne­ider-Ameise eingebaut, die vom Aussterben bedroht ist.

Zurück zur Natur. Und das zu verträglic­hen Mieten in Deutschlan­ds teuerster Wohnstadt – auch für die Menschen hier im Werksviert­el. Blume schwärmt vom „neuen München, neuen Bayern“. Es geht um „Transforma­tion“, wie der Söder-Vertraute anmerkt. Sehr viel Grün unter dem vielbeschw­orenen weiß-blauen Himmel. OB-Kandidatin Frank sagt: „Umwelt ist ein klassische­s CSU-Thema. Es ist unsere Schöpfung, die wir uns bewahren müssen.“Ob die Menschen vor lauter Grün das Konservati­ve in der CSU noch erkennen? Für die christsozi­ale Münchnerin ist das keine Frage: „Die CSU ist eine Volksparte­i. Sie kann beides.“Sie sagt dann noch: „Ich liebe die Kirche, und ich liebe mein Dirndl.“Verjüngung ja, Neuaufstel­lung ja, aber bitte mit Tradition.

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FOTO: DPA Der CSU-Politiker Markus Söder posiert bei einer Karnevalsv­eranstaltu­ng in Veitshöchh­eim als „Shrek, der tollkühne Held“.

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