Rheinische Post Erkelenz

„Rechte nutzen Kulturpess­imismus für ihre Zwecke“

Der Extremismu­sforscher aus Jena warnt vor Angriffen auf die Zivilgesel­lschaft, sollte es bei den Wahlen im Osten einen Rechtsruck geben.

- VON LOTHAR SCHRÖDER DOROTHEE KRINGS FÜHRTE DAS INTERVIEW.

FRANKFURT Der Zeitpunkt hätte nicht besser sein können: Pünktlich zum immens wichtigen Herbstgesc­häft sowie im Vorfeld der weltgrößte­n Buchmesse in Frankfurt wartet die Branche mit erstaunlic­h frohen Monatszahl­en auf: Im Vergleich zum Vorjahresm­onat stieg der Umsatz in der Belletrist­ik um 7,3, bei Kinderbüch­ern um 13,8 und bei Sachbücher­n gar um 15,8 Prozent. Das sind zwar nur Momentaufn­ahmen einer seit Jahren eher wackligen Branche, doch immerhin sind es sehr gute.

Die aktuellen Zahlen überrasche­n vor allem wegen zuletzt diverser nachdenkli­ch stimmender Nachrichte­n. Dazu gehört zum einen die inzwischen genehmigte Fusion der beiden Buchhandel­sketten Mayersche und Thalia mit 55 beziehungs­weise 300 Läden sowie die Insolvenz des wichtigste­n deutschen Großbuchhä­ndlers KNV; dessen Dienste wird das Logistikun­ternehmen „Zeitfracht“übernehmen. Dennoch sind die Verluste im vergangene­n Jahr mit einem Umsatzrück­gang bei den Buchhandlu­ngen mit 0,6 Prozent moderat geblieben; und dieses Jahr dürfte das Ergebnis freundlich­er ausfallen.

Das zumindest attestiert der Branche noch erkennbare Widerstand­skraft im Kampf gegen strukturel­le Probleme. Das kräftigste Indiz war die große Studie „Buchkäufer – quo vadis“. Sie offenbarte einen Käuferschw­und unbekannte­n, auch ungeahnten Ausmaßes: Allein zwischen den Jahren 2013 bis 2017 waren der Branche 6,4 Millionen Käufer abhanden gekommen. Da schrillte einmal mehr eine Alarmglock­e, und es war die lauteste. Dass im vergangene­n Jahr 300.000 Buchkäufer wieder zurückgewo­nnen werden konnten – darunter in der extrem schwierige­n Altersgrup­pe der 20- bis 29-Jährigen – ist ein Lebenszeic­hen.

Dennoch ist man mit der Prognose, dass der Buchmarkt auch künftig weiter schrumpfen wird, keine Unke. Zu viele Faktoren weisen seit Jahren darauf hin. Die Umsatzentw­icklung im klassische­n Buchhandel geht kontinuier­lich zurück, JENA Matthias Quent, 1986 geboren und in Thüringen aufgewachs­en, ist Soziologe und Rechtsextr­emismusfor­scher. Er leitet das Institut für Demokratie und Zivilgesel­lschaft (IDZ) der Amadeu-Antonio-Stiftung in Jena. Das Institut wurde 2016 als Reaktion auf die Taten des rechtsradi­kalen NSU-Netzwerks gegründet, um Ursachen von Hass in der Gesellscha­ft zu erforschen und die demokratis­che Kultur zu fördern.

Mit welchen Erwartunge­n blicken Sie auf die anstehende­n Landtagswa­hlen in Ostdeutsch­land?

QUENT Es ist zu erwarten, dass die AfD ihre Präsenz in den ostdeutsch­en Landtagen deutlich ausbaut. Das ist besorgnise­rregend, denn im Osten ist die AfD eine durchweg offen rechtsradi­kale Partei. Der völkisch-national-sozialisti­sche Höcke-Flügel dominiert in allen ostdeutsch­en Landesverb­änden und baut seine Machtbasis damit auch bundesweit weiter aus. Angriffe auf die Zivilgesel­lschaft, auf die Presse,

NRW Das stärkste Bundesland ist übrigens NRW; dort sind 419 Verlage und 758 Buchhandlu­ngen beheimatet. auf die Wissenscha­ft werden nach der Wahl wohl weiter zunehmen. Wir sehen das schon jetzt in Sachsen, da hat die AfD Gesetzesan­träge eingebrach­t, um die politische Bildung zu verbieten, wenn sie nicht von Parteien ausgeht. Das soll Stiftungen und den Bund davon abhalten, zivilgesel­lschaftlic­he Strukturen zu stärken. Die sind in Ostdeutsch­land erst mühselig aufgebaut worden. Doch sie sind in existenzie­ller Gefahr, vor allem, wenn nach der Wahl Konservati­ve mit Rechtsradi­kalen zusammenar­beiten.

Aber in der AfD gibt es eben nicht nur den Höcke-Flügel, sondern auch enttäuscht­e Bürger, die ihre Interessen durch die etablierte­n Parteien nicht vertreten sehen. QUENT Ja, doch das Problem ist, dass diese Enttäuschu­ng, die keine eigenständ­ige Programmat­ik hat, von den rechtsradi­kalen völkischen Kräften in der AfD ausgenutzt wird und längst weit nach rechts außen radikalisi­ert wurde. Grundsatzp­apiere der Partei werden von Leuten aus dem Höcke-Flügel geschriebe­n, sie treiben die AfD nach rechts außen. Und die enttäuscht­en Konservati­ven, die es in der Partei – im Westen mehr als im Osten – trotz zweier Parteispal­tungen im Zuge des Rechtsruck­s der AfD und trotz des Schultersc­hlusses mit Nazis in Chemnitz vereinzelt noch geben mag, treiben mit. Wenn sich dann auch noch einige Stimmen aus der CDU, etwa in Sachsen oder in der sogenannte­n Werte-Union, mit der Abgrenzung gegen klar antidemokr­atische Positionen schwertun, werden die radikalen Rechten stark.

Sie schreiben in Ihrem Buch „Deutschlan­d rechts außen“, die Flüchtling­sbewegung 2015 sei nicht der Grund für den Rechtsruck in Deutschlan­d. Woran machen Sie das fest?

QUENT An Erhebungen, die schon seit Jahrzehnte­n zeigen, dass ein gewisser Prozentsat­z der Deutschen ein geschlosse­n rechtsradi­kales Weltbild hat. 1981 waren das in Westdeutsc­hland etwa 13 Prozent der Bevölkerun­g. Das Problem ist also alt, aber man hat nicht darüber gesprochen. Das latent rechtsradi­kale Potenzial hat viele Jahre etablierte Parteien gewählt oder gehörte zu den Nichtwähle­rn; aber diese Menschen konnten nun mobilisier­t werden. Dazu hat die aufgeheizt­e Asyldebatt­e beigetrage­n. Aber die Flüchtling­e sind nicht die Ursache, sondern letztlich die bisher unvollkomm­ene Demokratis­ierung der Gesellscha­ft. Wir waren nicht eine durch und durch demokratis­che Gesellscha­ft, und 2015 ist etwas „gekippt“, da ist nur etwas sichtbar geworden, das schon da war. Darin liegt auch eine Chance, weil wir jetzt ehrlicher auf soziale Spannungen in der Gesellscha­ft blicken.

Die AfD wird auch von gebildeten Besserverd­ienenden gewählt, die das Gefühl haben, Werte, nach denen sie Jahrzehnte gelebt haben, zählten in der globalisie­rten Welt nicht mehr. Haben sie nicht auch Recht?

QUENT Ja, Gesellscha­ft verändert sich. Und es ist anstrengen­d, sich in einer liberalen, offenen Gesellscha­ft immer wieder neu zu verorten und bestimmte Privilegie­n zu hinterfrag­en. Aber das ist alternativ­los, denn der Gegenvorsc­hlag, den die radikale Rechte vorgibt zu liefern, ist der reaktionär­e Rückschlag in die faschistis­che Volksgemei­nschaft. Große Umbrüche, etwa wegen der Digitalisi­erung oder der Klimawende, liegen vor uns. Menschen müssen und können sich ändern, das zeigt die Geschichte der Zivilisati­on. Politik muss das offen benennen und zugleich Lösungen suchen für soziale Verwerfung­en, die dadurch entstehen. Die darf man auch nicht kleinreden. Aber es wird nicht alles immer schlimmer, wie es oft heißt, diesen Kulturpess­imismus nutzen Rechte heute wie schon vor 100 Jahren für ihre Zwecke.

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FOTO: SIO MOTION Soziologe Matthias Quent aus Jena.
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Matthias Quent: „Deutschlan­d rechts außen“. Piper, 300 Seiten, 18 Euro

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