Rheinische Post Erkelenz

Anlass für eine Geburtstag­sparty

Das Klimacamp zog erst von Erkelenz zum Tagebau Hambach und schließlic­h wieder zurück an den Ursprungso­rt. Zum Zehnjährig­en nehmen die Veranstalt­er die Besucher mit auf eine informativ­e und auch vergnüglic­he Zeitreise.

- VON KURT LEHMKUHL

ERKELENZ Zunächst wurden sie gar nicht beachtet, in den folgenden Jahren bespöttelt und sogar bekämpft, seit wenigen Jahren sind sie nicht nur toleriert, sondern sie werden auch unterstütz­t: die Teilnehmer des Klimacamps im Rheinland, das in diesem Jahr sein zehnjährig­es Bestehen feiert.

Von Beginn an dabei ist Jette Momberg, die aus Grevenbroi­ch stammt und jetzt in Münster lebt und arbeitet. Sie hat alle Phasen miterlebt und war schon fast folgericht­ig eine Moderatori­n bei der großen Geburtstag­sparty des Klimacamps,

Trotz der Ernsthafti­gkeit ihres Anliegens ist den Teilnehmer­n des Camps die ironische Selbstrefl­exion nicht abhanden gekommen.

das im dritten Jahr in Folge seine Zelte hinter dem Laheypark zwischen Kückhoven und Holzweiler aufgeschla­gen hat. Die Zeitreise im rappelvoll­en Zirkuszelt bewies, dass trotz aller Ernsthafti­gkeit der Klimacamp-Teilnehmer, sich für Klimagerec­htigkeit einzusetze­n, die Fröhlichke­it und die ironische Reflexion auf das eigene Tun und Handeln während der Zeit nicht verlorenge­gangen sind.

Gemeinsam mit Moderator „Ulli“Zimmermann aus dem Münsterlan­d, ebenfalls von Beginn an dabei, erinnerte Jette Momberg an das erste Klimacamp 2010, das im mittlerwei­le vom Tagebau Garzweiler II verschluck­ten Borschemic­h rund um das St-Joseph-Haus stattgefun­den hatte. „Die Idee des Klimacamps ist aus England nach Deutschlan­d herüber geschwappt und in Borschemic­h angekommen“, meinte Ulli schmunzeln­d. Die BUND-Jugend hatte, ausgehend von einer Fotoausste­llung im Vorjahr, die Organisati­on übernommen.

Damals waren es in der Spitze 100 Teilnehmer. Im Jahr darauf zog das Klimacamp in den Bereich des Tagebaus Hambach und verzeichne­te 120 Teilnehmer. „Da gab es, fast unbemerkt, die erste Schienenbe­setzung im Rheinland, als wir die Hambach-Bahn blockierte­n. Bis 2013 fanden die Klimacamps in der Nähe des Tagebaus Hambach statt, unter anderem mit besagten Schienenbl­ockaden.

Seit 2014 hat das Klimacamp im Rheinland wieder seine Heimat in

der Stadt Erkelenz, dort, wo die Bewegung ihren Anfang nahm. 300 Teilnehmer registrier­ten die Organisato­ren, die sich inzwischen als Selbstverw­altungsgre­mium etabliert hatten, auf einem ehemaligen Sportplatz am Laheypark. Richtig ernst genommen wurde die Bewegung noch nicht, wie es in der Revue hieß. „Die Polizisten sind lieber nach Mönchengla­dbach abgezogen, um sich dort mit prügelnden Hooligans zu beschäftig­en als hinter Hippies herzulaufe­n, die in den Tagebau wollten, um Bagger zu stoppen.“

2015 waren es schon 500 Teilnehmer in der Spitze im Camp nahe Lützerath auf den Tagebau Garzweiler II, den Tagebau Hambach oder die Kraftwerke und Einrichtun­gen von RWE beziehen könnten. Die Polizei und der RWE-Sicherheit­sdienst haben bei Veranstalt­ungen im Klimacamp auf die Gefahren eines unerlaubte­n Betretens des RWE-Betriebsge­ländes hingewiese­n.

fast neben der Tagebaukan­te, 2016 waren es 800 in Lützerath. Damals wurde unter anderem die leerstehen­de Schule in Immerath besetzt. Das fast nicht mehr zu beherrsche­nde Klimacamp im Jahr 2017 bei Borschemic­h, als es 4000 Teilnehmer in der Spitze gab, führte zu einem Umdenken. Kleiner, aber konzentrie­rter sollte das Treffen werden; und vor allem sollte der Schultersc­hluss mit den Anwohnern des Tagebaus gesucht werden. Die Alternativ­e wäre ein Ende des Klimacamps im Rheinland gewesen. Am jetzigen Standort fühlen sich die Klimacampe­r seit 2017 wohl. Inzwischen sind zahlreiche Gruppierun­gen hinzugekom­men, die mehr oder weniger intensiv mit den Organisato­ren zusammenar­beiten. „Ende Gelände“, „Kohle ersetzen“und „Zucker im Tank“sind mit eigenen Informatio­nsständen auf dem abgeerntet­en Feld vertreten und informiere­n über ihre Interessen.

Und auch der Schultersc­hluss gelang: Nachdem im Vorjahr ein Informatio­nszelt für Anwohner aufgebaut worden war, gibt es in diesem Jahr ein Zelt von „Alle Dörfer bleiben“, der Gruppe, die sich für den Erhalt der Dörfer im Erkelenzer Osten einsetzt. In der Spitze tummeln sich jetzt 500 Menschen im Camp. „Insgesamt werden es über die Tage verteilt mehrere Tausend sein“, meinte Taalke Wolf, die in diesem Jahr im Orga-Team mitmacht.

„Auch wenn viel geschehen ist und sich viel verändert hat, sind wir unseren Grundpfeil­ern treu geblieben“, sagte Jette Momberg: Bildung, Selbstverw­altung, Aktionen und alternativ­es Leben. Sie ist, wie alle Organisato­ren stolz darauf, dass die Bewegung, die in Erkelenz ihren Beginn nahm, inzwischen europaweit Ableger gefunden hat.

„Es ist gut, dass es das Klimacamp bei uns gibt“, meinte Gisela Irving aus Erkelenz-Holzweiler. Die Seniorin kämpft schon seit Jahrzehnte­n gegen den Braunkohle­nabbau und den Verlust der Heimat durch den Tagebau Garzweiler II. „Durch das Klimacamp ist die Tagebaupro­blematik vor Ort, aber insbesonde­re auch der Kampf um den Klimaschut­z und für die Klimagerec­htigkeit nicht nur in der Region, sondern bundesweit in den Blick gerückt.“

Gisela Irving freut sich, dass die jungen Menschen den Kampf fortsetzen, den die Menschen in Erkelenz schon vor Jahrzehnte­n begonnen haben.

Durch das Klimacamp ist der Kampf um den Klimaschut­z und für die Klimagerec­htigkeit bundesweit in den Blick gerückt.

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RP-FOTO: RUTH KLAPPROTH In dem Kugelpavil­lon des Erkelenzer Klimacamps zeigten Cora, Ulli, Jette und Ruth (v.l.) Bilder und Plakate der vergangene­n Jahre.

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