Strafprozesse in NRW dauern länger
Der Justizminister verfehlt sein Ziel: Die Dauer von Strafverfahren vor Amts- und Landgerichten liegt höher als unter Rot-Grün. Die Polizeigewerkschaft sieht darin ein Sicherheitsrisiko.
DÜSSELDORF Nordrhein-Westfalens Justizminister Peter Biesenbach (CDU) steht wegen der steigenden Verfahrensdauer von Strafprozessen in der Kritik. „Die Urteile kommen zu spät, die abschreckende Wirkung verpufft“, klagte der Landeschef der Polizeigewerkschaft GdP, Michael Mertens. Zu lange Verfahrenszeiten ließen Intensivtätern auch zu viel Zeit für Folgetaten. „Eine zu langsame Justiz gefährdet die Sicherheit“, sagte Mertens unserer Redaktion.
Nach jüngsten Zahlen des NRW-Justizministeriums dauert ein Strafverfahren vor einem Amtsgericht inzwischen im Schnitt 4,2 Monate. Zu Zeiten von Biesenbachs Amtsvorgänger Thomas Kutschaty (SPD) lagen die Zahlen in jedem Berichtsjahr darunter (zwischen 3,9 und 4,1). Für 555 der im vergangenen Jahr erledigten Strafverfahren brauchten die Amtsgerichte sogar mehr als drei Jahre. Das entsprach allerdings nur 0,3 Prozent aller Verfahren.
An den Landgerichten dauerte ein durchschnittliches Verfahren im vergangenen Jahr 8,2 und im Vorjahr 8,8 Monate. Unter Kutschaty lagen die jährlichen Durchschnittswerte zwischen 6,0 und 7,9 Monaten. Vier Prozent oder 144 der Landgerichtsstrafverfahren in NRW dauerten länger als drei Jahre.
Wenige Wochen vor seinem Amtsantritt im Sommer 2017 hatte Biesenbach seinen Anspruch so formuliert: „Ich sehe eine Beschleunigung bei Strafverfahren als dringend erforderlich an. Die Justiz hat auch Verantwortung den Polizisten vor Ort gegenüber.“Auch als Justizminister betonte er stets die Dringlichkeit kürzerer Verfahren.
Der Alltag sieht oft anders aus. „Wir erleben vor Gericht Täter, die sich schon gar nicht mehr an die Tat erinnern“, sagte Mertens. Mehrfachtäter würden auf Fragen der Richter gelegentlich mit Angaben zu ganz anderen Straftaten antworten – irrtümlich, weil die Tat schon so lange zurückliege. Der SPD-Fraktionsvize im Landtag, Sven Wolf, kritisierte: „Es wird immer deutlicher, dass die Politik von Minister Biesenbach darin besteht, Ankündigungen zu machen, die er nicht einhalten kann.“Biesenbach lege „die Rechtspflege in NRW lahm“– unter anderem, weil die Zahl der unbesetzten Stellen in der Justiz immer neue Höchstwerte erreiche.
Biesenbach hält dagegen: „In einigen Bereichen wie dem besonders wichtigen Bereich der erstinstanzlichen Entscheidungen des Landgerichts in Strafsachen haben wir schon eine Menge erreicht, in anderen Segmenten steht die erstrebte Besserung noch aus.“Unter anderem litten die Gerichte des Landes darunter, dass sie ungewöhnlich viele Altfälle abarbeiten müssten. Trotzdem würden die Verfahren in vielen Rechtsgebieten schneller als im Bundesdurchschnitt erledigt. Laut NRW-Justizministerium steigt die Dauer gerichtlicher Verfahren bundesweit. Die aktuelle Landesregierung habe gegengesteuert und seit 2018 rund 1600 neue Planstellen in der Justiz geschaffen.
Thomas Hubert, Geschäftsführer des Richterbunds NRW, sagte: „Steigende Erledigungszeiten bei den Gerichten sind nicht nur Ausdruck verfehlter Personalpolitik in der Vergangenheit. Eine weitere Ursache ist die steigende Komplexität der Verfahren.“Es sei „ausdrücklich anzuerkennen“, dass Biesenbach mit zusätzlichem Personal reagiert habe. Laut Richterbund arbeiten in Nordrhein-Westfalen rund 4000 Richter und 1200 Staatsanwälte.