Marie Kondo und ihre Erben
Die Japanerin hat ein Aufräum-Imperium aufgebaut. Jetzt folgen immer mehr Privatleute der Idee, Aufräumen als Dienstleistung anzubieten.
DÜSSELDORF Ihr Buch „Magic Cleaning“verkaufte sich mehr als sieben Millionen mal, ihre Netflix-Serie landete bereits in der zweiten Woche nach Erstausstrahlung mit 1,72 Millionen Zuschauern in den Top Ten der Streaming-Charts, Hashtags über ihr Konzept kursieren in den sozialen Medien Hunderttausende Male, sogar ein Verb wurde nach ihr benannt. „To kondo“heißt so viel wie „Aufräumen à la Marie Kondo“. Laut „Time Magazine“gehört Kondo außerdem zu den 100 einflussreichsten Frauen der Welt.
Rein äußerlich passt das, was die kleine, lächelnde Japanerin Marie Kondo in den vergangenen sieben Jahren aufgebaut hat, eher weniger zusammen. Doch die Aufräum-Industrie boomt. Und Marie Kondo führt sie an.
Dabei ist Kondos Aufräum-Methode eigentlich simpel: Ausgemistet wird nach den Kategorien Kleidung, Bücher, Papierkram, Sonstiges und Erinnerungsstücke. Alles wird auf einen großen Haufen geschmissen, dann darauf getestet, ob es Freude bringt. Wenn nicht, wird es aussortiert, falls doch, wird es nach Kondos Technik gefaltet und findet den Weg zurück in den Schrank.
Könnte man da nicht selbst drauf kommen? Das könnte man. In den USA ist der „professional organizer“schon lange ein ganz normaler Beruf. Aber auch hierzulande haben sich bereits vor dem Kondo-Hype viele Privatleute als Entrümpler oder Aufräum-Coaches selbstständig gemacht. Nora van Loon aus Leverkusen hat ihre Agentur für professionelles Aufräumen „Klarschiff“bereits 2015 gegründet. Auch bei ihr werden Dinge nach dem Freudebringen beurteilt. „Frau Kondo hat das Rad nicht neu erfunden. Sie hat es nur wahnsinnig toll und erfolgreich vermarktet“, sagt van Loon.
Denn in Kondos Netflix-Serie wird noch etwas anderes deutlich: Aufräumen ist höchst emotional. Wer mit der Japanerin ausmistet, der muss meist auch gleich einen ganzen Eimer Tränen vergießen, wenn heraus kommt, dass ja eigentlich nicht nur der Kleiderschrank oder die Küche, sondern auch gleich das ganze Leben samt Ehe und Job umgekrempelt werden sollte.
Doch so klärt sich rasch die Frage, wie aus einem Aufräum-Ratgeber unter tausenden ein lukratives, weltweit florierendes Geschäftsmodell werden konnte: Kondo verkauft Emotion und Perfektion. Und wird damit zur Franchisegeberin: Ihr Start-up KonMari Media Inc. bildet überall auf der Welt ihre eigenen kleinen Aufräum-Soldaten aus. Eine lukrative Einnahmequelle: Bis zu 2500 Euro kostet eines der verpflichtende Seminar in Metropolen wie London oder New York, exklusive Unterbringungs- oder Verpflegungskosten. Sechs weitere Schritte folgen bis zum Abschluss der Ausbildung, unter anderem das Erwerben einer KonMari-Lizenz. Kostenpunkt: 500 Euro im Jahr. Dann ist man ein zertifizierter „Green“Consultant, möglich sind noch „Bronze“, „Silber“, „Gold“, „Platinum“und „Master“. Letzterer muss 1500 Aufräum-Nachhilfestunden gegeben und zwei KonMari-Kunden bei ihrer „Aufräum-Party“betreut haben.
In Deutschland gibt es mittlerweile sechs solcher Beraterinnen – zwei grüne, drei bronzene und eine goldene. Letztere ist Jasmine Dünker aus Köln. Sie war auch die erste Deutsche, die sich hat zertifizieren lassen – damals noch für einen Schnäppchen-Seminarpreis von 1300 Euro. Drei Tage lang hat sie sich von Marie Kondo in New York das Aufräumen erklären lassen. Als Erinnerung gab es ein Selfie. Doch so läuft das heute, ein knappes Jahr später, nicht mehr. „Inzwischen hat Marie Kondo das stark gekürzt und macht nicht mehr so viele Tage selber“, berichtet Dünker. Dafür gebe es heute aber weitaus mehr Seminarbesucher. „Im April in London waren 20 Frauen aus Deutschland da.“2018 seien es höchstens zwei gewesen. Laut Kondos Website sind bis zu 100 Teilnehmer pro Seminar erlaubt.
Die Zusammenarbeit lohnt sich für beide Seiten: KonMari Media profitiert von Reichweite, Bekanntheit, Lizenz- und Seminar-Gebühren, und die Consultants haben es dank des Hypes um die kleine Japanerin gerade jetzt besonders einfach, zahlende Kunden zu finden. „Das Ausbildungsgeld habe ich längst wieder raus. Und die Kundenanfragen haben sich seit der Netflix-Serie mindestens verdreifacht“, sagt Dünker, die derzeit drei Tage die Woche arbeitet und pro Stunde Aufräumen 65 Euro veranschlagt.
Zahlende Kunden finden allerdings auch Aufräum-Experten, die keinen KonMari-Stempel auf ihrer Agentur haben. Ein Blick in die Google-Suche verrät: Die Nachfrage trifft das Angebot. Vor allem in den Städten, aber auch in ländlichen Regionen, findet man Alternativen zu den zertifizierten Beraterinnen. Diese werden seit Kondos Netflix-Erfolg Anfang Januar auch immer mehr, weiß die Düsseldorfer Aufräumexpertin Ursula Kittner. „In der Ordnungscoach-Facebookgruppe, in der ich bin, kommen schon immer mehr dazu“, sagt sie. Auch ihre
Kunden-Anfragen hätten sich vermehrt. Am meisten merke sie den Hype aber an den unzähligen Presseanfragen.
Nora van Loon habe hingegen bereits vor dem Kondo-Hype einen regelrechten Boom gespürt: „Die Kundenanfragen sind gleichgeblieben. Aber ich kann mich kaum vor Anfragen retten“, sagt van Loon. Bei ihr müssten Kunden teilweise drei bis vier Monate warten, viele würden sie schon ein Jahr im Voraus buchen. Pro Woche erhalte sie bis zu 15 Anfragen. Sie möchte sich aber klar von Kondo abgrenzen, denn sie war es nicht, die sie auf die Idee gebracht hatte. „Ich bin kein großer Fan ihrere Methode oder des Hypes. Wenn der Erfolg zu groß wird, vergisst man vielleicht, warum man etwas einmal begonnen hat“, sagt van Loon. Ihr sei Kondo auch zu perfektionistisch – beispielsweise wenn sie mit einer weißen Bluse zum Kunden gehe. „So könnte ich nicht bei meinen Kunden ankommen. Die Bluse wäre hinterher alles andere als weiß.“Laut van Loon sollte das Aufräumen unterstützen und alles vereinfachen – und nicht noch neuen Druck durch Perfektionismus erzeugen.