Synagogen-Attentäter ging wie in einem Computerspiel vor
HALLE (dpa/epd/mar) Die jüdischen Gemeinden in Deutschland erfahren nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle an der Saale eine große Welle der Solidarität. Mehr als 1000 Menschen kamen in der Stadt in Sachsen-Anhalt am Freitagabend zu einer Menschenkette an dem jüdischen Gotteshaus zusammen. Auch in anderen Städten gab es Mahnwachen, Kundgebungen und Gedenkgottesdienste, darunter in Berlin, München, Dresden, Aachen, Dortmund und Wuppertal.
Nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden hatte B. bei seinem Angriff auf die Synagoge vier Schusswaffen und mehrere Sprengsätze bei sich. Ermittler fanden in Wohnräumen des Tatverdächtigen einen 3D-Drucker, was den Verdacht untermauert, er habe seine Waffen selbst hergestellt. Ein Bekennervideo in sozialen Netzwerken zeigt den Ablauf der Tat aus der Perspektive des Attentäters – von der vergeblichen Erstürmung der Synagoge über die tödlichen Schüsse bis zur Flucht. Zudem legte der Täter in einem elf Seiten langen „Manifest“seine Gedanken dar. Der Text liest sich stellenweise wie die Anleitung zu einem Computerspiel, in dem Dokument wimmelt es von antisemitischen Begriffen.
Wie der „Spiegel“berichtete, befand sich der Drucker in einem gelegentlich von dem Tatverdächtigen genutzten Zimmer in der Wohnung seines Vaters. Die Ermittler gehen davon aus, dass der frühere Chemiestudent einen Großteil der bei seinem Angriff verwendeten Schusswaffen selbst baute.
In einem weiteren Zimmer, in dem B. bei seiner Mutter wohnte, hätten die Fahnder eine Festplatte beschlagnahmt. Die Mutter von B., Volker Bouffier (CDU) Hessischer Ministerpräsident
bei der der Täter nach der Trennung der Eltern lebte, habe „Spiegel TV“gesagt, die Tür des Zimmers sei stets verschlossen gewesen, er habe dort seine Privatsphäre gehabt.
Bei den Opfern handelte es sich um eine 40 Jahre alte Frau aus Halle sowie einen 20 Jahre alten Mann aus Merseburg, wie die Deutsche Presse-Agentur aus Sicherheitskreisen erfuhr. Die Frau war am Mittwochmittag von dem schwer bewaffneten Täter vor der Synagoge erschossen worden, der Mann wenig später in einem nahen Dönerladen. Er hatte als Maler auf einer Baustelle in der Nähe gearbeitet.
Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) forderte nach dem Attentat eine geistig-moralische Wende der gesamten Gesellschaft im Umgang mit dem Rechtsextremismus. „Die Ächtung von rechtsextremer Gewalt und Hass im Netz ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“, sagte Bouffier unserer Redaktion. „Wir brauchen einen kulturellen Wandel. Wenn heute Kinder auf Schulhöfen mit ,Du Jude’ beschimpft werden oder ein Täter nach einer Messerattacke vor einer Synagoge in Berlin laufengelassen wird, läuft etwas grundsätzlich falsch in unserer Gesellschaft“, sagte der CDU-Politiker. Heute sei im Internet vieles sagbar, was vor Jahren unvorstellbar gewesen sei. Hessen lege gerade ein großes Programm gegen Hatespeech im Netz auf.
Auch der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) sieht die Bekämpfung des Rechtsextremismus als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. „Wir brauchen eine breite gesellschaftliche Bewegung gegen alles, was die Hemmschwelle zur Gewalt senkt“, sagte Weil unserer Redaktion. „Hass, Gewaltaufrufe und Verunglimpfungen im Netz müssen geächtet werden, denn den Worten folgen Taten“, sagte Weil.
„Die Ächtung von rechtsextremer Gewalt im Netz ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“