Organspende: Amtsvorgänger gegen Spahn
Die ehemaligen Gesundheitsminister Hermann Gröhe und Ulla Schmidt sprechen sich gegen die Widerspruchslösung aus.
BERLIN Gemeinsam können Ulla Schmidt (SPD) und Hermann Gröhe (CDU) 13 Jahre Erfahrung an der Spitze des Gesundheitsministeriums vorweisen. Und obwohl die Gesundheitspolitik ein Zankapfel zwischen Sozialdemokraten und Union ist, sitzen die beiden Ex-Minister in trauter Eintracht nebeneinander. Es geht gegen die Pläne des amtierenden Gesundheitsministers Jens Spahn (CDU), der für die Organspende eine Widerspruchslösung verankern möchte.
Schmidt und Gröhe hingegen werben für eine erweiterte Zustimmungslösung, nach der mögliche Spender zu Lebzeiten ihre Einwilligung zur Spende gegeben haben müssen. Noch in diesem Jahr soll eine Entscheidung fallen. Für die Abstimmung im Bundestag soll die sonst übliche Fraktionsdisziplin aufgehoben werden. Normalerweise stimmen die Parlamentarier nach Linie ihrer Fraktion ab. In ethischen Fragen wird dieses Prinzip aber immer wieder aufgehoben. Das war auch schon so bei den Themen Spätabtreibung, Sterbehilfe und bei der gleichgeschlechtlichen Ehe.
Bislang hat sich bei den konkurrierenden Gesetzentwürfen noch kein klarer Favorit herausgestellt. Das Modell von Spahn, das auch der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach unterstützt, sieht vor, dass grundsätzlich jeder Bürger ab 18 Jahren Organspender ist, es sei denn er widerspricht dem ausdrücklich.
„Das wäre ein tiefgreifender Einschnitt in das Selbstbestimmungsrecht des einzelnen Menschen“, sagte Schmidt. Von medizinischen Eingriffen bis hin zur Datenverordnung müssten die Bürger allem zustimmen. Das könne bei der Organspende nicht anders sein, argumentiert die SPD-Politikerin. „Es kann uns nicht ruhen lassen, wenn pro Tag drei Menschen sterben, weil für sie kein Organ zur Verfügung steht“, sagte Gröhe und will damit auch den Vorwurf abwehren, dass jene, die sich für eine Zustimmungslösung aussprechen, am Ende nicht alles dafür tun, mehr Menschenleben zu retten. Er verwies darauf, dass sein Modell noch mehr Menschen zu einer Entscheidung bringen kann, weil künftig auch die Hausärzte Beratungsgespräche anbieten sollen und man bei der Beantragung des Personalausweises darauf aufmerksam gemacht wird, dass man sich in ein Organspenderegister eintragen lassen kann. Das Argument sei falsch, wonach eine Widerspruchslösung zu mehr Organspenden führe, so Schmidt und präsentiert eine Statistik, wonach in den Niederlanden mit einer Widerspruchslösung 2017 bei nur 14,4 Menschen pro einer Million Einwohnern nach dem Tod Organe entnommen werden konnten. In der Schweiz seien es 17,2 und in Dänemark 17,4 gewesen – in beiden Ländern gilt die Zustimmungslösung. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass im gleichen Zeitraum in Deutschland bei nur 9,7 Verstorbenen Organe entnommen werden konnten. Ein historischer Tiefstand.
Aus Sicht von Schmidt liegt der Schlüssel für die Erhöhung der Zahl der Organspender in den Kliniken. Sie verwies auf Spahns Gesetz, das eine bessere finanzielle und personelle Ausstattung der Kliniken für
die Organspende vorsieht und das erst seit dem 1. April in Kraft ist.
Der Ausgang der Debatte ist offen: Nach der ersten Lesung der beiden Gesetzentwürfe im Bundestag fanden sich für die Widerspruchslösung etwas mehr als 200 Befürworter. Bei der Zustimmungslösung waren es knapp 200. Aktuell sitzen im Bundestag 709 Abgeordnete. Die AfD-Fraktion spricht sich für eine „Vertrauenslösung“aus und bringt zudem einen eigenen Antrag ein.
Dieser umfasst vorrangig die Schaffung transparenter, allgemein geltender Regeln zu einer „ehrlichen und umfassenden Aufklärung“über die Phase des Sterbens, zu organprotektiven Maßnahmen, der Todesfeststellung und den Umgang mit Angehörigen des Spenders. Gleichzeitig wird vorgeschlagen, alle nichtstaatlichen Akteure im Organspendeprozess in einer unabhängigen öffentlich-rechtlichen Institution zu bündeln.