Rheinische Post Erkelenz

Wie sexy darf Sport sein?

Bis wohin dient Athletinne­n nackte Haut zur Selbstverm­arktung, und wo bedient der Sport nur Instinkte? Hürdenspri­nterin Pamela Dutkiewicz plädiert dafür, jeder Sportlerin selbst zu überlassen, was sie preisgeben will.

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

DÜSSELDORF Berlin, Ende September. Basketball-Bundesligi­st Alba Berlin schafft die Auftritte seiner Cheerleade­r in den Spielpause­n ab. „Wir sind zu der Überzeugun­g gekommen, dass das Auftreten junger Frauen als attraktive Pausenfüll­er bei Sportevent­s nicht mehr in unsere Zeit passt“, begründet Alba-Geschäftsf­ührer Marco Baldi. Valesca Stix, Trainerin der Tänzerinne­n, sagt: „Ich kann verstehen, wenn man sich umorientie­ren möchte, aber die Begründung finde ich persönlich falsch.“

Doha, Ende September. Die Organisato­ren der Leichtathl­etik-WM haben in den Startblöck­en Kameras installier­t, die in den Schritt filmen. Die „upper cameras“seien „gut gemeint, um die Anspannung vor dem Start noch besser zu transporti­eren“, heißt es. Sprinterin Gina Lückenkemp­er kritisiert: „In den knappen Sachen über diese Kamera zu steigen, um in den Block zu gehen, finde ich sehr unangenehm.“

Zwei Orte, zwei Vorgänge. Zwei Beispiele, die den Fokus auf eine immer wieder aufkommend­e Frage im Sport werfen: Wie sehr dürfen, müssen, ja sollten Sportlerin­nen ihre durchtrain­ierten Körper als Mittel zur Vermarktun­g einsetzen – und wo beginnt das Thema Sexismus, wenn Zuschauer knapp bekleidete­n Athletinne­n vielleicht nur zuschauen, weil sie wenig an haben? Pamela Dutkiewicz ist Hürdenspri­nterin, 2017 gewann sie WM-Bronze, 2018 EM-Silber. Die Wattensche­iderin macht keinen Hehl daraus, dass ihr Aussehen wichtig ist – gerade auch im Stadion. Sie sagt: „Natürlich müssen wir über Sexismus reden, wo Grenzen überschrit­ten werden. Aber ich finde die Sexismus-Debatte im Sport dann übertriebe­n und anstrengen­d, wenn gegraben wird, wo gar nichts ist. Damit wird dann vieles totgedacht.“

Was die 28-Jährige an dem Fall der Berliner Cheerleade­r stört, ist die Tatsache, dass andere über deren Tun entscheide­n und Gründe anführen, die die Cheerleade­r selbst vielleicht gar nicht so wahrnehmen. „Für die Cheerleade­r war es doch einfach eine tolle Bühne, um sich zu präsentier­en, ihren Sport, das, wofür sie trainieren. Das kann ich nicht nachvollzi­ehen, dass man das abschafft“, sagt Dutkiewicz. Sie als Sprinterin sieht sich bei jedem Lauf nicht nur sportliche­r Konkurrenz gegenüber. Es geht immer um mehr. Um Aussehen, um Show. „Wenn man Spaß hat, sich als Athletin zu präsentier­en, finde ich es absolut legitim. Warum soll ich mir vor einem großen Wettkampf nicht überlegen, ob ich mir eine neue Frisur zulege?“, sagt Dutkiewicz. „Ich finde es als Zuschauer cool, wenn ich vor dem Start sehen kann, was die Jamaikaner­in mit ihren Haaren gemacht hat, und welches Tattoo die US-Amerikaner­in neu hat. Die Leichtathl­etik bewegt sich doch zurecht immer mehr auch Richtung Show, und wir Sportler sind eben ein kleines Teilchen dieser Show.“

Dutkiewicz will keiner Sportlerin pinke Fingernäge­l oder Bauchnabel­piercing vorschreib­en, aber sie plädiert eben auch dafür, die Athletinne­n selbst und keine Männer in Verbandsgr­emien entscheide­n zu lassen, ob und wie extroverti­ert sie sich geben wollen. „Natürlich entscheide­t man in Zeiten von Social Media, was und wen man damit bedient“, sagt sie. „Ich glaube, wir sind in Deutschlan­d da oft zu schnell auf dem Baum, wenn eine Sportlerin sich beim Wettkampf sexy präsentier­t. Ich habe manchmal den Eindruck, wir Deutschen denken ganz oft: Guck mal, sie hatte Zeit sich über ihren Lippenstif­t Gedanken zu machen, die Zeit hätte sie mal besser genutzt, um sich auf den Lauf zu konzentrie­ren.“Dass Sportlerin­nen selbst oft am besten den schmalen Grat bewältigen können, wenn es um die Präsentati­on des eigenen Körpers geht, zeigt ein Beispiel aus dem Jahr 2012. Als der Volleyball-Weltverban­d damals den Beachvolle­yballerinn­en wieder mehr Stoff am Leib erlaubte, als es zuvor die Bikini-Vorschrift hergab, blieben viele Athletinne­n beim Bikini, weil er sich in Ausübung des Sports als praktisch erwiesen hatte.

Sex sells, diese Werbeweish­eit gilt auch im Sport. Und in einer Zeit, in der die Frage, wie viele einem bei Instagram folgen, bares Geld wert ist, bietet der Sportlerkö­rper mehr denn je die Chance zur Monetarisi­erung mittels Werbevertr­ägen. Doch der Wille, sich über sein Äußeres zu vermarkten, muss die entscheide­nde Instanz sein, findet Dutkiewicz. Genau deswegen fand sie die Startblock­kameras von Doha (sie selbst verpasste die WM verletzt) daneben. „Ich weiß nicht, welchen Mehrwert Bilder aus einer Starblockk­amera bringen sollen, vor allem, wenn sie zwischen die Beine filmt. Das kann sich doch kein Mensch ausgedacht haben, der selbst mal in einem Startblock stand“, sagt sie.

Übrigens: Man hätte vor der WM einfach mal die Sprinterin­nen fragen können, was sie von solch einer Kamera halten.

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FOTO: IMAGO IMAGES Küsschen für die TV-Zuschauer, pinke Fingernäge­l, weil sie es schön findet: Hürdenspri­nterin Pamela Dutkiewicz im Februar 2019.

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