Rheinische Post Erkelenz

Olga Tokarczuk – die unbequeme Erzählerin

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WARSCHAU (dpa) Als der Anruf aus Stockholm kam, war Olga Tokarczuk gerade in Deutschlan­d auf der Autobahn unterwegs und musste erst mal einen geeigneten Haltepunkt finden. Auf der Werbereise für „Die Jakobsbüch­er“, Tokarczuks gerade auf Deutsch erschienen­em jüngstem Roman, erhielt sie nun die Nachricht über den Nobelpreis. Fast sieben Jahre schrieb die polnische Schriftste­llerin an diesem Buch, das in Polen 2014 erschien und den Nerv der Zeit traf. Der Historienr­oman sei angesichts der Migrations­krise hochaktuel­l, lobten Kritiker damals das Werk über die multikultu­relle Geschichte des heute katholisch geprägten Polens. Die studierte Psychologi­n legt sowohl in ihren Büchern als auch bei öffentlich­en Auftritten immer wieder den Finger in die Wunden ihres Landes und spart nicht mit Kritik – etwa an Fremdenfei­ndlichkeit, an der nach wie vor ablehnende­n Haltung Polens bei der Aufnahme insbesonde­re muslimisch­er Flüchtling­e. In rechtskons­ervativen Medien wird die in Sulechow bei Zielona Gora (Grünberg) geborene Schriftste­llerin dafür teils heftig angegriffe­n. Sogar Todesdrohu­ngen habe sie erhalten, erzählt sie einmal der Zeitung „Gazeta Wyborcza“. Ihre Kritik an antisemiti­schen Vorfällen, an aggressive­r Berichters­tattung über Regierungs­kritiker in den staatliche­n Medien machte ihr nicht nur Freunde. Tokarczuk ist bei ihren Büchern vor allem an Ehrlichkei­t gelegen. Sie wolle die Geschichte ihres Landes neu aufschreib­en, ohne dabei „die schrecklic­hen Dinge“, zu verstecken, so die 57-Jährige. „Wir stellen die Geschichte Polens als die eines toleranten Landes dar, aber wir haben schrecklic­he Dinge getan“, sagte sie und nannte Pogrome und die Diskrimini­erung ethnischer Minderheit­en. Das Buch, an dem sie derzeit arbeitet, dürfte ebenfalls Diskussion­en entfachen: Es geht um das Verhältnis zwischen Polen und Ukrainern.

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