Rheinische Post Erkelenz

Kleine Fluchten aus den Fesseln des Staates

- VON BERTRAM MÜLLER

Unter dem Titel „Utopie und Untergang“zeigt der Düsseldorf­er Kunstpalas­t Malerei und Grafik aus der DDR.

DÜSSELDORF Cornelia Schleime zählt zu den Heldinnen der Kunst in der DDR. Auf Auseinande­rsetzungen mit dem Künstlerve­rband ließ sie sich gar nicht erst ein. Nach ihrem Studium in Dresden mit Ausstellun­gsverbot belegt, schlug sie sich durch und schuf ein Lebenswerk zwischen Übermalung­en und Performanc­es, experiment­ellen Filmen und Punk-Musik. Der zweite Saal der Ausstellun­g „Kunst in der DDR. Utopie und Untergang“im Düsseldorf­er Kunstpalas­t zeugt davon, wie aus innerer Freiheit Großes erwächst.

Eines von Schleimes Bildern trägt den Titel „Der Osten ist grau, der Westen hat auch etwas Farbe“. Es entstand 1986, nach der Ausreise der Künstlerin, und ist horizontal geteilt. Die obere, flache Partie kommt fast ohne Menschen und Konturen aus, darunter verlieren sich hingetusch­te Figuren in einer unbestimmt­en Fläche. „Der Westen ist auch nicht unbedingt das Paradies“, so müsste der zweite Teil von Schleimes Titel lauten, würde man ihm die Ironie nehmen.

An der Wand gegenüber zeigt sich Cornelia Schleime auf Fotografie­n ihrer Behausung in der DDR neben Protokolle­n der Stasi. Die entdeckte dort nichts Strafbares, doch der unbürgerli­che Lebensstil der Künstlerin war ihr verdächtig. „Ich war Müll“, sagte Cornelia Schleime auf die Frage, ob sie Mitglied im Künstlerve­rband der DDR war. Sie pfiff darauf, sich vom Staat ernähren zu lassen, und befand sich darin in guter Gesellscha­ft mit A. R. Penck.

Auch er schlug sich lieber mit Gelegenhei­tsjobs durch, stellte seit den späten 1960er Jahren regelmäßig im Westen aus und wurde 1980 von der DDR ausgebürge­rt. Er siedelte nach Kerpen bei Köln über, war von 1989 bis 2005 Professor für Freie Graphik an der Kunstakade­mie Düsseldorf und starb vor zwei Jahren in Zürich.

Ein Saal nur mit Werken aus seiner Hand führt vor Augen, wie früh er bereits seine Strichmänn­chen in die Welt gesetzt hatte. Eines der ersten Bilder mit diesem Motiv, seinem Markenzeic­hen, ist „Der Sturz“von 1960. Schwarz auf heller Pappe stürzen die Männchen links eine Stalin-Büste, während rechts andere bereits ein neues Objekt des Personenku­lts hereintrag­en.

Demgegenüb­er gilt Pencks Gemälde „Der Übergang“von 1963 als Metapher der Teilung Deutschlan­ds. „Es ist ein Bild der persönlich­en Unsicherhe­it des Woher und Wohin“, so der Künstler, auch „ein Bild der Gefahr“und „des Zweifels“: ein Gang über eine brennende Brücke.

Auch bei Penck gewinnt man den Eindruck, dass er allein seinem Kompass folgte. Die übrigen elf Künstlerin­nen und Künstler der Düsseldorf­er Schau waren materiell vom Staat abhängig, ihre Freiheit hatte Grenzen, an denen sie sich gern rieben. Selbst Willi Sitte, langjährig­er Präsident des Verbands Bildender Künstler der DDR, musste seine Gemälde immer wieder gegen staatliche Kritik verteidige­n. Mit Bernhard Heisig, Wolfgang Mattheuer und Werner Tübke zählte er zu den großen vier der DDR-Kunst, die man früh auch im Westen kannte. Die von Steffen Krautzig kuratierte Schau versteht sich als Dokumentat­ion, nicht in erster Linie als Versammlun­g künstleris­cher Spitzenlei­stungen. Sie veranschau­licht, wie Künstlerin­nen und Künstler in der DDR den Widrigkeit­en trotzten und wie ihnen dabei meist doch nur kleine Fluchten aus den Fesseln der sozialisti­schen Vorgaben gelangen. Irrsinnige Lebensläuf­e sind darunter, etwa derjenige von Elisabeth Voigt (1893-1977), die einst bei Käthe Kollwitz studierte, sich dann der nationalso­zialistisc­hen Kulturpoli­tik unterordne­te, nach dem Zweiten Weltkrieg eine Professur an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst übernahm und dann aus dem Verband Bildender Künstler austrat, um ihre Ruhe zu haben. Ihre Figurensze­nen wirken bemüht, ein Funke wird daraus auf den Betrachter kaum überspring­en.

Wer selbst in einer Dokumentat­ion nach Schwergewi­chten schielt, wird bei denjenigen Künstlern fündig, die zu DDR-Zeilen mit ihrem Werk bereits in der Bundesrepu­blik präsent waren. Michael Morgner zum Beispiel ist durch sein vierteilig­es Werk „Deutsches Requiem“von 1988 vertreten. Auch Carlfriedr­ich Claus hatte für seine filigranen Arbeiten auf Papier schon vor dem Untergang der DDR ein Sammlerpub­likum im Westen, ebenso Gerhard Altenbourg. In seiner thüringisc­hen Heimat hatte er sich in ein Leben zurückgezo­gen, aus dem surreale Blätter hervorging­en, darunter ein halb skelettier­ter sterbender Krieger, „Ecce homo“. Eine Dornenkron­e, wie Christus sie tragen musste, sitzt auch ihm auf dem Haupt, im Hintergrun­d gestrichel­te Panzer und Soldaten. Von dort blickt man hinüber auf Heisigs großformat­iges Gemälde „Christus verweigert den Gehorsam“. Darin ist gleichfall­s eine Dornenkron­e zu sehen, doch reißt der Heiland sie sich vom Kopf. Wo „Ecce homo“in stillem SchwarzWei­ß ein Leiden darstellt, drückt Heisig Pathos auf die Leinwand.

Zu den Entdeckung­en zählt Angela Hampel, auch sie eine Malerin, die durch Figuren der Mythologie spricht wie in ihrer in Farben glühenden Medea von 1985. Hampel geht es dabei nicht um das Thema der Frau, die ihre eigenen Kinder tötet. Vielmehr will sie Zweifel an Szenen in Mythos und Bibel äußern, die starke, intelligen­te Frauen als wilde Mörderinne­n diffamiere­n. Eben erst hat Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier in Schloss Bellevue ein Medea-Bildnis von Angela Hampel aufhängen lassen.

Die erste westdeutsc­he museale Auseinande­rsetzung mit Kunst aus der DDR seit der Wende ist ein Schritt, auch den Nachgebore­nen das Leben im einstigen zweiten deutschen Staat zu vermitteln. Doch sollte man nicht alles verteidige­n. Unfreiheit ist kein guter Nährboden für Kunst. Der Titel der nächsten Schau müsste lauten: Was bleibt von der Kunst in der DDR?

 ?? FOTO: LUDWIG FORUM FÜR INTERNATIO­NALE KUNST, AACHEN, LEIHGABE PETER UND IRENE LUDWIG STIFTUNG ?? A.R. Penck
„Der Übergang“(1963, Öl auf Leinwand).
FOTO: LUDWIG FORUM FÜR INTERNATIO­NALE KUNST, AACHEN, LEIHGABE PETER UND IRENE LUDWIG STIFTUNG A.R. Penck „Der Übergang“(1963, Öl auf Leinwand).

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