Jugend in Flammen
„Paranza – der Clan der Kinder“ist die Verfilmung des Buchs von Roberto Saviano.
(kna) Das erste von zwei rivalisierenden Jugendgangs umkämpfte Objekt der Begierde ist in „Paranza – Der Clan der Kinder“ausgerechnet ein festlich geschmückter Weihnachtsbaum. Nach einem kurzen Kampf gegen die Quartieri-Bande tragen Nicola und seine Jungs den Sieg davon. Der Baum wird gestürzt und wie ein erlegtes Tier zum Bolzplatz des neapolitanischen Viertels geschleppt, kurz darauf steht er in Flammen. Mit Schweineblut beschmiert tanzen die Jungs ums Feuer, sie klatschen und grölen im Chor, der Alkohol fließt.
In „Paranza“erscheint die Episode mit dem Weihnachtsbaum schon bald wie ein anrührender Rotzlöffelstreich. Es geht ums große Geld, um Drogenhandel und die Macht im Viertel. Statt Stöcken kommen echte Waffen zum Einsatz, erst Pistolen, dann Schnellfeuergewehre. An die Kraft der Eingangsszene kommt der Film bei allem bitteren Ernst jedoch nicht wieder heran.
Basierend auf dem gleichnamigen Roman des italienischen Autors Roberto Saviano erzählt Claudio Giovannesi von einer Gruppe von Jugendlichen, die sich in den Kreislauf der organisierten Kriminalität begibt. Wie die bekannte Saviano-Verfilmung „Gomorrha“ist auch „Paranza“teilweise mit Laien gedreht. Doch Giovannesis naturalistischer Stil ist weniger kalt registrierend als der Sozialrealismus von Regie-Kollegen Matteo Garrone. Ein romantischer Unterton zieht sich hindurch. Sind doch alles fast noch Kinder.
Fast noch ein Kind ist auch Nicola, ein Junge mit einem gewinnend hübschen Lächeln. Mit seiner Mutter und dem jüngeren Bruder lebt er in bescheidenen Verhältnissen, die durch Schutzgeldzahlungen zusätzlich belastet werden. Ein eigenmächtiger Überfall auf einen Juwelierladen verschafft ihm und seinen Gangmitgliedern beim verhassten lokalen Capo erste Beschäftigungen als Drogendealer. Plötzlich sind die Mittel da für die begehrten Designerklamotten und einen Tisch in der Diskothek Joia, wo Nicola seine Freundin Letizia kennenlernt.
Nahezu jede Szene, jedes Bild, jede Idee im Film kommt einem irgendwie bekannt vor: die koksenden Jugendlichen, das verspielte Herumgeballere, das plötzlich ernst wird, die als Waffenlager und Schießübungsplatz genutzten Höhlen in den Berghängen der Stadt. Keinen Ausdruck findet der Film für die Widersprüche einer Lebenswirklichkeit, in der ein halbwüchsiger Junge seiner Mutter eine Inneneinrichtung für 12.000 Euro kauft, beim Frühstück über fehlende Lieblingskekse herumnölt, während er sich auf der Straße seinen Fluchtweg freischießen muss.
Paranza – Der Clan der Kinder, Italien 2019 – Regie: Claudio Giovannesi, mit Francesco Di Napoli, Viviana Aprea, 105 Min.