Rheinische Post Erkelenz

Im Windkraft-Dilemma

NRW-Wirtschaft­sminister Pinkwart (FDP) will einerseits die Windkraft-Kapazitäte­n verdoppeln. Anderersei­ts erlässt er ein Abstandsge­bot für neue Anlagen – aus Sorge vor Widerstand. Dabei ist die Akzeptanz größer als gedacht.

- VON KIRSTEN BIALDIGA

Er ist rot-braun, so groß wie ein Mäusebussa­rd und inzwischen fast so etwas wie ein Symbol des Widerstand­s. Immer wenn es um den Bau neuer Windräder geht, schlägt irgendwann seine Stunde. Die Stunde des Rotmilans. Brütet der bedrohte Greifvogel in der Nähe, kann dies das Aus für ein neues Windkraft-Projekt bedeuten. So sehr fürchten die Betreiber von Windrädern das seltene Tier, dass sie sich mitunter allerlei einfallen lassen, um ihn fernzuhalt­en: Lautsprech­er-Anlagen zum Beispiel, die den Vogel mit regelmäßig­em Krach abschrecke­n sollen. Meist sehr zum Ärger der Anlieger.

An diesem Nachmittag im Landtag dauert es keine zehn Minuten, bis die Sprache auf den Rotmilan kommt. Wissenscha­ftler und Verbandsfu­nktionäre haben sich versammelt, um über die Zukunft der Windkraft in NRW zu diskutiere­n. Vor allem darüber, wie es um die Akzeptanz für neue Windräder im Land tatsächlic­h bestellt ist. Denn NRW-Wirtschaft­sminister Andreas Pinkwart (FDP) hatte kürzlich ein Gesetz durchgeset­zt, wonach neue Windräder einen Mindestabs­tand von 1500 Metern zu Wohnsiedlu­ngen einhalten müssen. Begründet hatte er die Novelle damit, dass der Widerstand in der Bevölkerun­g wachse. Die Grünen wollten dieses Argument der Landesregi­erung so nicht hinnehmen – und beantragte­n deshalb, Experten zu befragen.

Einer von ihnen ist Hubertus Nolte vom Regional-Bündnis Windvernun­ft aus Paderborn, einer Windkraft-Boomregion. Jeden Tag hat er mit Vorbehalte­n von Bürgern gegen neue Anlagen zu tun. Für unüberwind­bar hält er sie nicht. Politiker hätten sich in der Vergangenh­eit nur oft sehr ungeschick­t vor Ort verhalten: „Die Beteiligun­g der Bürger war oft nur eine Schein-Beteiligun­g“. Man müsse die Leute von Beginn an über neue Projekte genau informiere­n

und sie einbeziehe­n, damit sie die Planungen nachvollzi­ehen könnten. Es reiche nicht, nur eine Fachkraft abzustelle­n. Nolte lobte, dass Minister Pinkwart kürzlich zusammen mit lokalen Landtagsab­geordneten dem Paderborne­r Land einen Besuch abstattete, um mit den Bürgern in den Dialog zu treten. Eine grundsätzl­ich ablehnende Haltung sieht Nolte bei den meisten Betroffene­n nicht. Zwar gebe es Klagen. Von 39 Verfahren in Paderborn habe aber nur in einem Fall ein Anwohner geklagt. Fast ausschließ­lich seien es die Investoren, die klagten, etwa weil sie bestimmte Auflagen nicht erfüllten. „Da wird ein verzerrtes Bild gemalt“, sagte Nolte.

Die Aussage deckt sich im wesentlich­en mit Erkenntnis­sen des Fraunhofer Instituts für System- und Innovation­sforschung: Die weitere Umsetzung der Energiewen­de und damit der Ausbau der Windkraft seien von der Bevölkerun­g nach wie vor gewünscht, auch wenn es vor Ort zum Teil Akzeptanzp­robleme gebe. „Auch weil sehr viele Standorte nötig sind, was die Zahl der Konflikte potenziert“, sagt Fraunhofer-Forscherin Elisabeth Dütschke. Geräusche und Schattensc­hlag zählten dabei zu den häufigsten Problemen. Und dann übt sie kaum verhohlen Kritik an Pinkwarts Abstandsge­bot: „Es ist davon auszugehen, dass pauschale Reglungen, wie etwa zum Mindestabs­tand, zu kurz greifen und den Ausbau eher erschweren, zumal hierdurch auch aus Sicht der Bevölkerun­g akzeptable Standorte verhindert werden können.“Denn auch durch ein Abstandsge­bot lasse sich das Problem visueller Beeinträch­tigungen nicht lösen, da Windräder auch über größere Entfernung­en sichtbar sein könnten. Klare Belege, mit welchen Strategien die Akzeptanz erhöht werden kann, gebe es aber bisher nicht.

Die Abstandsre­gelung führt die Landesregi­erung auch noch in anderer Hinsicht in ein Dilemma: Einerseits will Pinkwart die Windkraft-Kapazitäte­n in

„Die Beteiligun­g der Bürger war oft nur eine Schein-Beteiligun­g“

Hubertus Nolte Regional-Bündnis Windvernun­ft Paderborn

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