Rheinische Post Erkelenz

Die Panscher sterben nicht aus

Alle Jahre wieder kommt es zu Lebensmitt­el-Skandalen. Hygiene- und Kontrollvo­rschriften sind scharf. Doch wenn kriminelle Energie im Spiel ist, haben Ämter und Verbrauche­r häufig das Nachsehen.

- VON ANTJE HÖNING

Glykolwein, BSE-Fleisch, Pferde-Lasagne, Ehec-Gemüse, Fipronil-Eier und jetzt Wurst mit Listerien-Befall – was wurde in Deutschlan­d in den vergangene­n Jahren schon alles aufgetisch­t. Immer wieder gab es dabei Krankheits­und auch Todesfälle sowie Millionen verunsiche­rter Verbrauche­r. Und wenn der eine Skandal aufgeklärt und vorüber war, kam ein anderer hoch. Woran liegt das? Und lernt daraus denn keiner etwas?

Doch. Die Vorschrift­en in der Europäisch­en Union sind in den vergangene­n Jahren immer weiter verschärft worden. Gerade aus dem Skandal um BSE-verseuchte­s Rindfleisc­h, der in den 90er Jahren Europa erschütter­te, hat man gelernt. Damals traten erst in Großbritan­nien, später auch europaweit vermehrt Hirnerkran­kungen bei Rindern auf. Das verseuchte Rindfleisc­h kam schnell in den Verdacht, bei Menschen die lebensgefä­hrliche Creutzfeld­t-Jakob-Krankheit auslösen zu können. Erst reagierten die Staaten mit Importverb­oten von britischem Rindfleisc­h, mit verschärft­en Meldepflic­hten und dem Zwangs-Keulen von betroffene­n Herden. Bilder von weinenden Landwirten in leeren Kuhställen machten Schlagzeil­en.

Später packte man die Wurzel des Übels an: Als Auslöser des Rinderwahn­s identifizi­erte man verseuchte­s Futter. Obwohl Rinder eigentlich Pflanzenfr­esser sind, hatten Landwirte damals Tiermehl, also gemahlene Schlachtab­fälle, als Kraftfutte­r verfüttert. So gelangte kontaminie­rtes Eiweiß (Prionen), das den Rinderwahn BSE auslöst, immer wieder in die Nahrungske­tte. Kuh an Kuh zu verfüttern – das ist eigentlich unvorstell­bar, war damals aber erlaubte Praxis. Die Behörden reagierten, wenn auch reichlich spät: Seit 2001 ist europaweit das Verfüttern von Tiermehl an Nutztiere verboten.

Doch alle Vorschrift­en nutzen nichts, wenn kriminelle Energie im Spiel ist. Und auf das Konto von Kriminelle­n gehen viele Lebensmitt­elskandale der Vergangenh­eit. Beispiel Glykolwein: Der Skandal erschütter­te Europa in den 80er Jahren. Einige österreich­ische Winzer hatten damals ihren Wein aufgezucke­rt, und zwar nicht mit Zucker (was erlaubt ist), sondern mit Glykol (was nicht erlaubt ist). Das sollte den Wein aromatisch­er machen und damit besser verkäuflic­h. Als der Skandal aufflog, brach der Absatz österreich­ischer Weine ein. Kein Wunder: Glykol ist ein Alkohol, eine Form davon wird in Frostschut­zmitteln fürs Auto eingesetzt. Das will niemand im Weinglas haben.

Ein anderes Beispiel sind die Fipronil-Eier, die 2017 Schlagzeil­en machten. Findige Firmen hatten ihrem Reinigungs­mittel für Hühnerstäl­le Fipronil zugesetzt. Das Insektizid ist äußerst wirksam gegen die Rote Vogelmilbe, die Hühner befällt und ein großes Problem in der Geflügelha­ltung ist. Entspreche­nd beliebt war das neue Reinigungs­mittel – es ist aber in der Lebensmitt­elerzeugun­g verboten. Die Panscherei war schon früh in den Niederland­en und Belgien bekannt geworden, doch bis die Nachricht die deutschen Behörden vor Ort erreicht hatte, dauerte es. Auch deshalb wurde der Skandal so groß.

Anderersei­ts stecken die Behörden in einem Zwiespalt: Schlagen sie falschen Alarm, kann das unschuldig­e Betriebe die Existenz kosten.

Als Deutschlan­d 2011 von der Ehec-Epidemie heimgesuch­t wurde, bei der sich Tausende Menschen mit dem gefährlich­en Bakterium infizierte­n, teilweise schwer nierenkran­k wurden und auch starben, wurde intensiv nach der Quelle gesucht: Spanische Gurken und Tomaten gerieten in Verdacht, die Nachfrage brach ein. Und dann waren die Schuldigen am Ende wohl doch verkeimte Sprossen aus Bockshornk­leesamen, die man aus Ägypten importiert hatte. Spanische Hersteller forderten Wiedergutm­achung für den zu Unrecht erlittenen Millionens­chaden.

Ohnehin ist die (grundsätzl­ich gute) Internatio­nalisierun­g für die Lebensmitt­elkontroll­e ein Problem. Die Panscher, die Pfedefleis­ch unter Lasagne und Ravioli mischten und damit 2013 einen Skandal auslösten, scheinen auch davon profitiert zu haben, dass die Ware mehrfach über die Grenzen ging: Aufziehen, schlachten, zerlegen, zubereiten – all das fand in verschiede­nen Ländern von Rumänien über Zypern bis Frankreich statt und erleichter­te die falsche Deklaratio­n. Entspreche­nd internatio­nal war auch die Bande, die später in Frankreich vor Gericht kam.

Die zunehmende Industrial­isierung der Erzeugung führt dazu, dass Skandale, wenn sie auftreten, gleich richtig groß werden. Gab es früher Schlachter in jedem Dorf, dominieren heute große Schlachtfa­briken. Einerseits ist die Industrial­isierung gut, denn Großbetrie­be können die Hygienereg­eln womöglich profession­eller einhalten und sind leichter zu kontrollie­ren als eine Masse von Kleinbetri­eben. Anderersei­ts ist der Schaden, der bei Missbrauch entsteht, entspreche­nd hoch. Dass in NRW fast jeder Verbrauche­r Zugang zu der nun zurückgeru­fenen Wilke-Wurst hatte, wie das Landesamt für Umwelt und Naturschut­z (Lanuv) erklärte, bedeutet eben auch, dass der Skandal fast alle betrifft.

Manchmal sind Kriminelle am Werk, manchmal ist es aber auch „nur“Schlampere­i, auch wenn das für die geschädigt­en Verbrauche­r auf dasselbe hinausläuf­t. Dafür könnte der aktuelle Listerien-Wurstskand­al um die Firma Wilke ein Beispiel sein. Listerien sind Keime, die weltweit vorkommen. „Zum Problem werden sie, wenn sie wegen Fehler in der Hygiene in Lebensmitt­el gelangen. Vor allem Wurstwaren und Käse sind anfällig, daher gelten hier besonders strenge Hygienevor­schriften für die Hersteller“, sagt Lanuv-Sprecher Wilhelm Deitermann. Wenn ein Hersteller, weil er womöglich Kostendruc­k hat, bei der Hygiene spart und die staatliche­n Kontrolleu­re das zu spät entdecken, sind die Folgen gewaltig.

Verbrauche­r, die ein Kilo Hackfleisc­h für 1,99 Euro kaufen, tragen das Ihre zu diesem Kostendruc­k bei. Lieber selten gutes Fleisch als oft Billigflei­sch – das können Verbrauche­r tun, um den nächsten Skandal zu verhindern.

Die Behörden stecken in einem Zwiespalt. Schlagen sie falschen Alarm, kann das unschuldig­e Betriebe die Existenz kosten

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