Gift und Galle in Sachsen
Es ist die wichtigste Landtagswahl für die CDU von Annegret Kramp-Karrenbauer und Angela Merkel. Die Abgrenzung zur AfD ist hier eine Gratwanderung. Absturz nicht ausgeschlossen. Weder in Dresden noch in Berlin.
DRESDEN Es ist ihr letztes verbliebenes Stammland. Seit der Wende stellen die Christdemokraten hier den Ministerpräsidenten. Die große Koalition verdient ihren Namen nicht, weil die SPD nur ein sehr kleiner Partner ist. Bei der Wahl vor fünf Jahren kam sie auf 12,4 Prozent, in Umfragen für die Landtagswahl am 1. September ist sie nur noch einstellig. Für die CDU stimmten damals fast 40 Prozent, jetzt kämpft sie mit der AfD um den ersten Platz. Manch einer befürchtet, dass von hier einmal das Signal für eine Kooperation der beiden Parteien auf Landesebene ausgehen und damit das Tabu gebrochen werden könnte. Wenn ein Bundesland das Brennglas auf die Partei von Annegret Kramp-Karrenbauer und Angela Merkel und die Nöte mit der Abgrenzung nach rechts hält, dann ist es Sachsen.
Einer, der das Land und die CDU in- und auswendig kennt, ist Thomas de Maizière. Er war in Dresden Staatskanzleichef, Finanzminister, Justizminister und Innenminister und danach im Bund Kanzleramtschef, Verteidigungsminister und Innenminister. Und immer ein treuer Diener der Kanzlerin. Bis sie ihn bei der Koalitionsbildung 2018 im Kabinett nicht mehr berücksichtigte. Nachgetreten hat er nie. Aber als „einfacher“Bundestagsabgeordneter spricht er heute freier als früher. Er sagt: „Die sächsische Union wird von den Menschen für jedes mögliche Problem im Land verantwortlich gemacht. Das liegt daran, dass die CDU hier seit 1990 regiert. Sachsen hat nicht mehr die Dynamik wie in den 90er Jahren.“
Bemerkenswert, dass er das so ähnlich ausdrückt wie die Grünen-Landesvorsitzende, Christin Melcher. „Wir brauchen eine Regierung, die Mut zu Veränderung aufbringt. Das gilt umso mehr, als die CDU in Sachsen fast 30 Jahre lang durchgehend regiert hat. Die Probleme Sachsens sind auch Ergebnis der Politik dieser Sachsen-CDU“, sagt sie und wirft der Partei vor, sie habe sich lange so sicher gefühlt, dass sie sich nicht mehr mit den Belangen der Bürger auseinandergesetzt und die politische Teilhabe der Menschen sie nicht mehr interessiert habe. „Böse Zungen sagen, dass sich in gewisser Weise das obrigkeitsstaatliche Denken der DDR fortgesetzt hat.“2014 konnte die CDU 59 von 60 Direktmandaten gewinnen. Eines bekamen die Linken. Die Prognose für die Wahl in zehn Tagen: 32 Direktmandate für die CDU, 20 für die AfD, 4 für die Linke, 4 für die Grünen. Die AfD wird sich damit tief in der Gesellschaft verankern.
Ministerpräsident Michael Kretschmer macht seit Monaten das Gegenteil von dem, was sein Vorgänger Stanislaw Tillich tat: Er fährt aufs Land, zu den Brennpunkten, in die Gegenden, die die CDU über Jahre sträflich vernachlässigt hat. Allerdings ist noch jemand unterwegs. Und der treibt einen Keil in die CDU: Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen. Seine politische Nähe zur AfD ist unverkennbar. Kretschmer sagt: „Ich finde, dass man Herrn Maaßen nicht schätzen muss. Ich habe ihn nicht eingeladen.“
Aber Maaßen wird von Parteikollegen auf Ortsebene eingeladen und die Veranstaltungen sind voll – zum Teil mit AfD-Anhängern. Im Landesverband führt das zu einer scharfen internen Auseinandersetzung. Die AfD triefe nur so vor Gift und Galle, heißt es – und nicht alle Christdemokraten stemmten sich dagegen. Eine Einladung Maaßens schade der CDU dabei, sich von der AfD abzugrenzen. Für die einen stürzt sie mit Maaßen bei dieser Gratwanderung ab, für die anderen hält gerade er die CDU im Spiel. Gift und Galle sind auch im Landesverband selbst zu spüren.
Für Parteichefin Kramp-Karrenbauer, die den Konflikt um Maaßen in der Debatte um einen Parteiausschluss noch verschärft hatte, wird es immer schwieriger, die Reihen zu schließen. Auch sie wird Blessuren davontragen, wenn Kretschmer der CDU nicht den Wahlsieg sichern kann. De Maizière mahnt: „Für die CDU in Sachsen gilt wie für alle der Parteitagsbeschluss von 2018, den ich als Vorsitzender der Antragskommission vorbereitet habe. Wir lehnen eine Koalition und ähnliche Formen der Zusammenarbeit sowohl mit der Linkspartei als auch mit der AfD ab.“Melcher erzählt aber: „Wir erleben, dass wichtige Teile der Sachsen-CDU immer mehr in verantwortungsloser Weise nach rechts abdriften.“Kretschmer habe diese Koalition für sich zwar ausgeschlossen, „aber die Mehrheit der CDU Sachsen bleibt diesen Beweis schuldig.“Auf kommunaler Ebene gebe es zwischen CDU und AfD immer wieder Kumpanei. „Die verstehen sich oftmals ganz gut.“
Fakt ist, dass AfD-Politiker entsprechend ihrem Proporz in Stadtparlamenten Posten bei der Sparkasse und anderswo besetzen. Sie haben einen Anspruch darauf. Wie auf das Amt des Landtagspräsidenten, wenn die AfD stärkste Kraft werden sollte. Nach einer aktuellen Umfrage liegt die CDU aber bei 30 Prozent und die AfD bei 24.
Die Grünen könnten ihr Ergebnis bei der Landtagswahl deutlich verbessern und mit der SPD Kretschmer im Amt halten. Inhaltlich wäre das schwierig. Zweierbündnisse sind aber passé. De Mazière sieht noch einen Grund für das Erstarken der AfD. Sie verhalte sich im Wahlkampf still und sammle einfach nur die Unzufriedenen ein. Aber: „Alle diskutieren über sie. Das ist das Beste, was ihr passieren kann.“Zu verschweigen ist sie nur schon lange nicht mehr.