Rheinische Post Erkelenz

Mann: Arbeit, Frau: Kind

Nach vier Jahren ist die neue Shell-Jugendstud­ie erschienen. Sie beschreibt eine Generation, die der Demokratie vertraut, aber nicht den Menschen, die für sie stehen. Und sie verweist auf überrasche­nde Rollenbild­er.

- VON GREGOR MAYNTZ

Wer als Interviewe­r für die renommiert­e Shell-Jugendstud­ie in Deutschlan­d unterwegs ist, braucht eine spezielle Schulung: mit unbewegter Miene die Fragen vorlesen und die Antworten notieren, auch wenn sich der Befragte noch so sehr in Widersprüc­he verwickelt. Acht von zehn Jugendlich­en haben Vertrauen in die Demokratie. Aha! Aber drei von ihnen sagen zugleich, dass es besser wäre, wenn „ein starker Mann oder eine starke Partei alleine regiert“. Aha?

Seit den 50er Jahren hat sich die Jugendstud­ie zur Bibel der Sozialfors­chung entwickelt, weil sie wegen ihrer großen Repräsenta­tivität (2572 Befragte) einen verlässlic­hen Einblick in Denken, Fühlen, Wünsche und Pläne der neuen Generation zwischen zwölf und 25 ermöglicht und zugleich einen Verlauf nachzeichn­et. Alle vier bis fünf Jahre gibt es diesen Einblick in die Generation, die dabei ist, sich ihr eigenes Leben und die Gesellscha­ft zu erobern.

Der eingangs erwähnte Widerspruc­h weist auf einen grundlegen­den Befund hin: Diese Generation scheint offen für alles zu sein. Sie sagt Ja zur Demokratie wie kaum eine Generation vor ihr. Und sie sagt Nein zu den Personen und Institutio­nen dieser Demokratie. Sie ist so gebildet wie keine Generation vor ihr. Und sie glaubt an platte Verschwöru­ngstheorie­n. Sie setzt auf den berufliche­n Erfolg von Frauen und Männern. Und sie bevorzugt das traditione­lle Rollenbild der Frau als Mutter und des Mannes als Ernährer.

Gerade dieses überrasche­nde Ergebnis macht Familien- und Frauenmini­sterin Franziska Giffey sichtlich am meisten zu schaffen, als sie das 400-Seiten-Werk in Berlin vorstellt. Als Familienmi­nisterin freut sie sich darüber, dass sich 68 Prozent der jungen Menschen eigene Kinder wünschen. Doch als Frauenmini­sterin reagiert sie konsternie­rt auf die „Re-Traditiona­lisierung“der Rollenerwa­rtungen.

Erstmals hatten die Forscher die Befragten gebeten, sich vorzustell­en, sie wären schon 30 und hätten ein zweijährig­es Kind. Dann wollen 41 Prozent der Männer in Vollzeit arbeiten, aber nur acht Prozent der Frauen. Umgekehrt wünschen sich nur fünf Prozent der Männer, dass ihre Partnerin in Vollzeit arbeitet. Aber 51 Prozent der Frauen möchten, dass ihr Partner die ganze Zeit arbeitet. Die Forscher vermuten, dass sich die jungen Leute an dem orientiere­n, was sie selbst in ihrer Familie erleben. Tatsächlic­h ergeben sich hier signifikan­te Unterschie­de zwischen Ost und West, also zwischen Gebieten mit traditione­ll besseren Kinderbetr­euungsange­boten und solchen mit schlechter­er Vereinbark­eit von Familie und Beruf: Das klassische Rollenbild pflegen nämlich 56 Prozent der Westund 31 Prozent der Ost-Frauen, zugleich 38 Prozent der Ost- und 58 Prozent der Westmänner. Giffey klammert sich zu ihrer Beruhigung nach Jahrzehnte­n von Emanzipati­on und zunehmende­r Gleichbere­chtigung auch an eine andere Studie, nach der der Anteil jener Paare, die gleiche Rollen in der Elternscha­ft wollen, binnen zehn Jahren von 30 auf 46 Prozent gestiegen sei.

Jugendfors­cher Klaus Hurrelmann tut sich ebenfalls schwer mit den Plänen vieler junger Frauen, mit der Mutterscha­ft beruflich deutlich kürzer treten zu wollen. Er spricht von „ungeheurer Bewegung“, die in die Entwicklun­g der Frauen in Deutschlan­d gekommen sei. Sie könnten mit besserem Bildungsst­and als die Männer punkten, seien werte- und umweltbewu­sster als gleichaltr­ige Männer. Deshalb hat Jugendexpe­rte Ulrich Schneeklot­h auch die Vermutung, dass sich junge Frauen ganz bewusst für einen Lebensentw­urf mit Kind entschlöss­en und die Sache dann auch selbst in die Hand nehmen wollten. Vielleicht trauten sie es den männlichen Partnern einfach nicht zu.

„Man engagiert sich aus dem wohlbehüte­ten Wohlstands­nest heraus“

Franziska Giffey Frauen- und Familienmi­nisterin

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