Rheinische Post Erkelenz

Endstation Truhe

Wenn Politiker keifen und keilen: „Die Empörten“, das neue Stück von Theresia Walser, hatte bei den Salzburger Festspiele­n Premiere. Caroline Peters glänzt als karrierist­ische Bürgermeis­terin, findet aber keine Gegenspiel­er.

- VON WOLFRAM GOERTZ

SALZBURG Die Geschichte hat berühmte Vorlagen, von „Cocktail für eine Leiche“bis „Immer Ärger mit Harry“. Tote auf der Szene, die körperlich anwesend, aber unsichtbar sind, gelten als Klassiker der Kinogeschi­chte. Doch niemals verschwind­et einer so ganz; bei Hitchcock erinnert immer noch ein Hut an die Leiche. Die Spannung des „Suspense“entsteht durch das Warten auf die Entdeckung.

In Theresia Walsers neuem Stück „Die Empörten“ist der Bruder der Bürgermeis­terin, ein Pizza-Bote, mit seinem Auto in eine Menschenme­nge gebrettert, es hat Tote gegeben, darunter der Fahrer selbst. Vor dem Crash soll er angeblich „Allahu akbar“gerufen haben. Einen solchen Skandal, den die Rechtspopu­listen im fiktiven Irbertshei­m ausschlach­ten würden, kann die ehrgeizige Corinna Schaad nicht gebrauchen. Bald sind Wahlen, sie möchte nach Brüssel, und wenn herauskäme, dass ihr Bruder... In der Not lässt sie die Leiche mit Hilfe ihres zweiten Bruders Anton verschwind­en; der Tote landet ausgerechn­et in einer Truhe im Rathaus, in der angeblich auch schon Luther und Hitler post mortem geruht haben sollen.

Als durchgesic­kert ist, dass die Leiche weg ist, beginnt ein wüster Terz, an dem sich vor allem Elsa Lerchenber­g beteiligt, die örtliche Kandidatin der sehr weit Rechten. Das Hauen und Stechen, das Walser anstiftet, liest sich wie ein rechtspopu­listischer Ideenwettb­ewerb um Hass-Kreationen: wie „Mutterbode­npenetrier­er“(über Migranten) oder „Selbstausl­öschungsor­gasmus“(über die angebliche­n Folgen von Asyl-Politik und Willkommen­skultur). Die verbale Schlachtpl­atte wird aber, weniger innovativ, auch von der Bürgermeis­terin befüllt, der jedes Argument zur Sicherung der eigenen Position lieb ist. Man müsse, sagt sie ungeniert, „auch mal etwas verschwind­en lassen“.

Zwischen diesen Clinch geraten in „Die Empörten“, die jetzt im Salzburger Landesthea­ter uraufgefüh­rt wurden, mehrere Assistente­n des Schreckens: Pilgrim, das verschrobe­ne Rathausfak­totum, auf das Lichtschra­nken nicht mehr reagieren, Anton, der idealistis­che Bruder, sowie Frau Achmedi, die Witwe eines Überfahren­en. In den ersten Minuten hofft man noch, das Ganze könnte zu einem mehr oder weiger rassigen Polit-Gebrabbel ausarten, das stilistisc­h zwischen Sketch und Farce, zwischen Loriot und Ionesco anzusiedel­n ist.

Doch leider sind „Die Empörten“fürs Theater ungeeignet. Und wenn man keine Gegenspiel­erin für eine Caroline Peters als Bürgermeis­terin hat, sollte man es sowieso sein lassen. Peters verkörpert die rustikal-aasige Karrierist­in Corinna Schaad hinreißend, sie ist bauernschl­au, spontan, geschmeidi­g. An ihr perlt alles ab, vor allem die vielen schwachen Passagen des Stücks.

Schon die Lektüre krankt daran, dass rechte Ideologie dermaßen spracharti­stisch hochgejazz­t wird, dass man sich die Augen reibt. Silke Bodenbende­r als Elsa Lerchenber­g versagt aber auch auf der Bühne. Sie bekommt keine Wucht und Wut hinter ihre Worte, man merkt fortwähren­d, dass sie Abstand von diesem kruden Zeug nimmt, das sie ausspreche­n soll. Zugleich fehlt alles Dumpfe; diese Elsa wirkt wie eine Formeln murmelnde und neu erfindende Referentin der AfD in Sachsen, die sich auch bei der SPD in Thüringen hätte bewerben können. Vermutlich würde sogar Alice Weidel persönlich diesen auf rechts

gedrillten Walserpoli­tslang nur unter Prusten herausbeko­mmen. Daneben versandet alles: die misslungen-komischen Antworten des Nichtskönn­ers Pilgrim, die naive Lauterkeit des Anton. Frau Achmedi ist in ihrer Trauer eine gesichtslo­se Klagemauer, an der sich alle ringsum mit hehren Beteuerung­en ausweinen. Dabei müsste es umgekehrt sein.

Burkhard C. Kosminski, Chef des Stuttgarte­r Schauspiel­s, gilt als Walser-Experte und hat die Regie in Salzburg übernommen (demnächst geht die Produktion nach Stuttgart). Der Fachmann freilich kann das Stück nicht retten, es taugt nicht einmal für den Boulevard. Sogar ein Könner wie André Jung als Pilgrim muss die Segel streichen.

Bühnenbild­ner Florian Etti hat eine staubtrock­ene, beliebige Amtsstube entworfen, durch deren Fenster immer neue Variatione­n eines Alpenvorla­nd-Panoramas aufscheine­n. Das kann je nach Aufführung­sort Tirol oder das Allgäu sein. Der Ausblick ist sowieso beliebig wie alles andere in diesem Stück auch. „Die Empörten“funktionie­ren nicht einmal als Thesenmani­fest, sie sind ein zahnloser Tiger.

Ein bisschen Gelächter zwischendu­rch, flacher, flauer, rasch ersterbend­er Beifall am Ende. Geht in Ordnung.

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FOTO: RUTH WALZ/ SALZBURGER FESTSPIELE Caroline Peters (als Bürgermeis­terin Corinna Schaad) in „Die Empörten“bei den Salzburger Festspiele­n.

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