Rheinische Post Erkelenz

Deutschlan­d übt den „Streitfall“

Die Streitkult­ur sollte eine Kommunikat­ion auf Augenhöhe werden.

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Neuerdings wird Streit in Deutschlan­d ganz groß geschriebe­n. Quasi als neue Errungensc­haft in der Art und Weise, wie wir uns in wichtigen Fragen des Zusammenle­bens verhalten sollten. Die Wochenzeit­ung „Die Zeit“hat jetzt sogar eine eigene Redaktion ins Leben gerufen, die sich mit nichts anderem als dem Streit beschäftig­t. Das hört und fühlt sich gut an: nämlich der Versuch, unsere permanente­n Aufgeregth­eiten, Empörungen und auch Hysterien irgendwie zu kultiviere­n. Anlässe dazu scheint es ohnehin mehr als genug zu geben: Klimawande­l, Populismus, Migration und viele andere. Darüber lässt sich streiten, heißt es dann.

Aber vielleicht doch lieber nicht, weil Streit sehr oft genau das ist, woran es keinen Mangel gibt. Streit ist das Aufeinande­rprallen zweier Meinungen, Streit ist Konfrontat­ion, Streit ist die Dokumentat­ion von Anschauung­en, nach dem Motto: So ist es, und nicht anders!. Im Streit gewinnt der Stärkere, manchmal ist es der Lauteste oder Geschickte­ste oder Ausdauernd­ste. Aber was ist mit der Meinung des anderen? Tja, die ist dann unterlegen. Am Ende von jedem Streit gibt es Gewinner und Verlierer. Streit ist darum etwas anderes als eine Debatte und erst recht unterschie­dlich zur Vorstellun­g eines „kommunikat­iven Handelns“, wie es Jürgen Habermas beschrieb. Das meint eine „herrschaft­sfreie“Auseinande­rsetzung. Ein Disput auf Augenhöhe also, die eine Voraussetz­ung für Verständig­ung und darum mehr als schöne Rhetorik ist. Demokratie lebt davon, und die Langatmigk­eit der Entscheidu­ngsfindung ist ihr Vorteil, kein Manko. Eine solche Kommunikat­ion sucht erst noch nach Lösung und Erkenntnis. Im Streit hat das vorher im stillen Kämmerlein längst stattgefun­den. Ihre Teilnehmer wähnen sich dann zu schnell und auch zu überzeugt im Besitz der Wahrheit.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

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