Wie sexy darf Sport sein?
Bis wohin dient Athletinnen nackte Haut zur Selbstvermarktung, und wo bedient der Sport nur Instinkte? Hürdensprinterin Pamela Dutkiewicz plädiert dafür, jeder Sportlerin selbst zu überlassen, was sie preisgeben will.
DÜSSELDORF Berlin, Ende September. Basketball-Bundesligist Alba Berlin schafft die Auftritte seiner Cheerleader in den Spielpausen ab. „Wir sind zu der Überzeugung gekommen, dass das Auftreten junger Frauen als attraktive Pausenfüller bei Sportevents nicht mehr in unsere Zeit passt“, begründet Alba-Geschäftsführer Marco Baldi. Valesca Stix, Trainerin der Tänzerinnen, sagt: „Ich kann verstehen, wenn man sich umorientieren möchte, aber die Begründung finde ich persönlich falsch.“
Doha, Ende September. Die Organisatoren der Leichtathletik-WM haben in den Startblöcken Kameras installiert, die in den Schritt filmen. Die „upper cameras“seien „gut gemeint, um die Anspannung vor dem Start noch besser zu transportieren“, heißt es. Sprinterin Gina Lückenkemper kritisiert: „In den knappen Sachen über diese Kamera zu steigen, um in den Block zu gehen, finde ich sehr unangenehm.“
Zwei Orte, zwei Vorgänge. Zwei Beispiele, die den Fokus auf eine immer wieder aufkommende Frage im Sport werfen: Wie sehr dürfen, müssen, ja sollten Sportlerinnen ihre durchtrainierten Körper als Mittel zur Vermarktung einsetzen – und wo beginnt das Thema Sexismus, wenn Zuschauer knapp bekleideten Athletinnen vielleicht nur zuschauen, weil sie wenig an haben? Pamela Dutkiewicz ist Hürdensprinterin, 2017 gewann sie WM-Bronze, 2018 EM-Silber. Die Wattenscheiderin macht keinen Hehl daraus, dass ihr Aussehen wichtig ist – gerade auch im Stadion. Sie sagt: „Natürlich müssen wir über Sexismus reden, wo Grenzen überschritten werden. Aber ich finde die Sexismus-Debatte im Sport dann übertrieben und anstrengend, wenn gegraben wird, wo gar nichts ist. Damit wird dann vieles totgedacht.“
Was die 28-Jährige an dem Fall der Berliner Cheerleader stört, ist die Tatsache, dass andere über deren Tun entscheiden und Gründe anführen, die die Cheerleader selbst vielleicht gar nicht so wahrnehmen. „Für die Cheerleader war es doch einfach eine tolle Bühne, um sich zu präsentieren, ihren Sport, das, wofür sie trainieren. Das kann ich nicht nachvollziehen, dass man das abschafft“, sagt Dutkiewicz. Sie als Sprinterin sieht sich bei jedem Lauf nicht nur sportlicher Konkurrenz gegenüber. Es geht immer um mehr. Um Aussehen, um Show. „Wenn man Spaß hat, sich als Athletin zu präsentieren, finde ich es absolut legitim. Warum soll ich mir vor einem großen Wettkampf nicht überlegen, ob ich mir eine neue Frisur zulege?“, sagt Dutkiewicz. „Ich finde es als Zuschauer cool, wenn ich vor dem Start sehen kann, was die Jamaikanerin mit ihren Haaren gemacht hat, und welches Tattoo die US-Amerikanerin neu hat. Die Leichtathletik bewegt sich doch zurecht immer mehr auch Richtung Show, und wir Sportler sind eben ein kleines Teilchen dieser Show.“
Dutkiewicz will keiner Sportlerin pinke Fingernägel oder Bauchnabelpiercing vorschreiben, aber sie plädiert eben auch dafür, die Athletinnen selbst und keine Männer in Verbandsgremien entscheiden zu lassen, ob und wie extrovertiert sie sich geben wollen. „Natürlich entscheidet man in Zeiten von Social Media, was und wen man damit bedient“, sagt sie. „Ich glaube, wir sind in Deutschland da oft zu schnell auf dem Baum, wenn eine Sportlerin sich beim Wettkampf sexy präsentiert. Ich habe manchmal den Eindruck, wir Deutschen denken ganz oft: Guck mal, sie hatte Zeit sich über ihren Lippenstift Gedanken zu machen, die Zeit hätte sie mal besser genutzt, um sich auf den Lauf zu konzentrieren.“Dass Sportlerinnen selbst oft am besten den schmalen Grat bewältigen können, wenn es um die Präsentation des eigenen Körpers geht, zeigt ein Beispiel aus dem Jahr 2012. Als der Volleyball-Weltverband damals den Beachvolleyballerinnen wieder mehr Stoff am Leib erlaubte, als es zuvor die Bikini-Vorschrift hergab, blieben viele Athletinnen beim Bikini, weil er sich in Ausübung des Sports als praktisch erwiesen hatte.
Sex sells, diese Werbeweisheit gilt auch im Sport. Und in einer Zeit, in der die Frage, wie viele einem bei Instagram folgen, bares Geld wert ist, bietet der Sportlerkörper mehr denn je die Chance zur Monetarisierung mittels Werbeverträgen. Doch der Wille, sich über sein Äußeres zu vermarkten, muss die entscheidende Instanz sein, findet Dutkiewicz. Genau deswegen fand sie die Startblockkameras von Doha (sie selbst verpasste die WM verletzt) daneben. „Ich weiß nicht, welchen Mehrwert Bilder aus einer Starblockkamera bringen sollen, vor allem, wenn sie zwischen die Beine filmt. Das kann sich doch kein Mensch ausgedacht haben, der selbst mal in einem Startblock stand“, sagt sie.
Übrigens: Man hätte vor der WM einfach mal die Sprinterinnen fragen können, was sie von solch einer Kamera halten.