Rheinische Post Erkelenz

„Ich glaube an das perfekte Gedicht“

- LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Der Lyriker wird am kommenden Sonntag im Heine-Haus mit dem „PoesieDebü­tPreis“geehrt.

Für sein Debüt „Die Tiere wissen noch nicht Bescheid“(Matthes und Seitz, 88 Seiten, 20 Euro) wird am kommenden Sonntag, 8. September, um 12 Uhr der Lyriker Sebastian Unger im Heine-Haus an der Bolkerstra­ße 53 geehrt: Nach dem Frankfurte­r Lyrik-Preis bekommt er nun auch den mit 5000 Euro dotierten Düsseldorf­er „PoesieDebü­tPreis“. Unger – 1978 in Berlin geboren – studierte unter anderem am Deutschen Literaturi­nstitut in Leipzig. Der 41-Jährige lebt in Berlin und Shanghai.

Empfinden Sie Lyrik auch als eine Lebens-Entscheidu­ng?

UNGER Natürlich, aber nicht im berufliche­n Sinne. Ich glaube, ich musste nur lernen, der Entscheidu­ng keinen Widerstand mehr zu leisten, Mut zur Vergeblich­keit. Das Leben erfordert doch auch ganz starke antilyrisc­he Tendenzen, und gleichzeit­ig ist poetisches Wahrnehmen längst kein Gedicht. Aus dieser Gemengelag­e muss man sich erst einmal herausarbe­iten.

Ist manchmal die Prosa für Sie eine Art Vorläufer Ihrer Gedichte?

UNGER Eine Technik unter vielen anderen ist, beispielsw­eise einen Brief zu schreiben, irgendwann den Text wichtiger als seinen Adressaten zu finden, zu schade, um ihn abzuschick­en, und ihn sich dann verselbstä­ndigen zu lassen. Daraus kann Material entstehen, Verse, die später in Gedichte eingehen. Regen im Sinne von regelmäßig, gegen das Fenster. Aber die Antwort auf die Frage ist: Nein

Gleich mit Ihrem Debüt können Sie beachtlich­e Erfolge feiern. Belastet das – neben der schönen Anerkennun­g?

UNGER Ein Debüt markiert einen Anfang, aber in meinem Fall gleichzeit­ig auch den Endpunkt einer sehr langen Schreibarb­eit. Mein erstes Buch ging mit 39 in den Druck, und obwohl es als „normales“Buch daherkommt und die Gedichte der letzten Jahre enthält, ist es doch auch ein Sammelband von vielleicht zwei Jahrzehnte­n der Auseinande­rsetzung. Jetzt stehen alle Möglichkei­ten offen, das ist ein schönes Gefühl, man könnte fast davonlaufe­n, wie der Fährmann im Märchen. Dieser nun anfänglich­e Erfolg ist daher eher eine Mahnung.

Wie wichtig war für Sie das Literaturs­tudium in Leipzig? War es notwendig, um erst einmal dort hinzukomme­n, wo Sie jetzt sind? UNGER Im Sinne der Winkelzüge des Schicksals, ja. Ich persönlich war aber viel zu jung, als ich dort anfing, erst 21, denn es ist kein normales Studium, wo die Informatio­nsrichtung zum Studenten hinfließt, sondern man muss alles selbst machen, fleißig schreiben, einen Abstand zu sich selbst finden, Lob und Kritik annehmen und austeilen. Ich war eher auf der Suche nach Anregung. Aber die Kontakte waren sehr wichtig, vor allem später.

Wo schreiben Sie, gibt es irgendwelc­he Rituale?

UNGER Ich schreibe in der Bibliothek, um nicht so viel zu rauchen. Aber eigentlich steckt noch etwas anderes dahinter. Ich will vermeiden, Schriftste­ller als eine Geste zu sein, und mir nichts an äußerliche­r Bedeutung von den Gegenständ­en borgen, keine Kerze, keinen Holztisch, kein schwarzes Mikronotiz­buch. Sich an nichts festzuhalt­en, in einem heroischen Sinne, nicht mal mit der Hand zu schreiben. Also so etwas wie Hungerstre­ik in Postmodern­e.

Wissen Sie immer, wann genau ein Gedicht „fertig“ist?

UNGER Es ist vielleicht naiv, ich glaube an das perfekte Gedicht. Aber es ist wie ein Horizontpu­nkt, man kann fahren und fahren, oder auch zu Fuß, es bleibt ein optischer Fluchtpunk­t oder ein Hörensagen in den Zeilen. Nur von außen können Gedichte fertig sein, die anderer Autoren, oder vielleicht auch eigene in den Augen der andern.

Zum Schluss: Bitte vervollstä­ndigen Sie den Satz: Poesie wird es immer geben, weil . . .

UNGER ...Moment mal, sich da so sicher zu sein, wäre ziemlich unpoetisch.

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FOTO: IMAGO/ROLF ZÖLLNER Sebastian Unger.

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