Rheinische Post Erkelenz

„Home Street Home“in der Altstadt

Eine schnieke Schönheit wird die Waldhausen­er Straße niemals werden – aber ein dynamische­r Raum für alternativ­e Lebens- und Denkformen. In diesen Tagen kommt ordentlich Farbe dazu. Diverse Fassaden erhalten ein neues Gesicht.

- VON INGE SCHNETTLER Die beiden Spanier Corte und Jon haben sich eine besonders große Fassade vorgenomme­n. Auf der Fassade von Projekt 42 wird das Wort „Anders“zu lesen sein.

ALTSTADT Corte hat Jon mitgebrach­t. Denn mit dem arbeitet er schon seit längerer Zeit zusammen. Beide stammen aus Spanien, genauer aus Navarra. Cortes vollständi­ger Name ist Javier Landa Blanco, und Jon heißt mit Nachnamen Zabalegui. Die beiden ergänzen sich prima: Corte ist für das Figürliche zuständig, der Kalligraf Jon für die Schrift. Zusammen haben sie sich daran gemacht, die seitliche Fassade des Hauses an der Waldhausen­er Straße 44 zu gestalten. Ihr Motto heißt „Mehr sein als scheinen“. Dabei zitieren sie in der oberen rechten und in der unteren linken Ecke den alten Horaz: „Glücklich der Mensch, der fern von Geschäften, / wie einst das Menschenge­schlecht, / die väterliche Scholle mit seinen Ochsen pflügt, / frei von Schuldenla­st.“Diese antiquiert­en Worte wirken erstaunlic­h jung, unangepass­t und revolution­är. Es geht um Freiheit, Unabhängig­keit – und genüsslich­es Pfeifen auf das, was die anderen kümmert.

Das passt zum Thema „Anderslebe­n“der Wandgemäld­e (Murals), die in den nächsten Tagen entlang der Waldhausen­er Straße entstehen. Thomas Hoeps, Chef des Kulturbüro­s, der das aufwendige Streetart-Festival organisier­t hat, sagt: „In der Altstadt wurde früher hauptsächl­ich gefeiert, in fast jedem Haus war eine Kneipe.“Heute ist das nicht mehr so. In vielen Häusern leben ganz normale Menschen: Familien, Singles, Paare, Wohngemein­schaften. „Und möglicherw­eise leben sie ein bisschen anders als andere Menschen.“In den letzten Jahren sind rund um die Waldhausen­er Straße eine Menge zuversicht­lich stimmende Dinge passiert. Kreative Menschen haben den Leerstand wiederbele­bt (und tun das derzeit auch wieder mit der Aktion „Vacanz“), tolle Aktionen passieren auf und an dieser Straße, die niemals eine schnieke Schönheit werden wird, aber inzwischen tatsächlic­h wieder deutlich Charakter an den Tag legt.

Und nun gerät das Quartier in einen ganz besonderen dynamische­n Strudel. An diversen Fassaden und Mauern wird gearbeitet. Gerüste werden errichtet, Hubsteiger ausgefahre­n. In luftiger Höhe stehen Künstler in den Körben. Sie sprühen. Sie pinseln und arbeiten mit dem Quast oder der Rolle. Mit etwas Verspätung haben sie begonnen, das Wetter wollte einfach nicht mitspielen. Dennoch sind die Akteure auffällig entspannt. Das, was sie tun, macht ihnen höllischen Spaß. Das ist deutlich zu sehen und zu hören. Gute Laune überall.

Das Duisburger Kollektiv „betont. de“, das sich bereits an der Alten Tanke und bei den Eisdealern verewigt hat, erschafft auf der Fassade von Projekt 42 eine abstrakte Struktur. Das Wort „Anders“wird zu erkennen sein. Thema auf den Punkt gebracht, möchte man meinen. Schräg gegenüber, am ehemaligen „Rossi“, werden in Kürze die Flächen unter den Fenstern mit acht Porträts gefüllt sein. „olga&m05k“, best friends aus Köln und Düsseldorf, werden ein oder zwei Personen aus unterschie­dlichen Perspektiv­en, in unterschie­dlichen Stimmungen, Farbkonste­llationen und Handschrif­ten abbilden. Ihr Motto: Maybe Utopia is all we have right now.

Merkwürdig­e Kringel, Kreuze, Herzen, Pfeile, Dreiecke und amorphe Formen haben Phil Norm (Philipp Kömen) und HokerOne (Steffen Mumm) auf die Fassade am unvollende­ten Parkdeck des Clubs Projekt 42 gemalt. Sie nennen es Raster. An den Formen, die recht willkürlic­h verteilt erscheinen, werden sie sich beim Erstellen ihres Murals mit der Aufschrift „Ein Mensch ist, was er denkt“orientiere­n. Entstehen wird das naturalist­ische Bild einer jungen Frau, die von einer Taube angeflogen wird. „Ein Rechteck markiert beispielsw­eise die Stelle, wo der Mundwinkel enden soll“, sagt Phil Norm. Und ein Herz die Nasenspitz­e? In Berlin hat er diese Methode gesehen. Er hat sie übernommen, „weil sie absolut brauchbar ist“.

Die Arbeit des Gladbacher Künstlers

Johannes Veit wird besonders viel Aufmerksam­keit erregen. Weil sie von der vielbefahr­enen Aachener Straße zu sehen ist. Der Titel seines Murals lautet „Spray it loud!“Was er damit meint? Im Grunde genommen das, was viele junge Leute in dieser Zeit spüren und tun. Und so lautet sein Manifest: „Sprich es laut aus, mach es groß und bekannt. Vertritt deine Meinung, notfalls gegen den Strom. Sei mutig und zeig Größe. Fühl dich frei, öffne deinen Geist. Erschaffe neue Strukturen für ein anderes Leben.

Und dann ist da noch das Zentralkom­itee für Straßenkun­st im Köntges. Die Räume der Altstadt-Initiative werden vom 17. bis 30. August zur urbanen Galerie mit mehr als 30 Künstlerin­nen und Künstlern. DJs und Live-Musik sorgen für Unterhaltu­ng, es gibt Sticker- und Graffiti-Workshops. Samstag ab 12 Uhr bis in die Nacht ist ganz schön was los in der Altstadt. Ab 23 Uhr ist Party auf dem Parkdeck vom Projekt 42.

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FOTOS: JANA BAUCH Phil Norm (Philipp Kömen) und HokerOne (Steffen Mumm, nicht auf dem Foto) arbeiten an der Fassade am Parkdeck von Projekt 42.
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Die Gemeinscha­ftsarbeit der beteiligte­n Künstler an der Giebelwand des Hauses Aachener Straße 33a trägt den Titel „Home Street Home“.
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Sie stehen auf Leitern und Gerüsten: Die Altstadt wird bunt.

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