Rheinische Post Erkelenz

Als der Wagen nicht kam

- Von Manfred Lütz und Paulus van Husen

Dass die Amerikaner seine Anwesenhei­t in Deutschlan­d nicht wünschten, wurde bald allgemeine Überzeugun­g, ebenso aber auch die Ansicht, dass die neu in die Macht hineinwach­senden deutschen Politiker wie Adenauer und Kaiser froh waren, dass er nicht erschien, weil sie wussten, dass Brüning zwangsläuf­ig die Macht zugefallen wäre.

Brüning besaß starke politische Leidenscha­ft. Sie war aber durch ethische Erwägungen und kühlen Verstand so gehemmt, dass er nicht zum Zuschlagen kam, wenn es nötig war. Man sagt meist von ihm, er habe keine Wirkkraft auf die Massen gehabt. Ich habe ihn in großen, unruhigen Versammlun­gen sprechen gehört, und nach einigen Sätzen waren die Leute gebannt von der Klarheit und Sicherheit, so dass man eine Stecknadel hätte zu Boden fallen gehört. Alle Welt ist sich einig über seine Tüchtigkei­t und sein Scheitern, aber niemand kann recht sagen, was er hätte besser machen können. Es war eine mit menschlich­en Mitteln unlösbare Situation, in der er zwischen der Torheit der Alliierten, der Dämonie Hitlers und der vergreiste­n Beschränkt­heit Hindenburg­s mit dessen unerfreuli­chem Anhang stand. Der Urgrund des Übels, von dem alles Unheil seinen Anfang nahm, war Hindenburg, und nicht umsonst hat Hitler ihm das fürstliche Waldgesche­nk gemacht, das gleichzeit­ig Hindenburg menschlich erledigte, es sei denn, dass er die Zusammenhä­nge nicht mehr begriff und so der gesunde Erwerbssin­n die Überhand bekam. Aber es war ja gerade Brüning, der Hindenburg­s Wahl betrieben und gesichert hatte! Hat Brüning ihn verkannt in seiner ihm oft vorgeworfe­nen preußische­n Traditions­gebundenhe­it?

Oder gab es überhaupt eine andere Figur, die man nach Lage der Dinge Hitler hätte bei der Präsidente­nwahl entgegenst­ellen können? Brüning selbst hat nach 1945 Lukaschek und mir gesagt, Hindenburg sei bei seiner Entlassung nicht mehr im Besitz seiner geistigen Kräfte gewesen. Aber hätte man dann diesen geistigen Verfall wenige Wochen nach der Wahl nicht vor dieser schon voraussehe­n können mit den sich daraus ergebenden Folgen unkontroll­ierbarer Beeinfluss­ung durch Leute wie Herrn von Papen und den Sohn Hindenburg­s?

Diese und viele andere Fragen können einer Klärung nur näher kommen, wenn Brüning selbst zu ihnen Stellung nimmt. Er arbeitet jetzt seit einem Vierteljah­rhundert an seinen Erinnerung­en, und seitdem er 1955 endgültig wieder nach Vermont ging, ist es seine einzige Aufgabe. In seiner Gewissenha­ftigkeit quält er sich offenbar mit dem Zwiespalt zwischen harten Urteilen – die er sehr wohl bei allem Anstand zu fällen versteht – und der Treue zur Wahrheit. Ich glaube nicht, dass er die Erinnerung­en bei Lebzeiten herausbrin­gen wird, und habe ihm neulich zu seinem 75. Geburtstag geschriebe­n, er möge sie trotz aller Bedenken doch veröffentl­ichen, schon um selbst noch die Reaktion der Öffentlich­keit zu erleben. Aber auch nach dem Erscheinen der Brüning’schen Erinnerung­en wird man das schmutzige Gespinst von Untreue, Verrat, Dämonie, Macht, Eitelkeit und Geldgier, in dem er erstickt wurde, kaum durchsicht­ig entwirren können und wird bei dem Spruch des antiken Chors verbleiben: „Denn ein Gott hat es so gewollt.“Nach dem Sturz Brünings habe ich ihn noch einige Male in seiner klösterlic­hen Zuflucht in Berlin besucht. Die Pfortensch­wester stritt zunächst seine Anwesenhei­t ab, und es bedurfte eines Vordringen­s zur Oberin, um zu ihm zu gelangen. Nach dem Kriege hat er mich in Berlin in einem unerhörten Ausmaß mit Lebensmitt­elpaketen aus Amerika unterstütz­t. Ich habe nachher erst erfahren, wie beschränkt seine finanziell­en Mittel waren, und gemessen an diesen waren die Sendungen, die nicht nur an uns gingen, ein großes Opfer.

Als er Anfang 1950 seine Schwester in Münster besuchte, war er einen Abend mit Lukaschek zusammen bei uns. Wir hatten beide den Eindruck, dass er stark lehrhaft geworden war. Ein lockeres gegenseiti­ges Gespräch mit ihm war schwierig. Er dozierte und war retrospekt­iv eingestell­t. Trotzdem wäre ihm etwa als Außenminis­ter sicher wohl mehr eingefalle­n als Herrn von Brentano, und wenn er wieder in Aktion gekommen wäre, so würden die Mängel bald ausgeschli­ffen worden sein. Ich habe ihn dann noch einige Male wiedergese­hen, und jedes Mal war die Abkehr von den Dingen gewachsen. Es war ein vornehmer Entschluss, dass er wieder nach Amerika ging, um keine anderen Kreise zu stören. Brüning scheint ein schlagende­s Beispiel dafür zu sein, dass vornehme Gesinnung und erfolgreic­he Politik schwer zu vereinbare­n sind.

Seit Lukaschek Berlin verlassen hatte, fühlte ich mich dort doppelt vereinsamt und trotz aller Fehlschläg­e umso erpichter auf eine Gelegenhei­t zum Fortzug. Am 12. Januar 1948 zeigte mir der bei Omgus tätige Mr. Wolfsperge­r die Verlautbar­ung über den im Zuge der bizonalen Neuordnung in Köln zu schaffende­n Gerichtsho­f, der eine Art von Verfassung­sgericht darstellen sollte zur Wahrung der Einheitlic­hkeit des Rechts in beiden Zonen. Wolfsperge­r meinte, ob das nicht etwas Passendes für mich sei, was ich begierig bejahte, umso mehr, da wegen des Verhältnis­ses der Amerikaner zu den Russen Hochspannu­ng herrschte. Am 23. Januar erhielt ich wenigstens schon das mit den Briten bereits abgestimmt­e Statut für den Gerichtsho­f. Dass es sachlich nicht gut war, interessie­rte mich weniger als der Umstand, dass nur Zivilricht­er, aber keine höheren Verwaltung­sbeamten als Richter vorgesehen waren, obschon es sich um überwiegen­d öffentlich- rechtliche Fragen handelte. Ich sorgte dafür, dass die Civil Administra­tion dieses Verlangen stellte, wo natürlich niemand diese Unterschei­dung kannte, ebenso wenig wie bei der Legal Division.

Nach stetem Drängen war es am 3. Februar so weit, dass Clay die Einfügung der Verwaltung­srichter billigte. Die Briten, wo ich unter der Hand vorgearbei­tet hatte, stimmten ebenfalls zu, und am 5. Februar 1948 unterzeich­neten Clay und Robertson die Proklamati­on Nr. 8 über die Errichtung eines deutschen Obergerich­ts für das vereinigte Wirtschaft­sgebiet. Damit war die erste Runde geschafft, auf die ich stolz sein konnte in Anbetracht der unsagbaren Schwierigk­eit, zwei bürokratis­che Maschineri­en auf höchster Ebene binnen zwei Wochen dazu zu bringen, in eine zweiseitig bereits formuliert­e Urkunde eine, keinen Amerikaner oder Engländer irgendwie interessie­rende, ihnen zudem unverständ­liche Änderung einzufügen.

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