„Rechte nutzen Kulturpessimismus für ihre Zwecke“
Der Extremismusforscher aus Jena warnt vor Angriffen auf die Zivilgesellschaft, sollte es bei den Wahlen im Osten einen Rechtsruck geben.
FRANKFURT Der Zeitpunkt hätte nicht besser sein können: Pünktlich zum immens wichtigen Herbstgeschäft sowie im Vorfeld der weltgrößten Buchmesse in Frankfurt wartet die Branche mit erstaunlich frohen Monatszahlen auf: Im Vergleich zum Vorjahresmonat stieg der Umsatz in der Belletristik um 7,3, bei Kinderbüchern um 13,8 und bei Sachbüchern gar um 15,8 Prozent. Das sind zwar nur Momentaufnahmen einer seit Jahren eher wackligen Branche, doch immerhin sind es sehr gute.
Die aktuellen Zahlen überraschen vor allem wegen zuletzt diverser nachdenklich stimmender Nachrichten. Dazu gehört zum einen die inzwischen genehmigte Fusion der beiden Buchhandelsketten Mayersche und Thalia mit 55 beziehungsweise 300 Läden sowie die Insolvenz des wichtigsten deutschen Großbuchhändlers KNV; dessen Dienste wird das Logistikunternehmen „Zeitfracht“übernehmen. Dennoch sind die Verluste im vergangenen Jahr mit einem Umsatzrückgang bei den Buchhandlungen mit 0,6 Prozent moderat geblieben; und dieses Jahr dürfte das Ergebnis freundlicher ausfallen.
Das zumindest attestiert der Branche noch erkennbare Widerstandskraft im Kampf gegen strukturelle Probleme. Das kräftigste Indiz war die große Studie „Buchkäufer – quo vadis“. Sie offenbarte einen Käuferschwund unbekannten, auch ungeahnten Ausmaßes: Allein zwischen den Jahren 2013 bis 2017 waren der Branche 6,4 Millionen Käufer abhanden gekommen. Da schrillte einmal mehr eine Alarmglocke, und es war die lauteste. Dass im vergangenen Jahr 300.000 Buchkäufer wieder zurückgewonnen werden konnten – darunter in der extrem schwierigen Altersgruppe der 20- bis 29-Jährigen – ist ein Lebenszeichen.
Dennoch ist man mit der Prognose, dass der Buchmarkt auch künftig weiter schrumpfen wird, keine Unke. Zu viele Faktoren weisen seit Jahren darauf hin. Die Umsatzentwicklung im klassischen Buchhandel geht kontinuierlich zurück, JENA Matthias Quent, 1986 geboren und in Thüringen aufgewachsen, ist Soziologe und Rechtsextremismusforscher. Er leitet das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) der Amadeu-Antonio-Stiftung in Jena. Das Institut wurde 2016 als Reaktion auf die Taten des rechtsradikalen NSU-Netzwerks gegründet, um Ursachen von Hass in der Gesellschaft zu erforschen und die demokratische Kultur zu fördern.
Mit welchen Erwartungen blicken Sie auf die anstehenden Landtagswahlen in Ostdeutschland?
QUENT Es ist zu erwarten, dass die AfD ihre Präsenz in den ostdeutschen Landtagen deutlich ausbaut. Das ist besorgniserregend, denn im Osten ist die AfD eine durchweg offen rechtsradikale Partei. Der völkisch-national-sozialistische Höcke-Flügel dominiert in allen ostdeutschen Landesverbänden und baut seine Machtbasis damit auch bundesweit weiter aus. Angriffe auf die Zivilgesellschaft, auf die Presse,
NRW Das stärkste Bundesland ist übrigens NRW; dort sind 419 Verlage und 758 Buchhandlungen beheimatet. auf die Wissenschaft werden nach der Wahl wohl weiter zunehmen. Wir sehen das schon jetzt in Sachsen, da hat die AfD Gesetzesanträge eingebracht, um die politische Bildung zu verbieten, wenn sie nicht von Parteien ausgeht. Das soll Stiftungen und den Bund davon abhalten, zivilgesellschaftliche Strukturen zu stärken. Die sind in Ostdeutschland erst mühselig aufgebaut worden. Doch sie sind in existenzieller Gefahr, vor allem, wenn nach der Wahl Konservative mit Rechtsradikalen zusammenarbeiten.
Aber in der AfD gibt es eben nicht nur den Höcke-Flügel, sondern auch enttäuschte Bürger, die ihre Interessen durch die etablierten Parteien nicht vertreten sehen. QUENT Ja, doch das Problem ist, dass diese Enttäuschung, die keine eigenständige Programmatik hat, von den rechtsradikalen völkischen Kräften in der AfD ausgenutzt wird und längst weit nach rechts außen radikalisiert wurde. Grundsatzpapiere der Partei werden von Leuten aus dem Höcke-Flügel geschrieben, sie treiben die AfD nach rechts außen. Und die enttäuschten Konservativen, die es in der Partei – im Westen mehr als im Osten – trotz zweier Parteispaltungen im Zuge des Rechtsrucks der AfD und trotz des Schulterschlusses mit Nazis in Chemnitz vereinzelt noch geben mag, treiben mit. Wenn sich dann auch noch einige Stimmen aus der CDU, etwa in Sachsen oder in der sogenannten Werte-Union, mit der Abgrenzung gegen klar antidemokratische Positionen schwertun, werden die radikalen Rechten stark.
Sie schreiben in Ihrem Buch „Deutschland rechts außen“, die Flüchtlingsbewegung 2015 sei nicht der Grund für den Rechtsruck in Deutschland. Woran machen Sie das fest?
QUENT An Erhebungen, die schon seit Jahrzehnten zeigen, dass ein gewisser Prozentsatz der Deutschen ein geschlossen rechtsradikales Weltbild hat. 1981 waren das in Westdeutschland etwa 13 Prozent der Bevölkerung. Das Problem ist also alt, aber man hat nicht darüber gesprochen. Das latent rechtsradikale Potenzial hat viele Jahre etablierte Parteien gewählt oder gehörte zu den Nichtwählern; aber diese Menschen konnten nun mobilisiert werden. Dazu hat die aufgeheizte Asyldebatte beigetragen. Aber die Flüchtlinge sind nicht die Ursache, sondern letztlich die bisher unvollkommene Demokratisierung der Gesellschaft. Wir waren nicht eine durch und durch demokratische Gesellschaft, und 2015 ist etwas „gekippt“, da ist nur etwas sichtbar geworden, das schon da war. Darin liegt auch eine Chance, weil wir jetzt ehrlicher auf soziale Spannungen in der Gesellschaft blicken.
Die AfD wird auch von gebildeten Besserverdienenden gewählt, die das Gefühl haben, Werte, nach denen sie Jahrzehnte gelebt haben, zählten in der globalisierten Welt nicht mehr. Haben sie nicht auch Recht?
QUENT Ja, Gesellschaft verändert sich. Und es ist anstrengend, sich in einer liberalen, offenen Gesellschaft immer wieder neu zu verorten und bestimmte Privilegien zu hinterfragen. Aber das ist alternativlos, denn der Gegenvorschlag, den die radikale Rechte vorgibt zu liefern, ist der reaktionäre Rückschlag in die faschistische Volksgemeinschaft. Große Umbrüche, etwa wegen der Digitalisierung oder der Klimawende, liegen vor uns. Menschen müssen und können sich ändern, das zeigt die Geschichte der Zivilisation. Politik muss das offen benennen und zugleich Lösungen suchen für soziale Verwerfungen, die dadurch entstehen. Die darf man auch nicht kleinreden. Aber es wird nicht alles immer schlimmer, wie es oft heißt, diesen Kulturpessimismus nutzen Rechte heute wie schon vor 100 Jahren für ihre Zwecke.