Rheinische Post Erkelenz

Ein Mann erklärt die Welt

In „Hot Air“geht es um einen Moderator, dessen Gewissheit­en ins Wanken geraten.

- VON WOLFGANG MARX

(dpa) Er rückt noch einmal das US-Fähnchen am Revers seines Jackets gerade, dann marschiert Radio-Moderator Lionel Macomb (Steve Coogan) mit seiner Entourage ins Studio ein und nimmt hinter dem Mikrofon Platz. Millionen von Fans warten bereits auf seine Tiraden.

In seiner Radiosendu­ng schießt er seine Giftpfeile ab: Von der Trump-Mauer halte er nicht viel, sagt Macomb. Er schlägt stattdesse­n einen großen Graben mit reichlich Stacheldra­ht vor. Abgrenzung findet er schließlic­h gut.

Es wäre einfach, diesen Moderator als populistis­chen Hardliner und verbalen Brandstift­er abzustempe­ln. Aber ganz so schlicht ist die Wahrheit nicht. In einer grandiosen Rede über den Untergang des amerikanis­chen Traums liest er seinen Landsleute­n ordentlich die Leviten: „Ihr wählt einen geistesges­törten Betrüger, nur um zu sehen, was passiert“, sagt er. Einen Namen nennt er allerdings nicht.

Der britische Schauspiel­er Steve Coogan ist geübt als polarisier­ender Radiomoder­ator. Seit bald drei Dekaden verkörpert er den fiktiven Moderator Alan Partridge in Fernsehser­ien, einem Kinofilm und in Comedy-Shows. Insofern ist die Rolle wie gemacht für ihn.

In Frank Coracis sanftem Drama „Hot Air“, das auch durch seine komödianti­schen Untertöne und brillanten Dialoge punktet, geht es um die unheilvoll­e Macht der Worte in einer zerrissene­n Welt. Und es geht um Lionel Macomb: Wer ist dieser selbstverl­iebte Mann? In seiner Radio-Sendung will er den „wütenden, armen und kauernden Massen“eine Stimme geben, sagt er, aber in Wirklichke­it ist er ein knallharte­r Zyniker, der sich in einer als grausam und gleichgült­ig empfunden Welt einen eisernen Panzer zugelegt hat, um all das Elend zu ertragen.

Dann jedoch gerät seine fest gezirkelte Welt ins Wanken. Regelmäßig finden gegen ihn Proteste vor dem Studio statt. Noch größeres Ungemach droht ihm aber durch seinen ehemaligen Zögling Gareth Whitley (Skylar Astin), der Harmonie statt Hass predigt – aber doch nur alten Wein in neuen Schläuchen verhökert.

Und da ist noch Lionels sechzehnjä­hrige Nichte Tess (großartig: Taylor Russell), die unverhofft in das Leben von Lionel Macomb tritt und es ordentlich durcheinan­derwirbelt. Der Panzer des egozentris­chen Zynikers bekommt schnell erste Risse.

Hot Air, USA 2019, von Frank Coraci, mit Steve Coogan, Taylor Russell, Neve Campbell, Skylar Astin, 103 Minuten

 ?? FOTO: DPA ?? Der rechtskons­ervative Moderator Lionel Macomb (Steve Coogan) weiß, wo es langgeht – meint er zumindest.
FOTO: DPA Der rechtskons­ervative Moderator Lionel Macomb (Steve Coogan) weiß, wo es langgeht – meint er zumindest.

Newspapers in German

Newspapers from Germany