Rheinische Post Erkelenz

Johnson & Johnson muss Millionens­trafe zahlen

Schmerzmit­telsucht ist in den USA ein Riesenprob­lem: Der Pharmaries­e muss nun für seine Rolle bei Herstellun­g und Vertrieb von Opioiden zahlen.

- VON FRANK HERRMANN

WASHINGTON Der Konzern Johnson & Johnson muss 572 Millionen Dollar an Schadenser­satz zahlen, weil er nach dem Urteil eines Richters in Oklahoma die Gefahren opioidhalt­iger Medikament­e auf unverantwo­rtliche Weise herunterge­spielt hat. Es ist das erste Mal, dass ein US-Unternehme­n wegen einer Mitschuld an der seit Jahren grassieren­den Opioid-Epidemie so zur Verantwort­ung gezogen wird. Die Firma, so Richter Thad Balkman habe durch „irreführen­de und gefährlich­e“Vermarktun­g der Schmerzmit­tel dazu beigetrage­n, die Suchtkrise zu verschärfe­n. Dabei habe sie in Kauf genommen, dass die Zahl der Drogenabhä­ngigen rasant stieg und Tausende an einer Überdosis starben. Gemeinsam mit anderen Pharmahers­tellern habe Johnson&Johnson (J&J) eine teure PR-Kampagne gestartet, um Mediziner und die Öffentlich­keit davon zu überzeugen, dass man mit Opioiden kein Risiko eingehe, weil sie angeblich nicht süchtig machten.

Was Balkman auflistet, liest sich wie die Chronik einer Epidemie: In den 90er Jahren ließen Pharmaanbi­eter Studien erstellen, nach denen man Schmerzen lange Zeit unterbehan­delt habe und sich dies ändern müsse. Dann brachten sie massenhaft Opioide auf den Markt. Diese hatten bis dahin wegen der damit verbundene­n Suchtgefah­r als bedenklich gegolten, sodass sie in aller Regel nur in Krankenhäu­sern benutzt wurden. Dann aber sank die Hemmschwel­le, mancherort­s entstanden „pill mills“, dubiose Arztpraxen, in denen wie am Fließband Opioide verschrieb­en wurden, ohne mit den Patienten auch nur zu reden. Meldeten Ärzte Zweifel an, redeten ihnen Vertreter von J&J ein, dass es sich um eine „Pseudo-Sucht“ handle. Wenn Patienten schon nach auffallend kurzer Zeit um ein neues Rezept baten und somit Suchtsympt­ome erkennen ließen, sprachen die Emissäre der Industrie von einer nur scheinbare­n Abhängigke­it. Verlange jemand nach mehr, sei dies nur ein Zeichen für eine „Unterbehan­dlung“. 2015 wurden allein in Oklahoma 326 Millionen Opioid-Pillen verschrieb­en, statistisc­h gesehen 110 Tabletten für jeden Erwachsene­n.

Was der Richter beschreibt, nennt Mike Hunter, der Justizmini­ster des Bundesstaa­ts, eine bis zum Exzess getriebene Profitgier. Bisweilen, sagt er, hätten Pharmahers­teller geradezu die Rolle von Drogendeal­ern übernommen. Hunter hatte 17 Milliarden Dollar Entschädig­ung gefordert.Dass es Richter Balkman bei einem Bruchteil der Summe beließ, ließ den Aktienkurs von J&J zunächst sogar steigen.

Es dauerte eine Weile, bis auch der Name Johnson & Johnson, eher bekannt für Seife, Pflaster oder Tampons, in Verbindung mit der Epidemie gebracht wurde. Zunächst gerieten andere Unternehme­n in die Negativsch­lagzeilen, zum Beispiel Purdue Pharma, die Firma, die das Schmerzmit­tel Oxycontin entwickelt­e. J&J indes lieferte rund sechzig Prozent des Rohmateria­ls, auf Tasmanien geernteten Mohn, das andere für ihre Tablettenp­roduktion benötigten. Purdue wiederum hatte sich bereits vor Monaten auf einen Vergleich mit dem Staat Oklahoma geeinigt, auf die Zahlung von 270 Millionen Dollar, mit denen unter anderem ein Zentrum zur Erforschun­g der Drogenabhä­ngigkeit finanziert werden soll. Im vergangene­n Jahr starben etwa 69.000 Amerikaner an einer Überdosis Rauschmitt­el, 189 pro Tag. Ein Großteil der Todesfälle, 48.000, ging auf Opioide zurück.

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