Auf dem Weg zum Pult-Star
Julio García Vico hat es in den Wettbewerb um den Deutschen Dirigentenpreis geschafft. Er studiert an der Schumann-Hochschule.
Fast hätte er seinen Taktstock vergessen. Neben dem Packen Partituren auf einem der Flügel im Gruppenunterrichtsraum der Dirigierklasse. Da huscht Julio García Vico also noch mal schnell durch die Flure der Robert-Schumann-Hochschule und kommt mit seinem Handwerkszeug zurück. Puh. Wäre beinahe dumm gelaufen. Denn ein Dirigent ohne Taktstock, der braucht gar nicht erst zum Wettbewerb zu fahren. Und darum geht es ja schließlich.
Seit Freitag findet in Köln das Spektakel um den Deutschen Dirigentenpreis statt, wir treffen den 27-jährigen Spanier während der ersten Runde, die am heutigen Dienstag Abend endet. Ausgerichtet vom Deutschen Musikrat, haben sich in diesem Jahr aus 91 Bewerbern zwölf Kandidaten durchgesetzt, die einerseits um die Ehre, andererseits um die Preisgelder konkurrieren. 15.000 Euro erhält der Gewinner. Von bleibendem Wert dürfte jedoch der mit einer guten Platzierung verbundene Karriereschub sein, der einhergeht mit ersten Engagements bei Profi-Orchestern. Nicht zu vergessen die Erfahrung, die ein junger Musiker bei so einem Wettbewerb sammelt. „Mein erstes Ziel ist es, in die zweite Runde zu kommen.“Julio Garcia Vico denkt Schritt für Schritt. Nach großartigem Lampenfieber hört sich das nicht an.
Fürs Foto zuppelt sich der junge Mann in legerer Kleidung und Sneakers noch schnell die Haare durcheinander, im Gespräch sprühen seine dunkelbraunen Augen, immer wieder springen die Arme der raschen, tenoral in spanischem Akzent gefärbten Rede bei. Aus einer unmusikalischen Familie sei er der erste, der klassische Musik für sich entdeckt hat, erzählt er. Während die Mutter Popmusik im Radio hörte, begann der Achtjährige mit dem Klavierspiel, leitete mit zehn schon eine kleine Kapelle, die Schauspielmusik spielte, schrieb dafür eigene Stücke. Als 17-Jähriger ging er nach Madrid, studierte Klavier, wurde mit 20 Mitglied des Spanischen Nationalorchesters und rutschte mit 22 in eine Krise. „Ich spürte, diese museale Klassikwelt war nicht die meine“, sagt er.
Er bekam eine Stelle für ein Masterstudium Neue Musik beim Ensemble Modern in Frankfurt und fuhr wenige Tage nach dem Abschluss nach Düsseldorf, um Hochschul-Professor Rüdiger Bohn kennenzulernen. „Ich erinnere noch die furchtbare Flixbus-Fahrt und dass ich weit nach Mitternacht erst wieder in Frankfurt war. Aber nach zehn Minuten in Bohns Unterricht habe ich gewusst: Das ist meins. So kann ich auch in vielen Jahren noch Musik machen.“
Das war 2015. Inzwischen ist Vico angekommen, hat seit 2016 als Chef die Japanischen Symphoniker geleitet, als Gast in Aachen, Düsseldorf und Weikersheim gearbeitet, Meisterkurse absolviert und assistiert. Demnächst dirigiert er die „Butterfly“in Gelsenkirchen. Und einer der wenigen Stipendiaten des Dirigentenforums des Deutschen Musikrats ist er auch. „Wenn du am Pult stehst, dann musst du es schaffen, dass die Musiker für dich spielen. Deine Ideen über die Musik verstehen, dir vertrauen. Dazu muss man die Musik lieben, das kann man nicht faken“, weiß er inzwischen. Und kennt auch die kleinen Momente des Scheiterns, die Angst, angestrengt zu wirken statt euphorisierend: „Es ist schwer, positive Energie ins Orchester zu geben, wenn keine zurückkommt.“
All das erlebt er beim Wettbewerb im Köln erneut. Insgesamt 32 Sätze aus Oper und Konzert musste er vorbereiten, allein vier komplette Sinfonien. Zunächst soll er ein Quartett aus dem „Rigoletto“an zwei Tagen – mit Klavier und Orchester – erarbeiten, dann eine Sinfonie dirigieren, mit dem Gürzenich-Orchester. Im Laufe der Jahre hat sich sein Musikgeschmack weg von Tschaikowski und Co. hin zu Schumann und Mozart gewandelt. Als Pflichtstücke stehen in Köln aber auch Weberns Sechs Stücke für Orchester, Messiaen oder eine „Wozzeck“-Szene auf der Agenda. Seit Juni erarbeitet Vico das Programm, überprüft immer wieder seine Vorstellung, justiert die Tempi. „Wenn ich die Idee der Musik, ihre Energie vermitteln kann, dann können diese Momente voller Magie entstehen, für die wir Musiker leben“, sagt er, nimmt Noten und Taktstock und ein Toitoitoi mit auf den Weg zum nächsten Karriereziel.