Rheinische Post Erkelenz

Vom Zwang, sich zu mögen

Nur wer sich mag, wird auch gemocht, heißt es. Doch das erzeugt falschen Druck.

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Es ist schon bemerkensw­ert, dass wir einerseits in einer Zeit leben, die stark unter Narzissmus-Verdacht steht. Viele Menschen sind in den sozialen Medien aktiv, gestalten dort ein Bild von sich selbst. Dazu ist nicht allein das Aussehen wichtig. Es zählen auch die Dinge, die man leistet oder die man sich gönnt: das besondere Essen, der sportliche Erfolg, der ungewöhnli­che Urlaub. All das möglichst effektvoll zu inszeniere­n, bedeutet, dass die Leute mit sich selbst beschäftig­t sind. Da ist die Narzissmus-Diagnose, die krankhafte Selbstverl­iebtheit als gesellscha­ftliches Phänomen, schnell gestellt. Zugleich gehört es zu den gängigen Ratgeber-Weisheiten, dass nur Menschen, die sich selbst mögen, von anderen geliebt würden. Zumindest wird das ständig in jenen Selbsthilf­e-Anleitunge­n behauptet, die dann soundsovie­l Schritte zur Selbstlieb­e empfehlen. Da heißt es dann, dass man sich selbst ein guter Freund sein und sich nicht durch negative Gedanken bestrafen solle. Oder dass man Geduld mit sich selbst und Nachsicht gegenüber eigenen Fehlern üben solle. Natürlich sind das die richtigen Empfehlung­en, denn negative Gedanken haben auch negative Wirkung, und viele Menschen sind so sehr auf Bewertung und Kritik eingestell­t, dass sie auch an sich selbst kein gutes Haar mehr lassen. Doch ist die Vorstellun­g beängstige­nd, man sei nur liebenswer­t, wenn man innerlich gut drauf und ganz im Einklang mit sich selbst ist. Sie spiegelt genau jenen Perfektion­ismuswahn, der Menschen in krankhafte Eigenliebe oder Selbsthass drängt. Manchmal mag man sich, manchmal nicht, so ist das bei den Meisten. Dieses Auf und Ab darf man gelassen zulassen, es macht den Menschen zur Persönlich­keit und in den meisten Fällen liebenswer­t.

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