Rheinische Post Erkelenz

Unendlichk­eit auf dem Landgut

Ein Pool, in dem man nicht nass wird, und Installati­onen, die den Besucher wachsen oder schrumpfen lassen: Beim Kulturbesu­ch in Den Haag fühlt man sich wie in einem Wunderland.

- VON NATALIE URBIG

DEN HAAG Ein Blick in die Unendlichk­eit dauert 45 Sekunden. Sie ist eingeschlo­ssen in einem Raum voller Spiegel und hunderten von Lichtern, die ihre Farbe ändern: von Lila zu Grün, von Gold zu Türkis, von Türkis zu Blau. Wer in der Mitte jenes Raums steht, kann über den Anblick nur staunen: Es funkelt und blinkt – ganz so, als würde man in die Weiten des Universums sehen. „Infinity Room“heißt das Werk und ist eine Installati­on der japanische­n Künstlerin Yayoi Kusama. Ihre verspiegel­ten Räume sind weltberühm­t. Einer von ihnen kann noch bis Ende des Monats im niederländ­ischen Museum Voorlinden in Wassenaar, das liegt rund 13 Kilometer entfernt von Den Haag, besichtigt werden. Da die Nachfrage so groß ist, werden direkt nach dem Einlass Zeitfenste­r für den „Infinity Room“vergeben – 45 Sekunden darf sich jeder Besucher darin aufhalten.

Aber auch ansonsten ist das Museum ein echter Geheimtipp. Erst vor drei Jahren wurde es auf einem alten Landgut eröffnet. Damit hat sich der Geschäftsm­ann und Kunstsamml­er Joop van Caldenborg­h einen Traum verwirklic­ht: Inmitten der Natur, neben einer englischen Backsteinv­illa ließ er einen Pavillon errichten, in dem zeitgenöss­ische Kunst gezeigt wird. Darunter sind Objekte aus seiner eigenen Sammlung, aber auch wechselnde Sonderauss­tellungen. Große Fensterfro­nten geben den Blick auf das grüne Anwesen frei und lassen Kunst und Natur eins werden. Wer das Museum betritt, fühlt sich wie in einem Wunderland. Viele der Ausstellun­gsstücke setzen auf den Perspektiv­wechsel, sie lassen den Museumsbes­ucher schrumpfen oder über sich hinaus wachsen.

Gleich zu Beginn wäre da etwa ein Aufzug, der so klein ist, dass nicht einmal der Fuß eines Gastes hineinpass­t. Trotzdem öffnet er pflichtbew­usst im Minutentak­t seine Türen, wartet kurz und setzt dann seine Fahrt fort. Wenig später steht der Besucher einem gigantisch­en Rentnerehe­paar gegenüber: Die hyperreali­stischen Figuren von Ron Mueck genießen unter ihrem Sonnenschi­rm einen Urlaubstag und überragen selbst im Sitzen ihre Betrachter.

Und dann ist da mitten im Museum ein Pool. Die Oberfläche schimmert im Licht. Wer genau hinsieht, wird stutzig: Vom Beckenrand sind sie nur schemenhaf­t zu erkennen, aber da sind doch tatsächlic­h Personen unter Wasser. Sie strecken ihre Arme in die Höhe, fotografie­ren oder winken den Schaulusti­gen. Des Rätsels Lösung offenbart eine Treppe: Sie führt in einen kleinen Raum, der unter dem Pool liegt. Wer ihr folgt, kann bald schon selbst am Grunde des Schwimmbec­kens stehen und durch die dünne Wasserober­fläche nach oben sehen, ohne dabei auch nur einen Tropfen abzubekomm­en. Den Swimmingpo­ol hat der argentinis­che Künstler Leandro Erlich extra für das Museum entworfen. Er möchte mit seinen Werken den Menschen das Absurde in alltäglich­en Räumen zeigen. Gleichwohl sollen sie über ihre Realität zum Nachdenken gebracht werden.

Wieder aufgetauch­t lockt dann ein weiterer Perspektiv­wechsel. Die Installati­on „Open Ended“von Richard Serra nimmt einen ganzen Raum ein. Zunächst sieht sie aus wie ein riesiger, rostfarben­er Klotz, der sich an zwei Enden einen spaltbreit öffnet. Neugierige können durch die Installati­on spazieren. Aber erst wer sich das Gebilde von oben ansieht, erkennt seine Form, die an ein großes Spiel-Labyrinth erinnert, durch das Kinder eine Kugel balanciere­n müssen. All das sind Werke der ständigen Sammlung: Darüber hinaus gibt es im Museum Voorlinden aber auch immer wieder wechselnde Ausstellun­g. Derzeit sind dort etwa mehrere Kunstwerke zum Thema „Weniger ist mehr“ausgestell­t und der koreanisch­e Bildhauer Do-Ho Suh zeigt eine Reihe transparen­ter Häuser.

Gewiss ist der „Infinity Room“ von Yayoi Kusama aktuell einer der Höhepunkte. Er wird mit vielen anderen Objekten der japanische­n Künstlerin anlässlich ihres 90. Geburtstag­s gezeigt. Während ihre Werke etwas Fröhliches ausstrahle­n, ist ihr Hintergrun­d ernst: Kusama leidet schon seit ihrer Kindheit an Psychosen und Wahnvorste­llungen. In Interviews erzählt sie immer wieder von einem einschneid­enden Erlebnis: Damals war sie mit ihrem Vater auf einem Feld unterwegs, als eine der Pflanzen auf einmal mit ihr zu sprechen beginnt. In Halluzinat­ion sieht sie Punkt- und Netzmuster, die sie bald in Kunst verwandelt­e. Punkte, so sagt sie, helfen ihr, weniger Angst vor der Welt zu haben.

Die sogenannte­n „Polka Dots“wurden bald zu ihrem Markenzeic­hen: Sie malt sie auf Skulpturen, Leinwände und bedeckte sogar Menschen damit. Im Museum Voorlinden ist ihr weltberühm­ter schwarzgep­unkteter Kürbis zu sehen, unendliche Netze, die sie gesponnen hat oder auch ein besonders markantes rot, weißes Muster, das sie auf Fliegenpil­z ähnliche Gebilde aufgetrage­n hat. Kusama lebt und arbeitet in einer Nervenheil­anstalt und malt dort bis heute ihre Punkte, die ihr zu Weltruhm verhalfen. Bis Ende des Monats sind ihre Werke in dem Museum zu sehen.

Aber auch ohne den „Ininity Room“gibt es viel zu entdecken, im Wunderland Voorlinden.

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FOTO: MUSEUM Blick in die Installati­on „Invisible Life“von Yayoi Kusama im Museum Voorlinden.

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