Viel Lärm um Lärm
Beschwerden über Spiel- und Fußballplätze, Klagen wegen krähender Hähne, Seelöwen-Gebrüll und Martinshörnern. Ist die Gesellschaft heute lärmempfindlicher als früher – oder einfach nur egoistischer?
Wenn wir diese Welt betreten, machen wir als Erstes Lärm. Mit dem ersten Schrei zeigt ein Baby, dass es lebt und genug Atem hat. Ein gutes Zeichen. Und doch sind viele dieser Babys, wenn sie dann mal erwachsen sind, auf einmal sehr empfindlich, wenn es um Geräusche geht. Die müssen nicht mal so durchdringend wie der Schrei eines Kleinkinds sein. Die Menschen beschweren sich schon über deutlich Leiseres und ziehen dafür sogar vor Gericht. Was soll das?
Das jüngste Beispiel kommt aus Mettmann. Da fordern einige Innenstadt-Bewohner von der Feuerwehr, die Martinshörner im Einsatz „gedämpfter einzuschalten“. In einer E-Mail drohen die Verfasser: „Sollten jetzt noch ein einziges Mal die Einsatzfahrzeuge in der lautesten Sirenenfrequenz durch die Innenstadt fahren, erstatten wir Anzeige wegen Körperverletzung.“Unterzeichnet ist das anonyme Scheiben mit: „Die kranken Anwohner“. Feuerwehr und Stadt verteidigen den Einsatz der Martinshörner. Es geht schließlich um Menschenleben, da zählt jede Sekunde. „Bitte machen Sie Platz und halten Sie den Lärm aus“, sagt Amtsleiter Matthias Mausbach.
Dieses Kapitel reiht sich in eine Reihe von ähnlich gelagerten Absurditäten ein. Im Gegensatz zu dem Fall in Mettmann sind die Beschwerden aber nicht immer damit erledigt, dass jemand einfach ausspricht, was der gesunde Menschenverstand gebietet. In Rommerskirchen (Rhein-Kreis Neuss) mussten sich Gerichte ein Jahr lang damit beschäftigen, ob Hahn „Simaul“im heimischen Garten krähen darf. Im Ortsteil Villau gibt es seit Jahrzehnten Hühnerhaltung. Und doch entschloss sich eine Nachbarin, Klage einzureichen, um den Hahn abschaffen zu lassen. Im Juli urteilte das Landgericht Mönchengladbach: „Simaul“darf weiter krähen.
In Rommerskirchen handelte es sich bei den Streitparteien übrigens um langjährige Nachbarn. In Köln war 2018 eine zugezogene Frau der Grund für tierische Aufregung. Sie fühlte sich von den Geräuschen der Seelöwen des Kölner Zoos in ihrer Nachtruhe gestört. Sie reichte eine amtliche Beschwerde ein, die Bezirksregierung rückte mit Dezibel-Messgeräten an. Das Ende vom Seelöwen-Lied: Die Tiere dürfen weiterhin frei entscheiden, ob sie sich nachts drinnen oder draußen aufhalten und welche Laute sie dabei von sich geben. Viel Aufregung um nichts – also außer um die Frage: Wer zieht neben einen Zoo und beschwert sich dann über Tiergeräusche?
Diese Liste der lästigen Lärmstreitigkeiten lässt sich beliebig fortführen. Bewohner des neuen Andreasquartiers in Düsseldorf beschweren sich über den Lärm aus der Altstadt. Andere Düsseldorfer rufen das Ordnungsamt, weil ihnen eine Senioren-Disco den Sonntagnachmittag vermiest. In Wermelskirchen sammeln Anwohner Unterschriften gegen Kinder und Jugendliche, die sich im Dorfpark treffen. In Rommerskirchen wird eine einstweilige Verfügung gegen einen Spielplatz eingereicht. In Hessen klagt ein Zugezogener wegen läutenden Kirchenglocken. Und in Rheinland-Pfalz führen Anwohnerbeschwerden dazu, dass ein Kreispokalspiel im Elfmeterschießen abgebrochen werden muss.
All diese Beispiele haben eines gemeinsam: Es geht um Alltagsgeräusche, die eigentlich schon immer da waren, aber jetzt auf einmal als störend empfunden werden. Falls die Evolution das Gehör der Deutschen nicht ganz plötzlich um ein Vielfaches geschärft hat, bleibt nur ein Schluss: Das Problem scheint nicht außen am Kopf, sondern darin zu liegen.
Eine systematische Beschwerdestatistik zum Thema Lärm gibt es nicht. „Allerdings scheint der Eindruck nicht zu täuschen, dass die Beschwerden zugenommen haben“, sagt Michael
„Die Gesamtbelastung durch Stress, nicht nur durch Lärm, spielt eine große Rolle“
Michael Jäcker-Cüppers Deutsche Gesellschaft für Akustik