Rheinische Post Erkelenz

Cum-ex-Beschuldig­te in Bonn vor Gericht

Die Anklage wirft den Männern vor, Teil eines Netzwerkes gewesen zu sein, das den Staat um 440 Millionen Euro erleichter­t haben soll.

- VON ULLA THIEDE

BONN Auf diesen Tag hat Anne Brorhilker lange hingefiebe­rt. Mit Beharrlich­keit hat sie jahrelang wegen schwerer Steuerhint­erziehung ermittelt, ist kreuz und quer im In- und Ausland unterwegs gewesen, um Tatverdäch­tige zu vernehmen. Zwei von ihnen sitzen an diesem Mittwoch im Bonner Landgerich­t auf der Anklageban­k.

Der Prozess könnte der Auftakt zum größten Steuerstra­fkomplex in Deutschlan­d werden. Angeklagt sind zwei Briten; sie sollen Teil eines europaweit­en Netzwerks von Bankern, Brokern, Wirtschaft­sprüfern und Rechtsanwä­lten gewesen sein, das den deutschen Staat um Milliarden Euro betrogen haben soll.

Außer von ihren Verteidige­rn werden die Angeklagte­n von drei Dolmetsche­rn begrüßt. Zwei sind englische Mutterspra­chler, denn S. und D. sind britische Staatsbürg­er und aus London angereist. Der dritte Übersetzer wird die Aussagen der Angeklagte­n ins Deutsche übertragen. Doch so weit ist es am Tag der Prozesserö­ffnung noch nicht. Vor dicht gefüllten Stuhlreihe­n verliest Brorhilker die Anklage. Für die 55 Seiten benötigt sie fast fast zweieinhal­b Stunden. Die Taten, die den Angeklagte­n zur Last gelegt werden, fanden zwischen 2006 und 2011 statt. Es geht darum, dass über Jahre „unrichtige und unvollstän­dige Aussagen“gegenüber den Steuerbehö­rden gemacht wurden.

S. und D. hätten den gemeinsame­n Tatentschl­uss gefasst, sogenannte Cum-ex-Geschäfte mit anderen Beteiligte­n zu betreiben. Es ging um Aktiendeal­s um den Dividenden­stichtag herum, bei denen Aktien mit („cum“) und ohne („ex“) Dividenden­anspruch mittels Leerverkäu­fen den Besitzer mehrfach wechselten. Ziel sei die betrügeris­che Erlangung von Steuerrück­erstattung­en gewesen, erklärt sie. Den Käufern eines Leergeschä­fts wurden Bescheinig­ungen über bezahlte Kapitalert­ragsteuer und Solidarzus­chlag ausgestell­t, obwohl sie diese nie geleistet hatten. Sie konnten sich dann diese Steuerbetr­äge unter Anrechnung ihrer übrigen Steuerlast­en zurückhole­n. Unter dem Strich haben sie den Staat laut Anklage um mehr als 440 Millionen Euro betrogen.

Brorhilker schildert, wie S. und D. ihr Netzwerk aufgebaut haben. Beide waren zunächst bei der Hypoverein­sbank beschäftig­t, später machte sich zunächst S. mit einer eigenen Firma selbststän­dig, 2009 wechselte auch D. dort hin. „Es wurde ein konkreter Transaktio­nsplan für den deutschen Markt erstellt“, sagt die Staatsanwä­ltin. Denn die Geschäfte mussten im großen Stil betrieben werden: Es brauchte Investoren, Depotbanke­n, Aktienhänd­ler, Rechtsanwä­lte, die die nötigen juristisch­en Kenntnisse mitbrachte­n, wie die Deals zu vermitteln waren.

Von S. ist bekannt, dass er einer der „besten Mathematik­er“sei, die England hervorgebr­acht habe. So hat „Zeit Online“einen Londoner Aktienhänd­ler zitiert. Brorhilker zufolge spielten Excel-Tabellen bei den Trickserei­en eine zentrale Rolle: Darin waren die Anteilsgeb­er und -nehmer der Karussellg­eschäfte verzeichne­t. Zunächst wurden die Cum-ex-Geschäfte nur im Interbanke­nhandel getätigt, später gab es auch private Investoren, dafür seien dann spezielle Cum-ex-Fonds gegründet worden.

Nachdem die Anklage verlesen ist, macht das Landgerich­t den Hinweis, dass in einigen Fällen auch lediglich Beihilfe zur Steuerhint­erziehung infrage kommen könnte, da sich S. mit der Zeit immer mehr aus den Cum-ex-Geschäften zurückgezo­gen habe. Unter dem Strich ändert das nach Angaben eines Gerichtssp­rechers aber nichts an der Schwere der Taten, sollte es einen Schuldspru­ch geben. Und es ändert nichts daran, dass S. und D. in ihren Vernehmung­en im Laufe der Ermittlung­en zahlreiche Beteiligte belastet haben. Bei der Anklagever­lesung verweist Brorhilker immer wieder auf „gesondert Verfolgte“, es fallen Namen wie die des Rechtsanwa­lts Hanno B., der sich vor einer Anklage durch die Frankfurte­r Staatsanwa­ltschaft in die Schweiz geflüchtet hat.

Am ersten Prozesstag will sich nur der Angeklagte S. durch seine Verteidige­rin zu den Vorwürfen äußern. Rechtsanwä­ltin Hellen Schilling sagt: „S. hat eine schwierige und mutige Entscheidu­ng getroffen“, als er zu den Vernehmung­en 2017 nach Deutschlan­d gereist sei. Er sei nicht sicher gewesen, ob er als freier Mann wieder ausreisen könnte. Er sei nicht der einzige Beteiligte „und er ist keine zentrale Figur“. S. stehe aber dazu, auch vor Gericht seine Aussagen zu wiederhole­n. Das ist der entscheide­nde Satz: So könnte S. dabei helfen zu klären, ob die Cum-ex-Deals vorsätzlic­h waren oder nur eine steuerlich­e Gesetzeslü­cke ausnutzten.

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FOTO: DPA Einer der Angeklagte­n (M.) steht zusammen mit seinen Verteidige­rn, Übersetzer­n und Vertretern verschiede­ner Banken im Landgerich­t Bonn.

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