Johnson & Johnson muss Millionenstrafe zahlen
Schmerzmittelsucht ist in den USA ein Riesenproblem: Der Pharmariese muss nun für seine Rolle bei Herstellung und Vertrieb von Opioiden zahlen.
WASHINGTON Der Konzern Johnson & Johnson muss 572 Millionen Dollar an Schadensersatz zahlen, weil er nach dem Urteil eines Richters in Oklahoma die Gefahren opioidhaltiger Medikamente auf unverantwortliche Weise heruntergespielt hat. Es ist das erste Mal, dass ein US-Unternehmen wegen einer Mitschuld an der seit Jahren grassierenden Opioid-Epidemie so zur Verantwortung gezogen wird. Die Firma, so Richter Thad Balkman habe durch „irreführende und gefährliche“Vermarktung der Schmerzmittel dazu beigetragen, die Suchtkrise zu verschärfen. Dabei habe sie in Kauf genommen, dass die Zahl der Drogenabhängigen rasant stieg und Tausende an einer Überdosis starben. Gemeinsam mit anderen Pharmaherstellern habe Johnson&Johnson (J&J) eine teure PR-Kampagne gestartet, um Mediziner und die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass man mit Opioiden kein Risiko eingehe, weil sie angeblich nicht süchtig machten.
Was Balkman auflistet, liest sich wie die Chronik einer Epidemie: In den 90er Jahren ließen Pharmaanbieter Studien erstellen, nach denen man Schmerzen lange Zeit unterbehandelt habe und sich dies ändern müsse. Dann brachten sie massenhaft Opioide auf den Markt. Diese hatten bis dahin wegen der damit verbundenen Suchtgefahr als bedenklich gegolten, sodass sie in aller Regel nur in Krankenhäusern benutzt wurden. Dann aber sank die Hemmschwelle, mancherorts entstanden „pill mills“, dubiose Arztpraxen, in denen wie am Fließband Opioide verschrieben wurden, ohne mit den Patienten auch nur zu reden. Meldeten Ärzte Zweifel an, redeten ihnen Vertreter von J&J ein, dass es sich um eine „Pseudo-Sucht“ handle. Wenn Patienten schon nach auffallend kurzer Zeit um ein neues Rezept baten und somit Suchtsymptome erkennen ließen, sprachen die Emissäre der Industrie von einer nur scheinbaren Abhängigkeit. Verlange jemand nach mehr, sei dies nur ein Zeichen für eine „Unterbehandlung“. 2015 wurden allein in Oklahoma 326 Millionen Opioid-Pillen verschrieben, statistisch gesehen 110 Tabletten für jeden Erwachsenen.
Was der Richter beschreibt, nennt Mike Hunter, der Justizminister des Bundesstaats, eine bis zum Exzess getriebene Profitgier. Bisweilen, sagt er, hätten Pharmahersteller geradezu die Rolle von Drogendealern übernommen. Hunter hatte 17 Milliarden Dollar Entschädigung gefordert.Dass es Richter Balkman bei einem Bruchteil der Summe beließ, ließ den Aktienkurs von J&J zunächst sogar steigen.
Es dauerte eine Weile, bis auch der Name Johnson & Johnson, eher bekannt für Seife, Pflaster oder Tampons, in Verbindung mit der Epidemie gebracht wurde. Zunächst gerieten andere Unternehmen in die Negativschlagzeilen, zum Beispiel Purdue Pharma, die Firma, die das Schmerzmittel Oxycontin entwickelte. J&J indes lieferte rund sechzig Prozent des Rohmaterials, auf Tasmanien geernteten Mohn, das andere für ihre Tablettenproduktion benötigten. Purdue wiederum hatte sich bereits vor Monaten auf einen Vergleich mit dem Staat Oklahoma geeinigt, auf die Zahlung von 270 Millionen Dollar, mit denen unter anderem ein Zentrum zur Erforschung der Drogenabhängigkeit finanziert werden soll. Im vergangenen Jahr starben etwa 69.000 Amerikaner an einer Überdosis Rauschmittel, 189 pro Tag. Ein Großteil der Todesfälle, 48.000, ging auf Opioide zurück.