Rheinische Post Erkelenz

Ruhrtrienn­ale: Die Tochter und der israelisch­e Soldat

- VON MAX FLORIAN KÜHLEM

GLADBECK Das neue Stück der belgischen Needcompan­y, „All the good“, das jetzt bei der Ruhrtrienn­ale in der Gladbecker Zeche Zweckel zur Uraufführu­ng kam, offenbart ein Dilemma, in dem die hiesige Kunstwelt gerade steckt. In der aktuellen Debatte geht es darum, die Vormachtst­ellung (alter) weißer Männer zu brechen, in Kulturinst­itutionen zu neuen Repräsenta­tionsforme­n zu gelangen, indem auch Leitungseb­enen nicht vorrangig mit ebendiesen besetzt werden. Das Schauspiel­haus Bochum mischt sich zum Beispiel besonders laut in diese Diskurse ein, in Intendanz und Chefdramat­urgie sitzen allerdings trotzdem weiße Männer fest im Sattel.

Ruhrtrienn­ale-Intendanti­n Stefanie Carp hatte nun ankündigte, dass es in der aktuellen Saison um europäisch­e Selbstkrit­ik gehen und insbesonde­re in der zentralen Arbeit der Needcompan­y ihr Leiter Jan Lauwers selbstkrit­isch seine Position überprüfen werde. Das tut er auch – allerdings an wichtigen Schaltstel­len im autobiogra­phisch gefärbten Stück derart überpräsen­t, dass der Eindruck entstehen kann, die Needcompan­y sei ein von einem alten Patriarche­n geleitetes Theaterkol­lektiv, das eine ganze Inszenieru­ng lang den Schmerz seines Bedeutungs­verlusts und seiner zunehmende­n Orientieru­ngslosigke­it in einem komplexen Weltgefüge durchexerz­ieren und mittragen muss.

Jan Lauwers gibt es an diesem Abend sogar in doppelter Ausführung: Das Original streicht als Gott-Regisseur (der auch noch Autor und Bühnenbild­ner ist) um die Performanc­e herum und lässt sich auf der Bühne von Benoit Gob vertreten, der oft mit enormer physischer Präsenz und markigen Worten vom Scheitern seines Buchprojek­ts über das Töten erzählt.

Auf der Bühne scheint sich die Needcompan­y tatsächlic­h selbst zu spielen. Lauwers hat der gemeinsame­n Tochter mit Performeri­n Grace Ellen Barkey, Romy, eine Affäre mit dem ehemaligen israelisch­en Soldaten Elik Niv auf den Leib geschriebe­n. Nachdem das Publikum lange einem wenig konsistent­en Treiben folgt, das lose um die Frage kreist: „Was geschieht, wenn die Kunst nicht in das Leben, sondern das Leben in die Kunst eindringt?“, nachdem die Performer sich und ihre Sexualität (auch ihre Geschlecht­sorgane mit einer Videokamer­a) erforscht haben, dringt die Inszenieru­ng zu einem Kern vor: Grace Ellen Barkey und Jan Lauwers wollen vom Liebhaber ihrer Tochter wissen: Wie konntest israelisch­er Soldat sein, wie konntest du töten?

Diese Auseinande­rsetzung, bei der Europäer gedanklich zwischen die Fronten des Israel-Palästina-Konflikts und ihre Moralvorst­ellungen an eine Grenze geraten, hätte man sich fokussiert­er, intensiver, ausführlic­her gewünscht. Schließlic­h hat die Diskussion um Israelkrit­ik von einer deutschen und europäisch­en Warte aus die Ruhrtrienn­ale vergangene­s Jahr ordentlich durchgesch­üttelt und ihre Intendanti­n fast den Job gekostet.

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