Mehr Fortschritt bitte!
Es ist eine Welt, die untergegangen ist. Letzte Spuren finden sich in Jugendbüchern oder bunten Illustrierten aus den 50er und 60er Jahren. Dort ist die Rede von einer grandiosen Zukunft. Von Städten auf dem Grund der Ozeane, der Besiedlung ferner Planeten, von fliegenden Autos und flinken Robotern für alle nur denkbaren Arbeiten. Einer Welt, in der die Atomkraft Energie im Überfluss bereitstellen würde und deren Verwirklichung für das Ende des 20. Jahrhunderts erwartet wurde – spätestens.
Heute belächeln wir diesen naiven Utopismus, mokieren uns über die unkritische Begeisterung für alles Technische. Und wir vergessen darüber gerne, welche ungeheure politische Energie diese Fortschrittseuphorie freigesetzt hat. Mithilfe der Wissenschaft und des menschlichen Erfindergeists schien nichts unmöglich, der Aufbruch in bessere Zeiten schrie geradezu danach, von mutigen Politikern gestaltet zu werden. Und die fanden sich damals nicht ausschließlich, aber vor allem auf der Linken. Die große Fortschrittspartei jener Zeit, man glaubt es kaum, war die SPD. Sie forderte längst nicht nur gesellschaftlichen Fortschritt und die Umverteilung von Wohlstand, sie setzte auf konkrete technische Innovation, auf das Streben nach einem besseren Leben mithilfe des Erfindergeists.
Diese optimistische Haltung ist den Sozialdemokraten seither leider gründlich abhandengekommen. Von den Zukunftstechnologien des 21. Jahrhunderts gelten ihnen eigentlich nur noch Solaranlagen und Windräder als akzeptabel. Aber auch die anderen Parteien ducken sich gerne weg, wenn es um technischen Fortschritt geht. Die Bedeutung technologischer Innovationen für den Standort Deutschland wird zwar wortreich beschworen, und es werden reichlich Papiere zur Digitalisierung geschrieben. Aber mit konkreten Projekten in den Wahlkampf zu ziehen, neue
technologische Möglichkeiten zu bejahen und in politische Programme zu gießen, das scheint den meisten zu heikel. Die Zukunft soll nicht aufregend sein, sondern möglichst viel von der Gegenwart bewahren und gemütlich nach Omas guter Küche duften.
Dieses technologische Duckmäusertum fußt auf der festen Überzeugung, dass der Bevölkerung nichts anderes zuzumuten sei. Richtig ist: In den letzten Jahrzehnten hat sich in Deutschland eine Stimmung breitgemacht, wonach neue Technologien nicht als mögliche Chance, sondern vor allem als Risiko wahrgenommen werden. Wobei man von allgemeiner Technikfeindlichkeit nicht sprechen kann. Sobald die Menschen einen konkreten persönlichen Vorteil zu erkennen glauben, sind die Vorbehalte plötzlich verflogen. So kann man nicht behaupten, dass die in Deutschland besonders populäre Angst vor „Elektrosmog“zu Akzeptanzproblemen von Mobiltelefonen geführt hätte. Gleichzeitig wird die Furcht vor elektromagnetischen Strahlen aber gerne ins Feld geführt, um etwa den Bau einer neuen Hochspannungsleitung zu verhindern.
Gesunde Skepsis gegenüber neuer Technik ist ja nicht verkehrt, eine ehrliche Kosten-Nutzen-Analyse und gegebenenfalls auch ethische Debatten sind sogar wichtig. Aber so weit kommt es ja häufig gar nicht mehr. Dafür sitzt die Aversion gegen das Moderne zu tief – die quasi-religiöse Überzeugung, dass nur die Natur gut sei, Menschengemachtes dagegen schlecht. Das Natürliche gilt als rein und unverdorben, das Künstliche als schmutzig und sündhaft.
Im Verlauf der Klimadebatte hat diese Sicht, wonach der moderne Mensch das Krebsgeschwür des Planeten sei, noch einmal kräftig Anhänger gewonnen. Und so wird lieber ausführlich über Flug- und Fleischverbote debattiert als über technische Lösungen für Umweltprobleme. Wenn das jetzt wie eine Karikatur grüner Ideologie klingt, dann hat das schon seinen Grund. Schließlich
Das technologische Duckmäusertum fußt auf der Überzeugung, dass der Bevölkerung nichts zuzumuten sei