Rheinische Post Erkelenz

Ruhe vor dem Sturm

Sieben NRW-Klubs in der Bundesliga sorgen für zahlreiche Derbys. Wie hitzig wird die neue Saison in den Stadien?

- VON CLEMENS BOISSERÉE

Was gab es nicht schon alles für absurde Derbys in der Geschichte der Bundesliga? Das Nord-Süd-Derby zwischen Bayern und dem HSV. Oder das Auto-Derby zwischen Wolfsburg und Ingolstadt. In NRW wird es in der am Freitag startenden Saison fast wöchentlic­h Derbys geben. Echte Derbys. Sieben NRW-Klubs gehen an den Start, keine Region in Deutschlan­d kann so viele traditions­reiche und gleichzeit­ig brisante Duelle vorweisen. Die neue Spielzeit ist deshalb auch für Polizei, Vereine und Fans eine gant besondere. Wir werfen einen Blick auf die Sicherheit­slage in den NRW-Stadien.

Was sagt die Polizei?

Viele der anstehende­n NRW-Duelle fallen für die Polizei in die Kategorie „Spiel mit erhöhtem Sicherheit­srisiko“. Im Fokus stehen Fantrennun­g, Pyrotechni­k und „Hass“-Banner.

Eines der brisantest­en Duelle wird einmal mehr das Revierderb­y zwischen Schalke und Dortmund sein. Am neunten Spieltag dürfen erstmals nach fünf Jahren lokalen Stadionver­bots die BVB-Ultras wieder zum Auswärtssp­iel nach Gelsenkirc­hen reisen. Die dortige Polizei gibt sich entspannt: „Die Ausgangsla­ge zur Vorsaison hat sich aus unserer Sicht nicht verändert“, sagt Sprecherin Yvonne Shirazi.

Im Rheinland kommt es zu insgesamt zwölf Duellen zwischen Köln, Düsseldorf, Mönchengla­dbach und Leverkusen. Gleich am vierten Spieltag steht der Klassiker zwischen dem 1. FC Köln und der Borussia an. Es ist zugleich das erste Derby, seit Gladbacher Ultras im April 2018 das Banner der rivalisier­enden Kölner Ultragrupp­e „Boyz“klauten. Auch deshalb sei das Spiel für die Kölner Polizei eine „besondere Herausford­erung“, sagt Sprecher Thomas Held.

Nochmal anders beurteilt die Düsseldorf­er Polizei die Situation – was besonders mit dem Umzug des KFC Uerdingen in die Arena zu tun hat. „Das hat Auswirkung­en auf das Besucherau­fkommen in der Altstadt, es ist insgesamt mit mehr Problemfan­s zu rechnen“, sagt Sprecher Markus Niesczery. Der KFC trifft in der dritten Liga unter anderem auf Hansa Rostock, den MSV Duisburg oder den 1. FC Kaiserslau­tern. „Man kann sagen, dass wir jetzt an fast jedem Wochenende Bundesliga-Verhältnis­se haben.“

Was sagen die Zahlen?

13,3 Millionen Fans strömten vergangene Saison in die 18 Stadien der Bundesliga. Die Bundespoli­zei, die die Anreiseweg­e über Bahnhöfe und in den Zügen sichert, bilanziert für diesen Zeitraum einen deutlichen Rückgang erfasster Straftaten: Bei 3,6 Millionen reisenden Fußballfan­s wurden insgesamt 1120 Straftaten verzeichne­t (Vorjahr: 1343, ein Rückgang von 16,6 Prozent). Nordrhein-Westfalen stellte dabei mehr als eine Million zugreisend­e Fans, die für 284 Straftaten verantwort­lich waren (Minus 14,7 Prozent). In Mönchengla­dbach stieg die Zahl der eingeleite­ten Ermittlung­sverfahren rund um die Borussia-Heimspiele um 74 Prozent. Insgesamt habe es Anzeigen im „niedrigen dreistelli­gen Bereich“gegeben, vor allem wegen Pyrotechni­k. Gleichzeit­ig habe es bei über 840.000 Besuchern in 17 Heimspiele­n keine Verletzten durch Ausschreit­ungen gegeben.

Die bundesweit­e Polizei-Bilanz wird erst im Herbst veröffentl­icht.

Was sagt der DFB?

Seit der vergangene­n Saison verzichtet das Sportgeric­ht des Deutschen Fußball-Bundes weitestgeh­end auf pauschale Strafen wie Geisterspi­ele oder Blocksperr­en. Damit kam der Verband einer zentralen Fan-Forderung entgegen. Stattdesse­n wurden standardis­ierte Strafgelde­r für verschiede­ne Delikte eingeführt. Jede Pyro-Fackel im Stadion kostet einen Bundesligi­sten seither 1000 Euro – insgesamt verhängte der DFB vergangene Saison für solche Vergehen Strafen in Höhe von über einer Million Euro. Die Strafgelde­r sollen nach Möglichkei­t auf ermittelte Täter umgelegt oder in Sicherheit­smaßnahmen am Stadion investiert werden.

„Weil sich der Leitfaden grundsätzl­ich bewährt hat, sind derzeit zur Saison 2019/2020 keine Anpassunge­n geplant. Insbesonde­re soll die Höhe der Geldstrafe­n vorerst beibehalte­n werden“, teilt der DFB auf Anfrage mit. Das Abbrennen von Pyrotechni­k habe „grundsätzl­ich keine Block- oder Tribünensp­errungen“mehr zufolge. Der Verband hält sich jedoch ein Hintertürc­hen offen: „Einzelfall­abhängige Anpassunge­n sind selbstvers­tändlich stets möglich.“

Was sagen die Vereine?

Bei Fortuna Düsseldorf steht vor allem das Derby mit dem Aufsteiger aus Köln Anfang November im Sicherheit­sfokus. 2013, beim letzten Derby in Düsseldorf, zündeten die Kölner Anhänger ein wahres Feuerwerk im Gästeblock ab. Das soll dieses Mal nicht passieren. „Für das Spiel wird es enge Absprachen mit den zuständige­n Behörden und dem 1. FC Köln geben. Hier wird die spezielle Situation beleuchtet und das Sicherheit­skonzept den Umständen entspreche­nd angepasst“, teilt der Verein auf Nachfrage mit.

Bayer Leverkusen, in den vergangene­n Jahren deutlich Derby-erprobter als die Fortuna, verzichtet auf für den Fan sichtbare Veränderun­gen. Weil das Köln-Heimspiel erst Anfang Mai 2020 steigt, habe es bislang keine detaillier­teren Absprachen gegeben.

Auch in Mönchengla­dbach spielt der Kölner Aufstieg für die Sicherheit­splanungen eine Rolle. „Wir hoffen, dass alle Fans verstanden haben, dass es an ihrem Verhalten liegt, unter welchen Umstände solche Derbys in Zukunft stattfinde­n können.“Das Spiel sei daher „Gegenstand unserer Gespräche mit der Fanszene“. Grundsätzl­ich sehe man sich gut aufgestell­t: „Unser Ordnungsdi­enst durchläuft regelmäßig alle Schulungen, bei entspreche­nden Zertifizie­rungen erzielen wir sehr gute Ergebnisse.“

Was sagen die Fans?

Ein Sprecher des Bündnisses „Fanszenen Deutschlan­d“, das in der Vergangenh­eit unter anderem bundesweit­e Fanprotest­e koordinier­te, sagt: „Die Situation ist alles andere als entspannt.“Besonders die anstehende­n Veränderun­gen in den Führungsgr­emien der Deutschen Fußball-Liga (DFL) und beim DFB bereiten den Fans Kopfzerbre­chen. „Die Erfolge der jüngeren Vergangenh­eit basieren auf mündlichen Zusagen. Der neue DFB-Präsident könnte schnell wieder eine andere Richtung vorgeben“, heißt es im Gespräch mit unserer Redaktion.

Für den zurückgetr­etenen Reinhard Grindel soll künftig Fritz Keller, bislang Präsident des SC Freiburg, den Weg beim DFB vorgeben. Seine Ideen will Keller am 21. August präsentier­en. Dann wählt auch die Liga ein neues Führungsgr­emium um Geschäftsf­ührer Christian Seifert. „Wenn sich dort die Gegner der 50+1-Regel durchsetze­n, ist das Thema plötzlich wieder akut.“Erneute Protestakt­ionen will das Bündnis für diesen Fall nicht ausschließ­en. „Wir haben in der Vergangenh­eit durch aktionisti­sche Proteste mehr erreicht als durch jahrelange Gespräche mit Offizielle­n, die letztlich doch nichts zu entscheide­n hatten.“

Was sagt die Politik?

In Nordrhein-Westfalen nimmt Innenminis­ter Herbert Reul zur kommenden Saison vor allem die Vereine in die Pflicht. Diese sind mit den von ihnen beauftragt­en Ordnungsdi­ensten für die Sicherheit im Stadion verantwort­lich. Reul fordert personalis­ierte Tickets bei Hochrisiko­spielen, verbessert­e Einlasskon­trollen mit geschulten Ordnern und bundesweit­e Stadionver­bote für „notorische Gewalttäte­r“. Auf Anfrage heißt es aus dem Ministeriu­m: „Die Vereine sind in der Pflicht, diese Forderunge­n umzusetzen.“Außerdem seien die Vereine aufgerufen, „auch außerhalb der Stadien mehr Verantwort­ung für die eigenen Fanszenen zu übernehmen und deeskalier­end einzuwirke­n“. Der Minister habe eine Arbeitsgru­ppe mit Spitzenver­tretern der NRW-Vereine ins Leben gerufen, um „weitere konkrete Maßnahmen zu erarbeiten“.

Mitarbeit: Patrick Scherer, Karsten Kellermann und Sebastian Bergmann

 ?? FOTO: REICHWEIN FOTO: DPA FOTO: DPA ?? Die Polizei stellt sich für die kommende Bundesliga-Saison auf mehrere brisante Derbys ein. Fans des FC Bayern protestier­ten vergangene Saison gegen Montagsspi­ele. Diese werden nun in zwei Jahren tatsächlic­h abgeschaff­t. Fortuna-Fans gehörten zuletzt zu den eifrigsten Pyro-Zündlern. Polizei, Vereine und Politik wollen solche Aktionen verhindern.
FOTO: REICHWEIN FOTO: DPA FOTO: DPA Die Polizei stellt sich für die kommende Bundesliga-Saison auf mehrere brisante Derbys ein. Fans des FC Bayern protestier­ten vergangene Saison gegen Montagsspi­ele. Diese werden nun in zwei Jahren tatsächlic­h abgeschaff­t. Fortuna-Fans gehörten zuletzt zu den eifrigsten Pyro-Zündlern. Polizei, Vereine und Politik wollen solche Aktionen verhindern.

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