Rheinische Post Erkelenz

Auch Peter Handke zeichnet

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Erstmals werden jetzt die gezeichnet­en Miniaturen des österreich­ischen Schriftste­llers veröffentl­icht.

DÜSSELDORF Irgendwann fangen die meisten Autoren damit an, mit dem Zeichnen oder wenigstens dem gedankenve­rlorenen Rumkritzel­n. So unterschie­dlich beides ist, verfolgen Schreiben und Zeichnen dennoch das gleiche Ziel: Sie sind mit dem Stift in der Hand auf der Suche nach einem Ausdruck für die Welt, für das Leben und die Liebe, das Glück und die Not. „Auch beim Zeichnen schreiben sich Sätze fort, die angefangen auf anderem Papier stehen“, hat einmal Literaturn­obelpreist­räger Günter Grass gesagt, der als gelernter Bildhauer und Maler natürlich zu den künstleris­chen Profis unter den Autoren zählt.

Manche haben weitaus kleinere Ambitionen. Mitunter ist das zeichneris­che Werk von Schriftste­llern naiv, gelegentli­ch auch dilettanti­sch, aber immer interessan­t und aufschluss­reich, da es oft mit den Büchern korrespond­iert. Die Bilder ergänzen Geschichte­n, deuten deren Ursprünge an, skizzieren Nebenwege.

Wie auch beim Österreich­er Peter Handke, dem aussichtsr­eichsten Literaturn­obelpreis-Aspiranten seit Jahren. Bei ihm sind schon die Materialie­n sinnfällig. Der 76-Jährige ist ja nicht groß mit der Staffelei unterwegs. Handke zeichnet – oft unterwegs bei seinen Spaziergän­gen – all das, was ihm in den Blick gerät, kurzerhand ins Notizbuch. Miniaturen zumeist, die er später interessan­terweise mit der Schere aus dem Büchlein herausschn­eidet und sie vom Text drumherum wieder isoliert. Er eliminiert somit den literarisc­hen Kontext und entlässt seine Zeichnunge­n in die Eigenständ­igkeit. Die kann der Betrachter aber fast mühelos wiederhers­tellen, da viele Blätter im Untertitel Bezug auf einzelne Bücher nehmen, vor allem auf die „Niemandsbu­cht“. Lindenblüt­en, Robben, das Hemd über dem Gartenstuh­l – Handkes Wahl der Motive ist so unbegrenzt wie seine Poesie.

Auch eine griechisch­e Bibel dient Handke gelegentli­ch als Notiz- und Zeichenbuc­h. Zerschnitt­en wurde dieses Buch aber nicht, mit dem er auch seine serbische Herkunft einbezieht und als Folie Teil seiner Kunst werden lässt. Es gibt viele Wege, die über die Zeichnunge­n zu Handke und seinem Werk führen.

Im vergangene­n Jahr wurden erstmals Zeichnunge­n von ihm in der Berliner Galerie Klaus Gerrit Friese gezeigt; nun sind sie auch in einem eleganten Buch zu sehen. Und der italienisc­he Philosoph Giorgio Agamben hat sogar einen Essay dazu geschriebe­n. Für ihn sind die kleinen Bildchen – auch wenn sie immer nur einen bestimmten Eindruck zu einer bestimmten Stunde zu erfassen scheinen – „vollständi­g prähistori­sch“. Danach ist die Urgeschich­te nämlich nicht die älteste Geschichte, sondern die Geschichte eines Punktes, an dem etwas erscheint. Peter Handkes Zeichnunge­n sind ein großes Anschauung­swerk. Sie zeigen weniger, wie etwas ist, sondern wie es sein könnte.

Info Peter Handke: „Zeichnunge­n“, Mit einem Essay von G. Agamben, Schirmer/Mosel, 144 Seiten, 104 Farbtafeln, 39,80 Euro

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REPRO: SCHIRMER/ MOSEL Peter Handkes Zeichnung „Reiher in der Niemandsbu­cht“.

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