Ruhe vor dem Sturm
Sieben NRW-Klubs in der Bundesliga sorgen für zahlreiche Derbys. Wie hitzig wird die neue Saison in den Stadien?
Was gab es nicht schon alles für absurde Derbys in der Geschichte der Bundesliga? Das Nord-Süd-Derby zwischen Bayern und dem HSV. Oder das Auto-Derby zwischen Wolfsburg und Ingolstadt. In NRW wird es in der am Freitag startenden Saison fast wöchentlich Derbys geben. Echte Derbys. Sieben NRW-Klubs gehen an den Start, keine Region in Deutschland kann so viele traditionsreiche und gleichzeitig brisante Duelle vorweisen. Die neue Spielzeit ist deshalb auch für Polizei, Vereine und Fans eine gant besondere. Wir werfen einen Blick auf die Sicherheitslage in den NRW-Stadien.
Was sagt die Polizei?
Viele der anstehenden NRW-Duelle fallen für die Polizei in die Kategorie „Spiel mit erhöhtem Sicherheitsrisiko“. Im Fokus stehen Fantrennung, Pyrotechnik und „Hass“-Banner.
Eines der brisantesten Duelle wird einmal mehr das Revierderby zwischen Schalke und Dortmund sein. Am neunten Spieltag dürfen erstmals nach fünf Jahren lokalen Stadionverbots die BVB-Ultras wieder zum Auswärtsspiel nach Gelsenkirchen reisen. Die dortige Polizei gibt sich entspannt: „Die Ausgangslage zur Vorsaison hat sich aus unserer Sicht nicht verändert“, sagt Sprecherin Yvonne Shirazi.
Im Rheinland kommt es zu insgesamt zwölf Duellen zwischen Köln, Düsseldorf, Mönchengladbach und Leverkusen. Gleich am vierten Spieltag steht der Klassiker zwischen dem 1. FC Köln und der Borussia an. Es ist zugleich das erste Derby, seit Gladbacher Ultras im April 2018 das Banner der rivalisierenden Kölner Ultragruppe „Boyz“klauten. Auch deshalb sei das Spiel für die Kölner Polizei eine „besondere Herausforderung“, sagt Sprecher Thomas Held.
Nochmal anders beurteilt die Düsseldorfer Polizei die Situation – was besonders mit dem Umzug des KFC Uerdingen in die Arena zu tun hat. „Das hat Auswirkungen auf das Besucheraufkommen in der Altstadt, es ist insgesamt mit mehr Problemfans zu rechnen“, sagt Sprecher Markus Niesczery. Der KFC trifft in der dritten Liga unter anderem auf Hansa Rostock, den MSV Duisburg oder den 1. FC Kaiserslautern. „Man kann sagen, dass wir jetzt an fast jedem Wochenende Bundesliga-Verhältnisse haben.“
Was sagen die Zahlen?
13,3 Millionen Fans strömten vergangene Saison in die 18 Stadien der Bundesliga. Die Bundespolizei, die die Anreisewege über Bahnhöfe und in den Zügen sichert, bilanziert für diesen Zeitraum einen deutlichen Rückgang erfasster Straftaten: Bei 3,6 Millionen reisenden Fußballfans wurden insgesamt 1120 Straftaten verzeichnet (Vorjahr: 1343, ein Rückgang von 16,6 Prozent). Nordrhein-Westfalen stellte dabei mehr als eine Million zugreisende Fans, die für 284 Straftaten verantwortlich waren (Minus 14,7 Prozent). In Mönchengladbach stieg die Zahl der eingeleiteten Ermittlungsverfahren rund um die Borussia-Heimspiele um 74 Prozent. Insgesamt habe es Anzeigen im „niedrigen dreistelligen Bereich“gegeben, vor allem wegen Pyrotechnik. Gleichzeitig habe es bei über 840.000 Besuchern in 17 Heimspielen keine Verletzten durch Ausschreitungen gegeben.
Die bundesweite Polizei-Bilanz wird erst im Herbst veröffentlicht.
Was sagt der DFB?
Seit der vergangenen Saison verzichtet das Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes weitestgehend auf pauschale Strafen wie Geisterspiele oder Blocksperren. Damit kam der Verband einer zentralen Fan-Forderung entgegen. Stattdessen wurden standardisierte Strafgelder für verschiedene Delikte eingeführt. Jede Pyro-Fackel im Stadion kostet einen Bundesligisten seither 1000 Euro – insgesamt verhängte der DFB vergangene Saison für solche Vergehen Strafen in Höhe von über einer Million Euro. Die Strafgelder sollen nach Möglichkeit auf ermittelte Täter umgelegt oder in Sicherheitsmaßnahmen am Stadion investiert werden.
„Weil sich der Leitfaden grundsätzlich bewährt hat, sind derzeit zur Saison 2019/2020 keine Anpassungen geplant. Insbesondere soll die Höhe der Geldstrafen vorerst beibehalten werden“, teilt der DFB auf Anfrage mit. Das Abbrennen von Pyrotechnik habe „grundsätzlich keine Block- oder Tribünensperrungen“mehr zufolge. Der Verband hält sich jedoch ein Hintertürchen offen: „Einzelfallabhängige Anpassungen sind selbstverständlich stets möglich.“
Was sagen die Vereine?
Bei Fortuna Düsseldorf steht vor allem das Derby mit dem Aufsteiger aus Köln Anfang November im Sicherheitsfokus. 2013, beim letzten Derby in Düsseldorf, zündeten die Kölner Anhänger ein wahres Feuerwerk im Gästeblock ab. Das soll dieses Mal nicht passieren. „Für das Spiel wird es enge Absprachen mit den zuständigen Behörden und dem 1. FC Köln geben. Hier wird die spezielle Situation beleuchtet und das Sicherheitskonzept den Umständen entsprechend angepasst“, teilt der Verein auf Nachfrage mit.
Bayer Leverkusen, in den vergangenen Jahren deutlich Derby-erprobter als die Fortuna, verzichtet auf für den Fan sichtbare Veränderungen. Weil das Köln-Heimspiel erst Anfang Mai 2020 steigt, habe es bislang keine detaillierteren Absprachen gegeben.
Auch in Mönchengladbach spielt der Kölner Aufstieg für die Sicherheitsplanungen eine Rolle. „Wir hoffen, dass alle Fans verstanden haben, dass es an ihrem Verhalten liegt, unter welchen Umstände solche Derbys in Zukunft stattfinden können.“Das Spiel sei daher „Gegenstand unserer Gespräche mit der Fanszene“. Grundsätzlich sehe man sich gut aufgestellt: „Unser Ordnungsdienst durchläuft regelmäßig alle Schulungen, bei entsprechenden Zertifizierungen erzielen wir sehr gute Ergebnisse.“
Was sagen die Fans?
Ein Sprecher des Bündnisses „Fanszenen Deutschland“, das in der Vergangenheit unter anderem bundesweite Fanproteste koordinierte, sagt: „Die Situation ist alles andere als entspannt.“Besonders die anstehenden Veränderungen in den Führungsgremien der Deutschen Fußball-Liga (DFL) und beim DFB bereiten den Fans Kopfzerbrechen. „Die Erfolge der jüngeren Vergangenheit basieren auf mündlichen Zusagen. Der neue DFB-Präsident könnte schnell wieder eine andere Richtung vorgeben“, heißt es im Gespräch mit unserer Redaktion.
Für den zurückgetretenen Reinhard Grindel soll künftig Fritz Keller, bislang Präsident des SC Freiburg, den Weg beim DFB vorgeben. Seine Ideen will Keller am 21. August präsentieren. Dann wählt auch die Liga ein neues Führungsgremium um Geschäftsführer Christian Seifert. „Wenn sich dort die Gegner der 50+1-Regel durchsetzen, ist das Thema plötzlich wieder akut.“Erneute Protestaktionen will das Bündnis für diesen Fall nicht ausschließen. „Wir haben in der Vergangenheit durch aktionistische Proteste mehr erreicht als durch jahrelange Gespräche mit Offiziellen, die letztlich doch nichts zu entscheiden hatten.“
Was sagt die Politik?
In Nordrhein-Westfalen nimmt Innenminister Herbert Reul zur kommenden Saison vor allem die Vereine in die Pflicht. Diese sind mit den von ihnen beauftragten Ordnungsdiensten für die Sicherheit im Stadion verantwortlich. Reul fordert personalisierte Tickets bei Hochrisikospielen, verbesserte Einlasskontrollen mit geschulten Ordnern und bundesweite Stadionverbote für „notorische Gewalttäter“. Auf Anfrage heißt es aus dem Ministerium: „Die Vereine sind in der Pflicht, diese Forderungen umzusetzen.“Außerdem seien die Vereine aufgerufen, „auch außerhalb der Stadien mehr Verantwortung für die eigenen Fanszenen zu übernehmen und deeskalierend einzuwirken“. Der Minister habe eine Arbeitsgruppe mit Spitzenvertretern der NRW-Vereine ins Leben gerufen, um „weitere konkrete Maßnahmen zu erarbeiten“.
Mitarbeit: Patrick Scherer, Karsten Kellermann und Sebastian Bergmann