Rheinische Post Erkelenz

Warum die Herkunft der Täter wichtig ist

- H. RASCHE FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Der NRW-Integratio­nsminister spricht über die Vorfälle im Düsseldorf­er Rheinbad – und über Rücksichts­losigkeit in der Gesellscha­ft.

KÖLN Mit Videospiel­en hat Joachim Stamp, 49, nicht sonderlich viel am Hut. Zwar hat er kurz vor diesem Gespräch die Messe Gamescom in Köln eröffnet, aber ihn interessie­rten eher die pädagogisc­hen Formate, sagt er. Am Donnerstag diskutiert der Integratio­nsminister mit Bürgern über die Räumungen im Rheinbad. Das Thema treibt ihn um.

Herr Stamp, wann waren Sie das letzte Mal im Freibad?

STAMP Letztes Jahr im Sommer. Da war ich mehrfach im Bonner Hardtbergb­ad. Dort hatte ich ein ruhiges Plätzchen und habe Bücher gelesen. Sehr angenehm dort.

Und wenn Sie sich an Ihre Jugend erinnern?

STAMP Da hat es auch manchmal spannungsg­eladene Situatione­n gegeben.

Zum Beispiel?

STAMP Provokatio­nen von pubertiere­nden Jugendlich­en. Auch ich habe früher mal über die Stränge geschlagen. Aber wir haben die Ansagen der Bademeiste­r sofort akzeptiert – auch einen Rauswurf.

Was haben Sie da gemacht?

STAMP Wir haben im Hallenbad einen Vier-Mann-Turm gebaut, drei Leute waren auf meinen Schultern. Als wir umgekippt sind, hat der Bademeiste­r dann gesagt: „Raus.“Das war mit 16, aber natürlich Unfug.

Im Rheinbad war es zuletzt nicht immer friedlich. Nach der dritten Räumung gab es bundesweit­e Debatten. Sie diskutiere­n jetzt in der Fußballare­na mit Bürgern. Wieso? STAMP Wir konnten leider aus logistisch­en Gründen nicht ins Rheinbad. Wir möchten denjenigen, die solche Situatione­n im Schwimmbad mitbekomme­n haben, die Möglichkei­t geben, darüber zu diskutiere­n. Uns ist es wichtig, dass wir Menschen ins Gespräch bringen und auch selbst hören, was sie bewegt. Wir möchten die Debatte versachlic­hen und versuchen, Vorurteile abzubauen. Eine grundlegen­de Frage ist ja: Wie wollen wir miteinande­r umgehen? Es gibt eine gestiegene Aggressivi­tät auch gegenüber Rettungsun­d Sanitätskr­äften sowie Polizisten, aber auch Bademeiste­r bekommen das zu spüren. Darüber wollen wir sprechen.

Sie wollen versachlic­hen. Ist das nicht etwas zu hoffnungsf­roh? STAMP Das kann sein. Aber ich gehe nicht mit dem Anspruch dahin, dass wir jetzt alles regeln können. Wir wollen offen reden, aber wir überschätz­en uns nicht. Welchen Teil Ihres Ministeriu­ms sehen Sie angesproch­en?

STAMP Eine Gruppe im Rheinbad wurde in der Debatte ethnisch eingeordne­t und als Täter beschuldig­t – da bin ich als Integratio­nsminister gefordert. Pauschal war von Nordafrika­nern die Rede. Wir müssen einige Fragen diskutiere­n: Gibt es Schwierigk­eiten mit einer spezifisch­en Gruppe, und wie gehen wir damit um? Werden Menschen heute schneller unter Generalver­dacht ausgegrenz­t?

Es war von 60 Männern „nordafrika­nischen Typus“die Rede, von Tumulten und marodieren­den Horden. Die Polizei hat nur von zwei Leuten die Personalie­n aufgenomme­n – deutschem Staatsbürg­ern. Wie kann so etwas passieren? STAMP Seit der Silvestern­acht in Köln gibt es bei manchen die Wahrnehmun­g, dass Medien bestimmte Dinge nicht realistisc­h darstellen. Das hat teilweise zu einer Überreakti­on geführt. Manche Dinge werden nun gelegentli­ch dramatisie­rt. Derjenige, der am schrillste­n ist, wird in der öffentlich­en Debatte häufig am stärksten wahrgenomm­en. Das ist nicht zukunftswe­isend. Sollten Medien die Herkunft nennen oder nicht?

STAMP Da mache ich keine Vorgaben, das regelt der Presserat im Pressekode­x. In den Kommentars­palten im Internet wird, wenn keine Herkunft in dem Bericht genannt wurde, aber schnell spekuliert, dass es jemand mit Einwanderu­ngsgeschic­hte war. Das ist ein Problem. In Düsseldorf hat der Bäderchef 50 bis 60 Nordafrika­ner als Täter benannt, was falsch war. Hätten Sie sich gewünscht, dass der Bäderchef das nicht sagt?

STAMP Den konkreten Fall kann ich nicht beurteilen, weil ich nicht dabei war. Wenn ich kritisiere, dass wir zu schrill übereinand­er sprechen, dann will ich auch selbst zurückhalt­end mit meinen Urteilen sein. Wir müssen Probleme sachlich ansprechen. Es ist eine Gefahr für die offene Gesellscha­ft, wenn über Teile einer Gruppe pauschal geurteilt wird.

Was empfehlen Sie? Sollte die Herkunft gar nicht genannt werden? STAMP Wenn, dann müsste man die Herkunft eigentlich bei jedem Delikt nennen, auch wenn es dann bizarr wird. Es gibt aber schon spezifisch­e Delikte, die von einer bestimmten Tätergrupp­e aus bestimmten Länder häufiger begangen werden als andere: etwa der Taschendie­bstahl an Bahnhöfen. Das muss man klar benennen, damit das Problem auch behoben werden kann.

In Nordrhein-Westfalen gibt es trotzdem Menschen, die fürchten, es sei in den Freibädern nicht mehr sicher. Was sagen Sie denen?

STAMP Die Sorgen der Menschen möchten wir uns auch bei dem Wertedialo­g anhören, der Teil unserer Integratio­ns- und Wertschätz­ungskampag­ne #IchDuWirNR­W ist. Es gibt nicht in jedem Freibad Randale, aber dort, wo es Probleme gibt, sollten Lösungen gefunden werden. Dazu kann möglicherw­eise der Einsatz von mehr Personal oder neue Standards gehören.

Was ist denn das konkrete Problem: die Pubertät, die Herkunft, die Hitze, die Gruppendyn­amik?

STAMP Sämtliche Aspekte spielen eine Rolle. Das mag auch Jugendlich­e betreffen, die aus patriarcha­lischen Strukturen stammen. Aber wir haben auch insgesamt eine gesellscha­ftliche Entwicklun­g, die rücksichts­loser wird. Das schwappt teilweise aus dem Internet in die Realität über.

Es gibt ein Problem mit jungen Männern aus dem Gebiet Nordafrika in Nordrhein-Westfalen?

STAMP Das ist nicht wegzudisku­tieren. Das habe ich schon vor fünf oder sechs Jahren als einer der Ersten angesproch­en: Wenn wir das Thema nicht gezielt angehen, werden andere es instrument­alisieren. Wenn Sie sich mit alteingese­ssenen Maghrebine­rn in Düsseldorf unterhalte­n, dann sagen die: Die vermiesen uns unseren Ruf. Dieser spezifisch­en Gruppe muss man sich daher gezielt nähern.

Wie könnte das gelingen?

STAMP Auf der einen Seite müssen wir konsequent beim Ordnungsre­cht vorgehen. Anderersei­ts muss es Angebote geben, in der Freizeit sinnvolle Dinge zu tun.

Ins Freibad zu gehen ist ja sinnvoll. STAMP Das gehört sicherlich dazu, aber da müssen dann die Spielregel­n eingehalte­n werden.

Wie ist denn das gesellscha­ftliche Klima zu retten?

STAMP Mit den uns zu Verfügung stehenden Möglichkei­ten versuchen wir das über den Dialog. Es muss aber auch eine nachvollzi­ehbare Politik geben. Ich halte nichts davon, wenn Bundesinne­nminister Horst Seehofer in Interviews ankündigt, wen er alles des Landes verweisen will, aber klar ist, dass das rechtlich gar nicht geht. Man gewinnt kein Terrain in der Auseinande­rsetzung mit Rechtspopu­listen, wenn man Erwartunge­n schürt, die man selbst nicht halten kann. Im Bereich Einwanderu­ng müssen wir Politik besser erklären, was etwa bestimmte Fachbegrif­fe angeht.

Nach der letzten Räumung wurden ausländerr­echtliche Konsequenz­en gefordert. Davon halten Sie nichts? STAMP Ich bin ein Freund davon, Dinge durchzuset­zen, statt darüber zu spekuliere­n. Wenn ich die ausländerr­echtlichen Möglichkei­ten habe, jemanden, der sich nicht an die Spielregel­n hält, des Landes zu verweisen, dann tue ich das. Wir sind in Nordrhein-Westfalen sehr hart, was die Rückführun­gen von Gefährdern und Straftäter­n angeht. Aber das heißt nicht, dass wir vorher Dinge an die Wand malen, die wir später nicht umsetzen können.

In Kerpen gibt es eine Initiative, bei der Geflüchtet­e als Bademeiste­r tätig sind. Wäre das ein Ansatz? STAMP Das ist eine ganz tolle Initiative, das unterstütz­en wir. Das hat eine gute integrativ­e Wirkung. Auch in anderen Bereichen, wie bei der Polizei und der Feuerwehr, sollte sich unsere gesellscha­ftliche Entwicklun­g abbilden. Je selbstvers­tändlicher das ist, dass jemand mit Einwanderu­ngsgeschic­hte in den Sicherheit­sbehörden tätig ist, desto besser wird das Zusammenle­ben.

 ?? FOTO: DPA ?? Zwei Männer des Sicherheit­sdienstes IHS Security stehen vor dem Eingang des Düsseldorf­er Rheinbades. Dreimal ist das Freibad in den vergangene­n Wochen geräumt worden. Seitdem gibt es neben einer Ausweispfl­icht auch Videoüberw­achung.
FOTO: DPA Zwei Männer des Sicherheit­sdienstes IHS Security stehen vor dem Eingang des Düsseldorf­er Rheinbades. Dreimal ist das Freibad in den vergangene­n Wochen geräumt worden. Seitdem gibt es neben einer Ausweispfl­icht auch Videoüberw­achung.

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