Frankreich streitet über Spermien
Ein neues Bioethik-Gesetz soll künstliche Befruchtung auch lesbischen Paaren und alleinstehenden Frauen zugänglich machen – dagegen regt sich Protest.
PARIS Es war eine sehr bunte Demonstration, ganz ohne gelbe Warnwesten und auch ohne Randale, die da durch die Pariser Innenstadt zog. Mehrere Tausend Menschen aus dem ganzen Land waren Anfang Oktober in die französische Hauptstadt gekommen, um gegen ein neues Bioethikgesetz zu demonstrieren.
Die über 20 Organisatoren des Marsches wandten sich gegen die „PMA pour toutes“. Das bedeutet so viel wie „medizinisch assistierte Befruchtung für alle Frauen“, also auch für lesbische Paare und Alleinstehende. Außerdem soll es künftig möglich sein, dass etwa Witwen eingefrorene Spermien ihres verstorbenen Gatten nutzen und Frauen ihre Eizellen auf Vorrat einfrieren lassen dürfen. Diskutiert wird zudem, die bisher anonymen Samenspender namentlich zu erfassen und ihren künstlich gezeugten volljährigen Kindern Zugang zur Abstammungsakte zu gewähren. Besonders wichtig: Die staatliche Krankenkasse soll die Kosten der künstlichen Befruchtung für alle Frauen tragen.
Die französische Nationalversammlung hatte Ende September einen entsprechenden Gesetzesartikel gebilligt. Bisher ist die künstliche Befruchtung nur heterosexuellen Paaren erlaubt, die keine Kinder zeugen können. Sie müssen verheiratet sein oder mindestens zwei Jahre zusammengelebt haben. Gesundheitsministerin Agnès Buzyn strebt eine endgültige Umsetzung des neuen Gesetzes bis zum kommenden Sommer an.
Es zählte zu Präsident Emmanuel Macrons Wahlversprechen, die PMA allen Frauen zugänglich zu machen. Doch dagegen regt sich auch in seiner eigenen Partei Widerstand – so etwa von Agnès Till. Sie war Abgeordnete der Präsidentenpartei La République en Marche, sprach sich aber vehement gegen das neue Bioethikgesetz aus – wofür sie prompt aus der Partei geworfen wurde. Wie die meisten ihrer Mitstreiter befürchtet Agnès Till, dass durch die neuen Regelungen weiterer Schranken fallen könnten. So könnten zum Beispiel männliche Paare auf Gleichstellung pochen, und es könnten Leihmutterschaften legalisiert werden.
Hinter der Demo in Paris standen zwar mehrere Organisatoren, treibende Kraft war allerdings „La Manif pour tous“(Die Demo für alle), ein Zusammenschluss von zumeist konservativen Katholiken. Deren Mitglieder hoffen beim aktuellen Kampf gegen das neue Bioethikgesetz auf einen ähnlichen durchschlagenden Erfolg wie bei ihrem Protest vor sechs Jahren gegen die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Damals entwickelte die Bewegung eine überraschende Eigendynamik. Der Protest gegen die Familienpolitik der Regierung vermischte sich mit einer allgemeinen Abneigung gegen den Kurs des damaligen Präsidenten François Hollande, und so gingen bei den Demos schließlich Hunderttausende auf die Straße.
Doch dieses Mal ist die Front geschrumpft. Selbst die katholische Kirche, beim Protest gegen die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare in ihrer Empörung noch geeint, zögert im Fall des neuen Bioethikgesetzes. Natürlich sind ihre Vertreter gegen die künstliche Befruchtung. Die Kirchenvertreter weisen allerdings immer wieder darauf hin, dass sie ihre Bedenken auf den im Sommer landesweit organisierten Diskussionen zur Revision des Gesetzes einbringen konnten. Ein kluger Schachzug von Staatspräsident Emmanuel Macron, der die Bischöfe ausdrücklich dazu aufgefordert hatte, daran teilzunehmen. Das deutlich gesunkene Interesse, gegen das neue Gesetz auf die Straße zu gehen, geht auch darauf zurück, dass sich die Einstellung in der französischen Gesellschaft in den vergangenen Jahren deutlich gewandelt hat.
Künstliche Befruchtung bei heterosexuellen Paaren gilt heute nicht mehr als verwerflich. Knapp drei Prozent der Kinder werden nach Angaben der Agentur für Biomedizin heute in Frankreich auf diese Weise gezeugt. Und auch die Einstellung der Franzosen zur gleichgeschlechtlichen Ehe hat sich nach deren Einführung 2013 deutlich entspannt. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ifop besagt, dass deutlich über 60 Prozent der Befragten dafür sind, lesbischen Paaren und alleinstehenden Frauen künstliche Befruchtung zuzugestehen. Bei einer Untersuchung im Jahr 1999 seien es nur 24 Prozent gewesen.