Der Mensch im Mittelpunkt
Stephan Balkenhol und Hans Aichinger: Zwei sehr unterschiedlich arbeitende Künstler widmen sich ähnlichen Themen. Zu sehen in der Galerie Löhrl.
MÖNCHENGLADBACH Die junge Frau hockt auf einer hölzernen Kiste. Ihre Arme hat sie verschränkt, hält sich so anscheinend selbst im Gleichgewicht. Sie schaut mit ernstem Blick. Wohin? Den Betrachter sieht sie nicht an, sie scheint keinen exakten Punkt zu fixieren. Sie ist in sich versunken, so wirkt es. Aus der umgestürzten Kiste sind lange Hölzer herausgefallen, auch eine altertümliche Schreibfeder ist dabei. Die Größenverhältnisse geraten ins Wanken. Da stimmt doch was nicht. Aufschluss gibt auch der umgebende Raum nicht. Er ist leer. Das Licht kommt aus unbekannter Quelle von rechts, lässt Schatten auf dem Holzboden entstehen. Wie heißt das Bild? Die Hüterin. Hans Aichinger hat es in diesem Jahr gemalt – und zwar in einer unfassbar altmeisterlichen Art.
Der Künstler, 1959 in Leipzig geboren, versteht sein Handwerk. Das hat er an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig bei Bernhard Heisig gelernt. Seine Bilder sind hyperrealistisch. Die Stofflichkeiten sind mit den Augen greifbar. Haut, Hände, Haare – perfekter geht es nicht. Und dennoch ist da die merkwürdige Abwesenheit der Menschen, die er doch so fotografisch genau malt. Sie schauen sich gegenseitig nicht an, die Augen folgen auch nicht den Betrachtern der Bilder. Sie scheinen aufgrund ihrer hochgradig realistischen Wiedergabe zum Greifen nah, ihre Haltung allerdings schafft eine anscheinend unüberbrückbare Distanz.
Und dann sind da die Aquarellzeichnungen von Hans Aichinger. Da entstehen unheimliche Traumwelten, an einem Kind wird die Erziehung mit dem Hammer vollzogen, zwei weiteren Kindern schütten Erwachsene flüssiges Wissen in die Köpfe. Diese eigentümlichen Szenen hält Aichinger durchweg in Pastellfarben fest. Sie wirken verspielt, leicht, luftig. Ein großer Gegensatz zu den streng durchdachten und fotorealistisch komponierten Ölbildern. Diese sehenswerte Ausstellung ist im Haus Löhrl an der Kaiserstraße 69 zu sehen.
Schräg gegenüber, an der Kaiserstraße 58-60, sind zeitgleich alle Bronze-Editionen von Stephan Balkenhol aus den Jahren 1992 bis 2019 zu sehen. Der Künstler, der seine ersten Ausstellungen 1983 und 1984 in der Galerie Löhrl hatte, ist international durch seine Holzskulpturen bekannt geworden. Neben diesen entstanden seit 1992 Bronze-Arbeiten in kleiner Auflage – für Charity-Projekte oder zur Realisierung seiner großen Außenskulpturen für den öffentlichen Raum. Bis heute hat er 55 Editionen geschaffen. Erstmals werden sie komplett in der Galerie Löhrl gezeigt.
„Wir finden es absolut spannend, Stephan Balkenhols anonyme Durchschnittsmenschen neben den fotorealistischen Arbeiten von Hans Aichinger zu zeigen“, sagt Galerist Christian Löhrl. Gelungen, möchte man sagen. Ein Besuch der Ausstellungen in beiden Häusern der Galerie Löhrl hüben und drüben der Kaiserstraße wird dringend empfohlen.